GELIEBTES LEBEN

GELIEBTES LEBEN“ von Oliver Schmitz (Co-B+R; D/Südafrika 2009/2010; 106 Minuten; Start D: 12.05.2011); schaut man sich diesen Film „zunächst“ an, will sagen – hört und liest man von seinem Thema und von seinem südafrikanischen Ort, an dem er spielt, sind die Gedanken dabei eher „neutral“: Meine Güte: AIDS, Südafrika, die Zerrüttungen in einer familiären und, damit verbunden, in einer Art kleinstädtischen Gemeinschaft? Also wieder so ein Betroffenheits-, sprich Elendsfilm? Mit einer brav warnenden „Problemfahne“? Oder so in etwa?. VERGESSEN SIE ALLES! „Geliebtes Leben“ ist ein spannendes Drama, ist ein bewegender Menschen-Film, der an jedem Ort der Welt spielen könnte und sich auch beeindruckend-gut in unsere „Befindlichkeiten“ unterhaltsam einnistet. Was ich damit sagen will: Lassen Sie sich bloß nicht abschrecken! Der im Vorjahr beim Filmfest in Cannes erstaufgeführte und hervorragend aufgenommene Spielfilm, der dann auch Südafrika für die Nominierung der Auslands-„Oscars“ vertrat, erfüllt keine vorurteilsbeladenen Erwartungen, sondern entpuppt sich als Klasse-Kino. Sowohl von der Story als auch von der sensiblen Erzählentwicklung wie auch vor allem darstellerisch und atmosphärisch. „Geliebtes Leben“ ist einer jener Leinwand-Perlen, die immer wieder für das überraschende, verblüffende, tolle Spielplanelement im breiten Kinoangebot sorgen. Ist eine wunderbare Film-Entdeckung!

OLIVER SCHMITZ: Jahrgang 1960; geboren in Kapstadt/Südafrika als Kind deutscher Einwanderer, heute in Berlin lebend, ein multikultureller wie globaler Filmemacher. Der zwischen Südafrika und Deutschland arbeitsmäßig „pendelt“ und für hiesige TV-Serien-Arbeiten („Türkisch für Anfänger“; „Doctor´s Diary“) namhafte Auszeichnungen wie den „Deutschen Fernsehpreis“ oder den „Adolf-Grimme-Preis“ (= der deutsche TV-„Oscar“) bekam. Sein Kino-Debüt entsteht 1987 in Südafrika. Zu einer Zeit, wo noch die Apartheid herrscht, schuf er – ohne behördliche Erlaubnis – im Township Soweto das Gangster-Drama „Mapantsula“. Der auf vielen internationalen Festivals (wie auch in Cannes 1988) vorgeführte Streifen erhielt zahlreiche Preise und wurde schließlich 2006 bei den „South African Film und Television Awards“ zum „besten südafrikanischen Film des Jahrzehnts“ gekürt. „Hijack Stories“ ist im Jahr 2000 der zweite Spielfilm von Oliver Schmitz. 2005 drehte er eine Episode für den Episodenfilm „Paris Je t´aime“, an dem auch Kollegen wie Gus Van Sant, die Coen-Brüder und Alexander Payne beteiligt waren.

Der 1951 in Ontario geborene ALLAN STRATTON begann seine Karriere als Bühnenschauspieler, später schrieb er selbst erfolgreiche Stücke. „Chanda´s Secrets“ heißt sein zweiter Roman für Jugendliche. 2004 veröffentlicht, entwickelte er sich zu einem Bestseller und bekam diverse Preise, darunter den „Children´s Africana Book Award“. 2006 wurde der Roman unter dem Titel „WORÜBER KEINER SPRICHT“ hierzulande herausgebracht. Oliver Schmitz und sein Co-Drehbuch-Autor DENNIS FOON haben diesen Roman für ihr neues Filmwerk adaptiert.

Dabei im Mittelpunkt – die 12-jährge Chanda (was für eine überwältigende, sensible, film-tragende Entdeckung: Die 13-jährige Debütantin KHOMOTSO MANYAKA). Die lebt in einem ländlichen Township der südafrikanischen Provinz ein zufriedenes Leben. Geht zur Schule, steht dort vor einem guten Abschluss des Klassenjahres. Doch dann stirbt ihre einjährige Schwester. Plötzlich und unerwartet. An „Grippe“. Heißt es.

Zudem verschwindet ihr Stiefvater, ein Sauf- und Raufbold vor dem Herrn, spurlos. Schließlich erkrankt ihre Mutter und kann die beiden jüngeren Geschwister von Chanda nicht mehr betreuen. So dass Chanda ganz schnell und übergangslos „erwachsen“ werden muss. Um die Familie halbwegs zusammenzuhalten. Denn in der Nachbarschaft wird bereits getuschelt. Mit viel Aberglauben, Sticheleien, Mauscheleien. Von wegen „die seltsame Krankheit“. Deren Namen man aber nicht aussprechen will. Stattdessen werden Quacksalber, „Medizinfrauen“ und alte Rituale eingeschaltet. Schließlich, wie im Pest-Mittelalter, wird Chandas Mutter schlicht weggeschickt. Um sie „fern“ auszusetzen. Auszustoßen. Damit die „Wir“ wieder ihre Ruhe haben. Ein kranker Mensch weniger. Na und? Für die neugierige, aufdringliche, wortführerische Nachbarin Mrs. Tata eine ganze Selbstverständlichkeit. Was ist das schon, was bedeutet es hier schon, ein Menschenleben auszugrenzen? Wenn es „Uns“ dadurch wieder „besser“ geht? Doch sie hat die Rechnung nicht mit Chanda gemacht. DIE lässt sich nicht „so“ behandeln, „bearbeiten“, abspeisen. Von niemandem. Ganz im Gegenteil. Sie spricht das „verbotene Wort“ aus. AIDS. Und macht sich auf den beschwerlichen Weg, ihre Mutter heimzuholen.

Ein Mädchen und ihr schnelles Erwachsenwerden-Müssen. Inmitten einer bornierten, verlogenen, verstockten Gemeinschaft. Die nicht gewillt ist, den schlimmen Tatsachen ins Gesicht zu blicken. Die Wahrheit zu akzeptieren: Eine Seuche ist eine Seuche ist eine Seuche. Die man nicht nur „einfach so“ abtun und schon gar nicht ignorieren kann. Dies ist der gesellschaftliche Realitätshintergrund. Vor dem das stille, außerordentlich bewegende Porträt eines hochspannenden jungen südafrikanischen Mädchens abläuft. Ohne stereotype Heldinnen-Verklärung. Sondern unaufgeregt-sorgsam, voller Würde. Mut. Mit nachvollziehbaren Empfindungen. Und ohne Pathos. Eine junge Frau begehrt auf. Gegen die längst überholten, aber immer noch herrschenden Regeln „der Alten“. Nimmt dabei viele seelische „Prügel“ in Kauf. Lässt sich nicht beirren. Wehrt sich. Gegen alle Widerstände. Mühsam, aber beharrlich. Wenn dies in New York, Paris, London oder Chicago mit Promi-Besetzung spielen würde, wären wir „dran“. Aber „so“, Südafrika, dieses Irgendwo, ist doch nach der Fußball-WM, den Touristenmengen und trotz Ende der Apartheid, immer noch „was Weit-Weg-Fremdes“. Wieso soll deshalb dieser dort spielende Film hier interessieren? Wieso soll uns dieses Drama um Ausgrenzung, Vorurteile und Würde etwas angehen??? Wieso sollen, können wir den Menschen dort nahe kommen?

Weil es völlig wurscht ist, wo dieser aufregende, atmosphärische, kraftvolle Menschen-Thriller spielt. Weil er mit Gedanken, Bewegungen, „Abenteuern“ hantiert, die nicht nur nachvollziehbar sind, sondern auch „hier gleich um die Ecke“ passieren könnten. Neben uns. Regisseur Oliver Schmitz beweist sehr viel Gespür für eine sowohl authentische wie allgemeingültige Atmosphäre. Drehte an „unexotischen“ Originalschauplätzen und bedient sich der einheimischen Pedi-Sprache. Untertitelt diese sorgsam-verständlich in Deutsch. Präsentiert vorwiegend überzeugende Laiendarsteller wie seine phantastische kleine starke Hauptakteurin KHOMOTSO MANYAKA. Hat mit ihr keinen mitleidvollen „Opfer-Film“ geschaffen, sondern ein ganz und gar angemessenes tolles universelles Spannungskino. Eindringlich, gefühlvoll, human.

„Für alle Chandas dieser Welt“, heißt es abschließend im Nachspann (= 4 PÖNIs).

 

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