HANNAH ARENDT

HANNAH ARENDT“ von Margarethe von Trotta (Co-B+R; D/Fr/Luxemburg 2011; K: Caroline Champetier; M: André Mergenthaler; 113 Minuten; Start D: 10.01.2013); Hannah Arendt (14.10.1906/in Linden, heute Stadtteil von Hannover – 4.12.1975/in New York) ist eine der bedeutendsten Theoretikerin und Publizistin des 20. Jahrhunderts. In einer Zeit, als Frauen an der Universität noch die Ausnahme waren, studierte und promovierte sie. Von den Nazis ins amerikanische Exil getrieben, wurde die deutsche Jüdin 1951 Staatsbürgerin der USA. Hanna Arendt stellte grundsätzliche Fragen zur Philosophie und Politik. Ihre gesellschaftspolitischen Schriften über totalitäre Systeme und Demokratie prägen bis heute unsere Sichtweise auf das vergangene Jahrhundert. „Den Zwängen der Zeit setzen ihr Leben und Handeln eine Haltung der Unabhängigkeit und Freiheit entgegen. Ihre Lebensgeschichte liest sich wie ein Plädoyer für Mut und Engagement, wie ein Loblied auf die Freundschaft und die Liebe zur Welt“ (Alois Prinz im Vorwort zu seinem „Suhrkamp“-Buch „Hannah Arendt oder die Liebe zur Welt“). Hannah Arendt fühlte sich zeitlebens nur ihrem eigenen Verstand verpflichtet. Sich dieser intellektuellen Frau zu nähern, ist für Margarethe von Trotta so, als würde man „einem Menschen beim Denken zuschauen“.

Ich darf ergänzen: Bei einem ausnahmslos spannenden, aufregenden Denken. Deshalb gibt es die einzige „ablenkende Aktion“ auch gleich am Anfang des Films, als Nazi-Verbrecher Adolf Eichmann in Argentinien vom israelischen Geheimdienst entführt und nach Israel verfrachtet wird. Danach wird der Film zu einer Porträt-Performance einer (sehr) klugen Frau, die ihrer Zeit – hier: der Kosmos und die Atmosphäre der 1960er Jahre – IMMENS weit voraus war. Und demzufolge „dafür“ verbale Prügel einstecken musste und viele Diffamierungen in (verletzendem) Kauf nahm. Denn der Film konzentriert sich auf ihre sowie die Jahre zwischen 1960 und 1961. Stichwort: Der Eichmann-Prozess in Israel. An dem Hannah Arendt als Beobachterin und Reporterin im Auftrag des Magazins „The New Yorker“ teilnimmt. Um danach ihre „berühmten“ Schlussfolgerungen von der „Banalität des Bösen“ zu ziehen: „Im Eichmann-Prozess konnte jeder sehen, dass dieser Mann kein ‚Ungeheuer’ war, aber es war in der Tat sehr schwierig, sich des Verdachts zu erwehren, dass man es mit einem Hanswurst zu tun hatte“.

Natürlich – kein Schau-, sondern ein Hör-Film. Ein dichter, brillanter Gedanken- und Kopf-Film. Über eine weiterhin aktuelle Rede: Wie soll, kann man heute noch oder wieder „diese Chef-Nazis“ von einst betrachten? „Bewerten“? Kommentieren? Wie kann man „solche grausamen Monster“ Nicht-Monster, sondern Vertreter der „Banalität des/der Bösen“ bezeichnen, wenn man um ihre fürchterlichen verbrecherischen Taten und millionenfache Morde weiß? Tatsächlich – „nur“ ekelhafte, widerliche, abscheuliche Bürokraten-Hanswurste? Anstatt dämonische Monster? Hannah Arendt blickt „darüber hinaus“ und sieht in dem Nazi-Massenmörder Adolf Eichmann „seine nahezu totale Unfähigkeit, jemals eine Sache vom Gesichtspunkt eines anderen her zu sehen“. Indem sie ihn quasi „ernst“ nimmt, beobachtet, betrachtet, entdeckt sie in dieser „lächerlichen Gestalt“ einen einfachen, primitiven, entsetzlichen Menschen. Vernichter. Einen dieser vielen „Banalen des/der Bösen“. Natürlich wird sie fortan heftig angefeindet. Attackiert. Für „pervers“ erklärt. Dass sie „solch Einen“ nicht so „formuliert“ wie es schließlich alle tun. Fast alle. Hannah Arendt gehört zu diesen „fast“. Das oder der Böse ist für sie keineswegs „nur“ eine Charakterdemonstration, sondern vielmehr ein höchst widerwärtiges, unmenschliches Sozialverhalten. Was „Schuld“ keineswegs schwächt, gar abmildert, sondern „nur“ etwas erklärt. Entsetzlich begründet. Eichmann ist ein „Normaler“, obwohl er für millionenfache menschliche Vernichtung verantwortlich war, die höchste, unbegreifliche, grauenvollste Stufe von und an „Unmoral“ eines Menschen.

Der Film „Hannah Arendt“ besteht aus „solchen“ Reden, Diskussionen, Gesprächen. GEDANKEN. Wichtigen, hochinteressanten, spannenden, aufwühlenden Gegenwarts-Vergangenheitsgedanken. Konzentriert, rauchvoll (Hannah Arendt war Kettenraucherin), engagiert. Wort-packend. Blickt auf diese (jetzt wieder laut „zu entdeckende“) außergewöhnliche, starke Meinungs-Frau. Ohne Heiligenschein. Oder „Heldinnen-Format“. Hannah Arendt, eine Frau, die denken kann und will. Und denkenswert zu artikulieren versteht. BARBARA SUKOWA, 61, ist mit jeder Seelen-Pore Hannah Arendt. Ihr „Spiel“ ist „echt“, überzeugend, glaubwürdig. Denk-, nachdenkungswürdig. In jeder Phase. Kontrovers. Angriffsstark. In den Argumenten. Des Suchens. Nach Begreifbarem. Von etwas Unbegreifbarem. Das es dennoch „zu formulieren“ gilt.
Nach Marianne („Gudrun Ensslin“) in „Die bleierne Zeit“ (1981; „Goldene Löwe“ von Venedig) Rosa Luxemburg in dem gleichnamigen Film von 1986 und als Hildegard von Bingen in „Vision – Aus dem Leben der Hildegard von Bingen“ (2009) ist es die vierte große Frauen-Rolle für „ihre“ Regisseurin Margarethe von Trotta. Die sich gerne in ihren Filmen von starken Frauen „inspirieren“ lässt („Rosenstraße“/2003). Und die hier die filmische Kammerspiel-Meisterschaft gewinnt. Indem sie „das Denken“ auf der Leinwand faszinierend reaktiviert. Und einen Adolf Eichmann nicht etwa hier (emotional) „darstellerisch“ zeigt, sondern authentisch, über damalige Prozessaufnahmen. Und noch ein bemerkenswertes Film-Plus: Diese „stille“ Optik hier, diese grandiosen schummrigen Bilder und Motive der großartigen französischen Kamerafrau CAROLINE CHAMPETIER (2011 „Cesar“ für ihre Kameraleistung in „Von Menschen und Göttern“), die eine unspektakuläre atmosphärische Helligkeit bedeuten. Für Augen und Kopf.

Der Film „HANNAH ARENDT“ zählt zum diskussionswürdigsten Besten, was der deutsche Spielfilm seit langem zu bieten hat. Und gehört baldigst auch in das breite Schulkino-Programm-Angebot in unserem Land (= 4 PÖNIs).

 

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