PÖNIs: (5/5)
Der Mensch ist bekanntlich ein ‘Gewohnheitstier‘, heißt es im Volksmund. So wie wir uns daran gewöhnt haben, mindestens einmal im Jahr “groß“ zu verreisen oder das Geburtsdatum zu feiern, so sind wir im Kino seit nunmehr 26 Jahren auch daran gewöhnt, einmal im Jahr auf der Leinwand WOODY ALLEN zu begegnen. Dieser amerikanische Hobby-Klarinettist schafft es mit einer schon unglaublichen Selbstverständlichkeit, sich jedes Jahr regelmäßig einen neuen Film auszudenken und den auch zu drehen. Als Autor und Regisseur und oft auch noch als Hauptdarsteller. Allen ist inzwischen 60 Jahre jung und nichts und niemand haben ihm und seiner Kunst etwas anhaben können: weder der mehrmalige Generationswechsel der Kino-Interessenten noch deren sich des Öfteren verändernder Film-Geschmack.
WOODY ALLEN: Seine Filme zählen auch weiterhin mit zum Besten und Feinsten, was die Leinwand jährlich vorzeigt. Und in gleichem Atemzuge wie Woody Allen ist auch “seine“ Stadt, ist “sein Platz“ zu nennen, wo er sich permanent aufhält und von wo aus er seine oftmals so komischen Attacken über das Leben, die Kunst und die komplizierten, zwischenmenschlichen Beziehungen startet: New York und dort der Stadtteil Manhattan. Oftmals lässt er sogar Einblicke in sein privates Reich zu, indem er einfach seine Kamera in seiner großzügigen Wohnung am Central Park aufbaut. So auch für seinen nunmehr 25. eigenen Film, der:
„GELIEBTE APHRODITE“ von Woody Allen (B + R; USA 1995; K: Carlo Di Palma; M: Dick Hyman; 95 Minuten; deutscher Kino-Start: 15.08.1996); heißt und für den er dann auch einen kurzzeitigen Ortswechsel nach Sizilien vornahm, um im dortigen Amphitheater von Taormina zu inszenieren. Der Grund dafür ist bereits im schelmenhaften und natürlich zweideutigen Titel ausgedrückt. Diesmal geht es um die griechische Tragödie genauso wie es natürlich um einen New Yorker Stadtneurotiker namens Lenny geht. Woody Allen spielt ihn höchstpersönlich, und das ist bekanntlich schon ‘die halbe Miete‘.
Lennys Eheleben mit Amanda, einer sehr aktiven Galeristin, gespielt von HELENA BONHAM CARTER, ist gestört. So findet er Zeit und Muße, sich auf die Suche nach der Mutter seines hochbegabten Adoptivsohns Max zu machen. Der griechische Chor, der ihn dabei begleitet und das Geschehen misstrauisch beäugt und kommentiert, entstammt aus der antiken Tragödie und ist mit dem Chorleiter und Wortführer F. MURRAY ABRAHAM, dem “Oscar“-Preisträger aus “Amadeus“, genauso brillant besetzt wie mit den bekannten klassischen Figuren Cassandra und dem blinden Seher Teiresias, der zuletzt in Manhattan seinen gescheiten Bettler-Auftritt hat. Dieser ebenso gut gelaunte wie besorgte Chor verkörpert den Psychoanalytiker und zugleich den Provokateur. Und manchmal ist er auch einfach nur ‘das schlechte Gewissen‘ oder ein ironisches Zitat auf die momentane, allgegenwärtige amerikanische ‘Political correctness‘. Aber zurück zu Lenny. Da also Max, der Adoptiv-Bengel, ebenso ein Geistesblitz ist, muss auch seine Mutter “so“ sein. Denkt Lenny und stürzt sich in eine verzwickte Recherche. Die führt ihn schließlich zu Linda, Linda Ash.
Eine große attraktive junge Frau mit extrem schrillem Vokal, die als Porno-Darstellerin und Call-Girl auftritt. Während ihr intellektueller Horizont kaum über das Bett hinausreicht. Lenny ist entsetzt. Als guter Bürger und Moralist beschließt er sogleich, den Professor Higgins aus “My Fair Lady“ herauszukehren. Zwar ohne Sprachunterricht, aber in der Vermittlung eines “anständigen Lebens“. Dabei hat er sich dann mit ihrem rabiaten, aber Football-begeisterten Zuhälter ebenso auseinanderzusetzen wie mit einem etwas debilen jungen Boxer, den er als ihren Partner auserkoren hat. Sein tollpatschiges Arrangement geht zwar nicht ganz auf, doch am Schluss findet sich inmitten der kleinbürgerlichen Idylle eine schöne Fußnote: Er umsorgt ihren Sohn, während sie seine Tochter ausführt. Ein Kruzifix ist das mit diesem Leben, während der Chor stimmungsvoll den alten Schlager “When You‘re Smiling“ ausstößt und zum Ballett mutiert.
“Geliebte Aphrodite“ oder: “My Fair Lady“ anno 1996: Ein pointiertes Dauerfeuer im amerikanisch-griechischen Spott-Stil. Motto: Hinter jedem Satz lauert eine geistreiche, witzige und höchst zweideutige Spitze, amüsiert ein komischer Gedanke. Woody Allen spielt dabei einmal mehr Woody Allen. Als Lenny ist er ein kleiner, blasser Philosoph und Sportjournalist, mit hängenden Schultern im breiten Anzug: ganz klar, ‘Woody, der Unglücksrabe‘ im nunmehr 7. Lebensjahrzehnt. Doch lässt er diesmal einer Kollegin gerne den Vortritt und begnügt sich mit listigen Stichworten. Nach der kessen Gangster-Braut Jennifer Tilly in “Bullets over Broadway“ heißt nun die neue Trash-Queen MIRA SORVINO. Mira Sorvino: eine phantastische Aphrodite, mit schräger Helium-Stimme und einer wunderbar-ordinären Sprache. Als schlagfertige “Eliza Doolittle“ aus der Gosse ist sie eine hinreißende Domina, die dem verwirrten Lenny von ihren Filmen wie “Die verzauberte Muschi“ vorschwärmt. Eine Alptraum-Erscheinung für einen vergeistigten New Yorker, der sich nach letzter (?) Körperlichkeit sehnt und bei dieser blonden Liebes-Göttin mit Micky-Mouse-Stimme und Phallus-Charme “landet“. Die 26-jährige Mira Sorvino, Tochter des Charakterdarstellers Paul Sorvino, erhielt für ihren sympathisch-geschmacklosen Gala-Auftritt im Frühjahr zu Recht die „Oscar“-Trophäe als “beste Nebendarstellerin“.
Fassen wir also zusammen: “Geliebte Aphrodite“ oder: Es ist wieder einmal unmöglich, von einem neuen Woody-Allen-Film nicht wunderbar unterhalten zu werden. Sein neuer Film ist, übrigens auch in seiner stimmungsvoll-jazzigen Musikalität, d i e Kino-Komödie in diesem Sommer (= 5 PÖNIs)!