„E.T. – DER AUSSERIRDISCHE“ von Steven Spielberg (Co-Produzent + R; USA 1981/82; B: Melissa Mathison; K: Allen Daviau; M: John Williams; 115 Minuten; deutscher Kino-Start: 09.12.1982).
Im Sommer 1982 kommt in den USA ein Film heraus, der binnen kürzester Zeit nicht nur zum Renner der Saison, sondern gleich zum erfolgreichsten Film aller Zeiten avanciert. Was die Finanzen betrifft. Innerhalb von nur sechs Wochen spielt er die Rekordsumme von 140 Millionen Dollar ein. Weltweit wird mit einer Gesamteinnahme von Millionen gerechnet, gekostet hat der Streifen 10 Millionen. Zum Vergleich: die bisher kassenstärksten Filme der Filmgeschichte waren „Krieg der Sterne“ (187 Millionen Dollar), „Das Imperium schlägt zurück“ (135 Millionen) und „Der weiße Hai“ (133,4 Millionen). Auf Platz 12 zurückgefallen ist übrigens inzwischen der 1939 entstandene Victor Flemings Klassiker „Vom Winde verweht“ mit „nur“ 76,7 Millionen Dollar.
Die Leute sind voll begeistert, auch die Kritik hat nichts wesentliches „dagegen“ zu sagen – können Millionen Fans sich so irren… Dennoch: Hierzulande sind wir, was US-Erfolgszahlen wie Filme betrifft, mittlerweile weitaus nüchterner geworden, als dies früher einmal der Fall war. Zu oft schon hat sich das, was drüben im Kino umjubelt wurde, für uns, für unser europäisches Gemüt, als zu simpel oder zu fade herausgestellt. Gegenbeispiele seien nicht verschwiegen: „Der weiße Hai“, „Unheimliche Begegnung der dritten Art“ und „Jäger des verlorenen Schatzes“ waren auch bei uns Kassenhits. Übrigens: alle drei hat Steven Spielberg gemacht.
„Ich wollte seit langem einen Film mit Kindern und für Kinder machen, einen Film über die Welt von jungen Leuten, deren Erfahrungen und Sichtweisen. Und um drei oder vier Kinder in ihrem Verhältnis zur Umwelt darzustellen, lag es für mich nahe, eine total fremde Figur einzuschleusen, die mit der Erwachsenenwelt nichts zu tun hat. Eine Figur, die diese Kinder richtig fasziniert oder fordert“, äußerte sich der Regisseur im Frühjahr in Cannes auf der Pressekonferenz nach der Vorführung.
Dabei fängt „E.T.“ (Abkürzung für „Extra-Terrestrial“) gar nicht wie ein Film für Kinder an, im Gegenteil. Die ersten Bilder lassen auf etwas ganz Normales, etwas Ekliges schließen. Ein fremdes Raumschiff ist gelandet. Irgendwelche monsterähnlichen mit rot glühenden Augen, blinkenden Zeigefingern, langen, verstellbaren Hälsen und schwerem Atem ausgestattete Wesen flitzen in der Dunkelheit hin und her. Offensichtlich aber sind sie nicht in böser Mission auf die Erde gekommen, denn sie ordern nur Pflanzen, Sand und Gestein aus der unmittelbaren Umgebung und verfrachten dann das Ganze in ihr Raumschiff (das übrigens von vorne verteufelte Ähnlichkeit hat mit dem „weißen Hai“). Eines von ihnen ist neugierig geworden, krabbelt auf eine Anhöhe, und erhält einen wunderschönen Blick auf Los Angeles bei Nacht.
Wo die Menschen natürlich nicht nur gepennt haben und nun nachsehen kommen, was da in ihrer Nähe geschehen ist. Ihre schwarzen, schweren Limousinen verbreiten dabei mehr Unruhe und Bedrohung als diese kleine Wesen, die natürlich die Gefahr wahrgenommen haben. Die Stiefel der suchenden Männer klatschen aus den Wagen, ihre Schlüssel klirren laut um die Hüften, die Autoabgase stinken förmlich bis in den Zuschauerraum hinein. Monster-Junior hockt derweil im Gebüsch und bibbert. Er hat fürchterliche Angst. Die Männer entdecken ihn und die Hetzjagd beginnt. Währenddessen hebt das Raumschiff ab und lässt den Kumpan zurück. Er ist unter uns.
„UFO-Filme und andere Filme mit extraterrestrischen Lebewesen, mit denen ich aufgewachsen bin, haben auch viele andere Leute beeinflusst. Fanclubs schossen damals wie Pilze aus dem Boden, und viele Fan-Magazine werden bis heute herausgegeben. Einige von diesen Fans sind dann aufgrund ihrer Leidenschaft auch zum Film wie ich. Sie wurden Techniker und Maskenbildner. Und ich habe mir mein Team für diesen Fim unter diesen Liebhabern ausgesucht. Das Wahnsinnige dabei ist, dass diese Leute von ihrer eigenen Arbeit so fasziniert sind. Als wir E.T. zum Laufen und Sprechen brachten, waren sie total angetörnt davon, wie gut und perfekt das aussieht. Wir fühlten uns alle wie eine große Fan- und Glaubensgemeinde von dem, was wir da gerade machten“, so der heute 34jährige Steven Spielberg.
Einer seiner Glaubensbrüder heißt Carlo Rambaldi. Der aus Italien stammende Maler und Bildhauer schuf „E.T.“ aus Fiberglas, hartem Kunststoff und Schaumgummi (Gerüchte besagen, dass in einigen wenigen Sequenzen auch ein Mensch in ein E.T.-Kostüm gesteckt wurde). Die Bewegungen dieser mit 3,5 Millionen Dollar wohl teuersten Filmpuppe aller Zeiten wurden teils mechanisch, teils elektronisch gesteuert. Rambaldi kam es darauf an, diesem Fabelwesen soviel „menschliche“ Regungen wie nur irgendwie machbar zu ermöglichen. Schließlich sollte und wurde „E.T.“ das menschlichste Monster das je geschaffen wurde sein.
„Louis, I think this is the beginning of a beautiful friendship“, sagte 1942 Humphrey Bogart zu Claude Rains in der letzten Szene von „Casablanca“. Davon träumen und erzählen wir heute noch. Und von so einer ungewöhnlichen, schönen Freundschaft handelt auch „E.T.“. Der zehnjährige Elliott ist der erste Erdbewohner, der mit ihm in Kontakt kommt. Es dauert genau 20 Filmminuten, dann ist die Verständigung hergestellt. Und E.T. lernt zunächst einmal die Errungenschaften einer amerikanischen Ess-, sprich Ketchup-Kultur kennen. Erlebt am eigenen Leibe zum ersten Male die Vorzüge des Genusses von Dosen-Bier (gab’s das überhaupt schon mal: ein besoffenes, rülpsendes Monster?), darf über den alltäglichen TV-Wohnstuben-Horror (von Tom & Jerry bis zu Frankenstein) staunen, begreift mit den Telefonen umzugehen und bringt erste Sätze zustande und hat schließlich – Heimweh.
Es wäre eigentlich alles idyllisch, wenn es dabei nicht die Erwachsenen gäbe. Die haben natürlich mitbekommen, wer in Elliotts Elternhaus Einzug gehalten hat, schließlich ist man ja mit ausreichend moderner Beschnüfflungsapparatur ausgerüstet. Sie, Wissenschaftler, Mediziner, und sicherlich auch Politiker und das FBI, wollen E.T. haben. Teils zu Forschungszwecken, bestimmt aber auch, um ihn zu vernichten. Was soviel bedeutet wie: E.T. darf tricksen, wenn es ganz Dicke kommt. Und schließlich „nach Hause“ telefonieren…
Die Idee ist ebenso simpel wie verblüffend. Man verdreht ganz einfach die herkömmliche Horrorfilmstruktur. Tausche Gut/Böse um, benutze einmal die technischen Gegebenheiten der heute machbaren Spezialeffekte nicht zum Selbstzweck, sondern zur Vermittlung, Unterhaltung „wirklicher“ (märchenhafter) Phantasie, gebe dem Ganzen die Gefühlswelt der besseren Disney-Filme bei, nehme Angst, Blut und Tod heraus und orchestriere eine stimmungsvolle, gewaltige „Opern“-Musik dazu – und fertig ist „der beste Disney-Film, den Disney nie gemacht hat“ („Variety“).
„E.T.“ ist wunderschönes Zuckerguss-Kino (= 5 PÖNIs).