DER GROßE CRASH – MARGIN CALL

DER GROSSE CRASH – MARGIN CALL“ von JC Chandor (B+R; USA 2010; 109 Minuten; Start D: 29.09.2011); zunächst mit der Biographie aus dem diesjährigen Berlinale-Katalog, denn “Margin Call” konkurrierte im diesjährigen Berlinale-Wettbewerb; JC Chandor: „Aufgewachsen bei New York und in London. Verheiratet mit der Malerin Cameron Goodyear. Er studierte Filmwissenschaft in Ohio, Filmproduktion an der New York University. In den letzten 15 Jahren hat er neben einem Kurzfilm TV-Dokumentationen und eine sechsteilige Konzertfilmserie sowie zahlreiche Werbefilme gedreht. MARGIN CALL ist sein Spielfilmdebüt. Er bereitet zwei weitere Spielfilme für Warner Bros. vor und ist auch im Immobilienhandel aktiv“.

Finanzen, Bilanzen, der Geld-Handel. Wir befinden uns im oberen Milieu des Geldes. Sozusagen im Epizentrum. Anno 2008. Kurz vor dem großen Crash. Inmitten einer bedeutenden New Yorker Wall Street Investmentbank. Marke „Lehman Brothers“. Hier läuft etwas schief. Zwar schon eine ganze Weile, doch nun nicht mehr zu vertuschen. Also wird als erstes die Mitarbeiterzahl „optimiert“. Gleich 80% einer einzigen Abteilung müssen verschwinden. Sofort. Egel, ob alteingesessen oder Nachwuchs. Von jetzt auf gleich ist Feierabend. Auch für Eric Dale (STANLEY TUCCI). Der arbeitet zwar hier schon ewig und drei Tage, aber auch für ihn gibt es kein pardon. Dabei hatte Dale gerade eine Analyse erstellt, die für die Firma pures Dynamit bedeutet. Von wegen – man hat sich verausgabt. Inzwischen völlig verspekuliert. Steht vor dem Bankrott. Weil das aber Niemanden interessiert und Dale quasi umgehend aus dem Gebäude entfernt wird, übergibt er seine Stick-Unterlagen einem Kollegen. Jung-Analyst Peter Sullivan (ZACHARY QUINTO) begreift sofort, was los ist. Und bald passiert. Alarmiert „das Haus“. Kollegen wie „höhere Etagen“. Schließlich trifft sogar „der King“ ein, Konzernchef/Vorstandsvorsitzender John Tuld (JEREMY IRONS).

Der „oberste Nadelstreifen“ und Entscheider. Der stets – in pikfeinstem Britisch-Englisch – zu formulieren weiß und immer „in vollster Beherrschung“ ist. Nun sind alle versammelt. Am Königshof. Am Gipfel. Von Macht. Also GELD. Der Herrscher, seine Adlaten, die Mitwirkenden, der Mitarbeiter-Pöbel. In einer einzigen Nacht gilt es, solche Entscheidungen zu suchen und sofort zu fällen, dass das GELD, IHR Geld, gerettet werden kann. Egal, was es kostet. Mit welchen Verbiegungen, Tricks und „legaler Illegalität“ auch immer. Auf wessen Kosten auch immer. Die Hauptsache – nur nicht auf unsere. Denn WIR waren und bleiben und sind immer SIEGER. Besitzen schließlich DIESE Mentalität. Leben sie. Tag für Tag. Skrupel? Ich bitte Sie. Wer hier arbeitet, hat keine. Darf gar keine haben. Sonst wäre Er oder Sie auch gar nicht (mehr) hier. An diesem feinen Ort der totalen GIER. An dem man sich nun zwischen Panik, Fassungslosigkeit, Resignation, Zuspruch und – lukrativen – Versprechungen daranmacht, den unkontrollierten amerikanischen Finanzhandel auf die firmen-profitable Spitze zu treiben. Auf dass viele Andere „daran“ ersticken, kaputtgehen mögen. Zerstört werden. Ein Finanz-Tsunami wird ausgelöst. Mit gigantischen weltweiten Auswirkungen. In Folgen und Schäden.

Die Bank hat sich von einem Broker (Börsenmakler) Geld besorgt. Für den Handel am Devisenmarkt. Hat dafür eine Sicherheitsleistung (zwischen 0,25 und einem Prozent des zur Verfügung gestellten Handelskapitals) hinterlegt. Drohen die Verluste aus dem Handel der Bank diese Sicherheitsleistung zu überschreiten, kommt es zum MARGIN CALL, dem „Aufruf für eine (weitere) Sicherheitsleistung“. Kommt die Bank dem Aufruf zu einer erneuten Hinterlegung einer Sicherheitsleistung nicht nach, wird diese Handelsposition automatisch geschlossen. Das gesamte Geld ist futsch. Milliarden.

Der Thriller „Margin Call“ ist kein Gut-Böse-Duell. Wie etwa bei den beiden „Wall Street“-Filmen von Oliver Stone. Weil hier überhaupt kein menschelndes Personal existiert. Wir sehen „diese Typen“. Aus jeder Altersschicht. Die „mit denen da draußen“, diesen „real people“, nix am Hut haben. „Ich scheiß’ auf die normalen Leute“, gibt einmal „einer vom dynamischen Nachwuchs“ seine Sicht frei. Sie bewegen sich wie sie sich immer bewegen: Starren ihre Monitore an, lesen Unmengen von Zahlenkolonnen, zerren an ihren Krawatten, diskutieren über Boni und kostspielige Nutten. Wollen wissen, was der Nachbar oder Vorgesetzte „so einsteckt“. Das Leben in der Parallelwelt. Mit viel Luxus und noch mehr Zynismus. Das so lange „ungestört“ wie ständig „aufwärts“ verlief. Und das jetzt plötzlich „unterbrochen“ oder gar vorbei sein soll? Es muss doch möglich sein, dies zu verhindern? Oder wenigstens zu umgehen? Umschiffen? Sollen sich doch Andere an/mit diesem nunmehr wertlosen Papier-Müll befassen. Hauptsache WIR können unseren Goldhintern retten. Sichern.

Einzig Sam Rogers (KEVIN SPACEY), einer der Dienstältesten, ist ein wenig „weich“. Sein geliebter Hund liegt gerade im Sterben. Und am Ende wird er ihn im Garten seiner Ex-Frau begraben. Was Tränen hervorruft. Ansonsten aber ist professionelle Kälte annonciert. Kurzes Erbrechen, dann wird wieder zugelangt. Kräftig Money gefuttert. Eingesackt. Am meisten natürlich – GANZ OBEN. Der Sieger strahlt. Verhalten. Mit innerem Gewinnerlächeln sozusagen. JEREMY IRONS ist phantastisch. WIE er diese eklige Schnittmenge von aristokratischem Geld-Hai und attraktivem Mephisto zusammenfügt, ist brillant. Man hängt an den Worten, Gesten und Bewegungen dieses kapitalistischen Saukerls mit shakespearschem Figuren-Charme.

Debütant JJ Chandor hatte ein nicht nur namhaftes, sondern auch engagiertes Ensemble beisammen. In dem neben dem (fast) immer wunderbaren „Oscar“-Hero KEVIN SPACEY (unvergessen in „Seven“ + „American Beauty“) auch PAUL BETTANY („The Da Vinci Code – Sakrileg“), Mit-Produzent ZACHARY QUINTO (der junge Mr. Spock im letzten „Star Trek“-Movie) und TV-Serien-Star SIMON BAKER („The Mentalist“) als schleimspuriger Blender-Manager sowie DEMI MOORE als gestresste, genervte Leiterin der Risikoabteilung charakterlos-stark mitmischen.
Der in nur 17 Drehtagen mit einem Mini-Budget von 2,8 Millionen Dollar hergestellte US-Streifen „Der große Crash – Margin Call“ ist ein beeindruckender atmosphärischer Thriller, der spannende Denk-Spuren hinterlässt (= 4 PÖNIs).

Teilen mit: