„GREEN BOOK – EINE BESONDERE FREUNDSCHAFT“ von Peter Farrelly (Co-B + R; USA 2017/2018; Co-B: Brian Hayes Currie, Nick Vallelonga; K: Sean Porter; M: Kris Bowers; 131 Minuten; deutscher Kino-Start: 31.01.2019); die nächste große schöne Überraschung des Kino-Jahrgangs 2019. Von einem Regisseur, der seine Hollywoodfilme meistens mit seinem Bruder Bobby dreht. Als Farrelly-Brüder waren sie bislang für ziemlich schrullige, munter-unanständige Comedy-Filme zuständig wie „Dumm und Dümmer“, „Verrückt nach Mary“, „Schwer verliebt“ oder zuletzt „Dumm und Dümmehr“ (s. Kino-KRITIK). Aus privaten Gründen „musste“ Peter Farrelly dieses seriöse Drama alleine drehen (der Sohn seines Bruders verstarb), und für „Green Book“ heimste der 62-jährige Peter Farrelly viel Lob und Auszeichnungen ein, darunter einen „Golden Globe“ für das „Beste Drehbuch“ sowie fünf „Oscar“-Nominierungen (Vergabe am 24.02.2019).
Vor allem im Süden der USA waren Afroamerikaner Anfang der Sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts täglichem, teilweise gesetzlich verankertem Rassismus ausgesetzt. Reisen waren kompliziert, da zum Beispiel viele Tankstellen, Hotels, Restaurants oder Kaufläden sich weigerten, Afroamerikaner zu bedienen. Der New Yorker Postangestellte Victor Hugo Green verfasste ab 1936 eine jährliche Ausgabe des „Negro Motorist Green Book“: Ein Reiseführer für die schwarze Bevölkerung. Damit diese Bevölkerungsschicht relativ unbehelligt durchs Ami-Land reisen konnte. Auf dem Cover stand: Tragen Sie Ihr Green Book immer bei sich – Sie könnten es brauchen. Das Green Book beinhaltete Adressen von zum Beispiel Restaurants, Unterkünften, Apotheken oder Friseuren, die afroamerikanische Bürger aufnahmen bzw. bedienten. Von der ersten Ausgabe bis zur letzten im Jahr 1966 wuchs das „Green Book“ von 22 Seiten auf knapp 130 Seiten an und verkaufte in seiner Hochphase bis zu 20.000 Exemplare.
Etwa um d i e (Film-)Zeit, als der afroamerikanische Detektiv Virgil Tibbs aus Philadelphia (SIDNEY POITIER) in der Südstaaten-Kleinstadt Sparta im Bundesstaat Mississippi gemeinsam mit dem weißen rassistischen Polizeichef William Gillespie (ROD STEIGER) einen Mord aufklärt, in dem mit 5 „Oscars“ prämierten Klassiker „In der Hitze der Nacht“ von Norman Jewison, beschließt der angesagte virtuose afroamerikanische Jazz-Klavierspieler Don Shirley (MAHERSHALA ALI) aus New York, eine Konzerttournee in den Süden des Landes anzutreten. Shirley ist ein hochgebildeter, vornehmer, finanziell bestens ausgestatteter intellektueller Künstler mit ebenso arroganten wie stocksteifen Zügen, der mit dem Auto unterwegs sein wird und dafür einen Fahrer und Bodyguard sucht. Als sich bei ihm der Italo-Amerikaner Tony Vallelonga (VIGGO MORTENSEN) vorstellt, stehen sich Feuer und Wasser gegenüber. Tony, ein Club-Türsteher bzw. -Rausschmeißer und „Dienstleister“ für „Leute“, nimmt den Job an, weil er gut bezahlt wird und Ehefrau Dolores (LINDA CARDELLINI) ihm zuredet, obwohl er für einige Monate weg von der Familie sein wird. Als erstes kriegt Tony das – ihm unbekannte – „Green Book“ für die Fahrt in die Hand gedrückt.
Gegensätze ziehen sich an. Auf der einen Seite dieser kluge Geist und begnadete Piano-Player, der in praktischen Dingen „schwächelt“; auf der anderen der füllige, einfach strukturierte, sich mit Fast Food und Pasta vollstopfende, plappernde Driver, der von klassischer Musik nichts weiß, aber vom derzeitigen Rock ’n‘ Roll und in der Lage ist, Probleme des Alltags „zielgerichtet“ zu lösen. Natürlich, man nähert sich an. Mit dem Höhepunkt eines Moments, wo Don zwar in einem Erste-Klasse-Restaurant auftreten soll, aber im Laden selbst vorher nicht essen darf. Weil dies Schwarzen nicht gestattet sei. Was selbst für Tony unfassbar ist.
Kein Drama über den „normalen“ amerikanischen Vor-Martin-Luther-King-Rassismus, sondern ein eher spitzbübisches, spitzzüngiges, doppelbödiges, also amüsant-ironisches Road Movie um eine Reise in die Seelen zweier eigentlich „amtlich Verfeindeter“, die mehr und mehr zu Verbündeten werden. Das auf Tatsachen beruht: Tonys Sohn Nick Vallelonga schrieb am Drehbuch mit. Von vorne herein lautet das Empathie- und Spannungsmotto: Ein Buddy-Movie mit Verstand UND Herz.
VIGGO MORTENSEN, 60, der amerikanische Däne, unvergessen als Aragorn in „Der Herr der Ringe“, aber auch neulich in „Captain Fantastic – Einmal Wildnis und zurück“ begeisternd (s. Kino-KRITIK), musste sich 20 Kilo anfuttern, um sich als menschlicher Proll beeindruckend zu positionieren; MAHERSHALA ALI (bürgerlich: Mahershalalhashbaz Ali) bekam 2017 für seinen Auftritt in dem dreifach „Oscar“-prämierten Streifen „Moonlight“ (s. Kino-KRITIK) den Nebendarsteller-„Oscar“ und ist auch in diesem Jahr dafür nominiert (nachdem er neulich schon den „Golden Globe“ zugesprochen bekam) vermag als sensibler Feingeist sich wunderbar „zu öffnen“, wenn es um die gut versteckten inneren Dämonen geht („Wenn ich nicht schwarz genug und nicht weiß genug bin, dann sag mir doch, Tony: Was bin ich?“).
Ein toller Film. Voller spannender Wut-Toleranz, geschickt mit Vorurteilen spielend, ohne Moral-Keule auskommend, dafür mit vielen superben, cleveren Pointen aufwartend. Denkend. „GREEN BOOK“ ist ein Rundum-Vergnügen als gescheiter Wohlfühl-Film (= 4 1/2 PÖNIs).