GEGEN DEN STROM

PÖNIs: (5/5)

„GEGEN DEN STROM“ von Benedikt Erlingsson (Co-B + R; Island/Fr/Ukraine 2017; Co-B: Ólafur Egill Egilsson; K: Bergsteinn Björgúlfsson; M: Davio Pór Jónsson; 101 Minuten; deutscher Kino-Start: 13.12.2018); mit seinem Debüt-Spielfilm „Von Menschen und Pferden“ (s. Kino-KRITIK) war ich überhaupt nicht einverstanden. Mit seinem zweiten Spielfilm dagegen ist dem am 31. Mai 1969 in Reykjavik geborenen BENEDIKT ERLINGSSON ein spannendes menschliches wie politisches Meisterwerk gelungen.

Eine Frau begehrt auf. Originaltitel übersetzt: „Eine Frau zieht in den Krieg“. Halla (HALLDÓRA GEIRHARDSDÓTTIR) lebt in Reykjavik. Die 50-jährige gilt als warmherziger Mitmensch, ist beliebte Chorleiterin und unabhängig. Demnächst allerdings wird sie Adoptivmutter. Alles also im sanften Bereich. Im sanften Bereich? Von wegen. Halla ist auch eine knallharte Öko-Aktivistin, die mit ihren „Aktionen“ immer wieder – unerkannt – die Mächtigen im Land erheblich „stört“. Weil sie für viel Unruhe sorgt. Als „Bergfrau“ zieht sie mit Bogen und Pfeil in die Landschaft, um die Stromversorgung zu kappen. Zu sabotieren. Gleich zu Beginn begleiten wir sie auf einer dieser „Attacken“. Mit denen sie darauf aufmerksam machen will, dass Islands schönes Hochland bedroht ist, seitdem die Regierung mit China in Sachen Investitionen in die einheimische Aluminium-Industrie verhandelt. Was bei erfolgreicher Abmachung zu erheblichen landschaftlichen „Veränderungen“ führen würde. Die Offiziellen sind stinkesauer und lassen nichts unversucht, „die Störenfriede“ aufzuspüren. Dass hier eine einzelne gestandene Frau ihre aktiven Hände im Stör-Spiel hat, können sie sich (vorerst) nicht vorstellen. Während die Medien mit den Mächtigen kooperieren und weniger an kommende Umweltverschmutzung, Umweltzerstörung denken, sondern aufgeregt und wütend von Mehr-Wohlstand faseln.

Als Halla die Nachricht erhält, dass ihrem vor Jahren gestellten Antrag auf Adoption eines 4-jährigen ukrainischen Waisenkindes jetzt stattgegeben wurde, entschließt sie sich zu einem finalen Coup. Doch die Verfolger, ausgerüstet mit technischem Spitzen-Know-How und unterstützt von CIA und Mossad, sind ihr buchstäblich auf den Fersen. So dass sogar ihre Reise zu ihrem Kind in die Ukraine auf der Kippe steht. Allerdings…

Ein simpler Öko-Krimi? Wie man möglicherweise vermuten kann? Alles andere als das. „Gegen den Strom“, was für ein schöner, doppelbödiger film-programmatischer deutscher Titel, signalisiert von Anfang an zwar Ernsthaftigkeit, aber mit (sehr) viel brillantem Spott-Schalk. Und zwei grandiosen wie lakonischen Dauer-Pointen: Als schwarz-komischer Running Gag gerät ein völlig unschuldiger lateinamerikanischer Tourist immer wieder in das „Blickfeld“ der Verfolger; und der ironische Soundtrack zum Film wird hier ständig live geliefert – sowohl von einer dreiköpfigen männlichen Musikkapelle, die aus einem Kaurismäki-Film ausgeliehen sein könnte (man spielt stoisch Klavier, Akkordeon, Tuba & Schlagzeug), wie auch durch ein Sängerinnen-Trio aus der Ukraine in Landestracht. Die das Geschehen – in urbaner Natur wie auch in Innenräumen – musikalisch sozusagen „kommentieren“. Stimmungsanpassend begleiten. Mal die Ballade, mal den Rock klingen lassen. Was für ein properer Einfall! „Immer, wenn diese Musiker auftreten, setzt der Filmemacher die betreffende Szene gewissermaßen in Anführungszeichen“ (Anke Westphal in „epd film“/Dezember).

Sonst heißt es ja des Öfteren in Kritiken, der Film sei viel zu lang. Hier dagegen muss man schon nach 100 Minuten leider Abschied nehmen. Was bei dieser scharf denkenden wie scharfzüngigen, fein pointierten Stinkefinger-Komödie zum Bedauern führt. Gerne hätte man mit Halla noch „weiter-gemacht“. In dieser überwältigenden kargen Landschaft, für deren Erhalt man sich mit Halla solidarisiert.

„Gegen den Strom“ ist ein überragend kluges wie einfallsreiches Stück wunderbares Kino mit spannenden, sehr unterhaltsam laufenden Gedanken und listigen „optimistischen“ Einfällen. Und diese Hauptakteurin, mit diesem unaussprechlichen, schönen Namen – HALLDÓRA GEIRHARDSDÓTTIR – verdient mit ihrer poetischen Coolness ein Sonder-Lob! Das Arthaus-Kino hat zum Jahresende einen sagenhaften HIT (= 5 PÖNIs).

 

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