Es ist schon erstaunlich. Fast 200000 Zuschauer haben im vergangenen Jahr in Deutschland im Kino den chinesischen Film „Rote Laterne“ von Zhang Yimou gesehen (s. Kino-KRITIK).Und auch dessen Film davor, „Ju Dou“ (s. Kino-KRITIK), hatten
hierzulande viel mehr Kino-Besucher gesehen als allgemein erwartet. Zhang Yimou, ein also auch hier inzwischen sehr bekannter Name. Was vor allem aber in Berlin nicht verwundert, bekam doch der heute 32jährige auf der Berlinale von 1988 für seinen Debütfilm „Rotes Kornfeld“ gleich den Hauptpreis, den „Goldenen Bären“. Außerdem war der Regisseur im Frühjahr dieses Jahres prominentes Mitglied der Berlinale-Jury. Auch das
neueste Werk dieses leidenschaftlichen Cineasten besitzt übrigens bereits einen herausragenden Festivalstempel:
„DIE GESCHICHTE DER QIU JU“ von Zhang Yimou (Hongkong 1992; B: Heng Liu; K: Chi Xiaoning, Lu Hongyi, Lu Xiaoquin; M: Zhao Yiping; 100 Minuten; Start D: 23.04.1993); erhielt im vorigen Herbst in Venedig den 1. Preis, den „Goldenen Löwen“. Während die Hauptakteurin Gong Li mit dem Preis für die „beste
Darstellerin“ ausgezeichnet wurde.
Im Gegensatz zu den vorherigen Filmen von Zhang Yimou spielt „Die Geschichte der Qiu Ju“ nicht in der Historie, sondern in der chinesischen Gegenwart. Im Mittelpunkt dabei: Qiu Ju, eine einfache Frau vom Lande. Ihr Mann hat vom Dorf-Vorsteher einen Tritt in
den Unterleib bekommen, und sie ist erbost. Sie hält diesen Tritt nicht nur für ein Unrecht, sondern sieht in dieser Attacke auch einen direkten Angriff auf seine Zeugungsfähigkeit. Als der lokale Polizei-Vertreter für einen friedlichen Kompromiss plädiert, ist sie nicht einverstanden. Und geht eine Instanz weiter. Für Qiu Ju geht es um das Prinzip: Recht und Gerechtigkeit sind für sie absolut gleichrangig. Zumal doch vor einiger Zeit in ihrem Land eine Rechtsreform eingerichtet wurde, die nun von ihr mühevoll, aber konsequent und hartnäckig „ausprobiert“ wird. Ihrem Mann ist der Wirbel inzwischen viel zu groß, aber sie lässt nicht locker.
Schließlich ist die Gerichtsbarkeit in der Hauptstadt, in Peking, erreicht. Der Tritt wird endgültig zum Fall und schlägt hohe und dann auch sehr persönliche Wellen.
Ein reizvoller Film, weil er natürlich mehr will, als nur diese private, individuelle Geschichte zu erzählen. Dem Regisseur geht es vielmehr auch um die Bilder-„dabei“: Die Menschen, die Architektur, die Ordnung. Das System und die chinesische Seele. Zhang Yimou beobachtet und beschreibt gerne und liebevoll einfache, normale Menschen. Nur 4 Personen sind hier professionelle Darsteller, der Rest sind Laieb, die teilweise auch mit versteckter Kamera gefilmt und
in den Ablauf eingebunden wurden. So entsteht ein spielfilmhaftes Mosaik mit „echtem“, dokumentarischem Charakter. Zusammengehalten und zusammengebracht durch dieses sympathisch-naive, sture Bollwerk von Qiu Ju. Die wie ein Michael Kohlhaas auf Genugtuung beharrt und dafür mit manchmal unfreiwilligem Humor und trockener Störrigkeit kämpft.
Gong Li, Ehefrau und Dauer-Hauptdarstellerin des Regisseurs, spielt diesen liebevollen
Trampel mit zurückhaltender, aber durchdringender Robustheit. Wie sie sich da dick bepackt und behäbig ihren mühsamen Weg zurechtstampft, ist von brillanter Schlichtheit. Ihre bäuerliche Frauen-Studie besitzt keinen Heiligenschein, wirkt nie denunzierend, ist eine prachtvolle, kreative Schauspielerleistung. Ein erstaunlich leichter, mitunter fast „komödiantischer“ chinesischer Film, der intelligent unterhält und im besten Sinne „bildet“ (= 4 PÖNIs).