ESCAPE FROM TOMORROW

Auf dem amerikanischen Plakat ist „groß“ eine blutige Mickey Maus-Hand zu sehen. Was für eine Provokation! Nicht nur deshalb galt beim renommierten „Sundance Festival“ dieser Film im Januar 2013 als Geheimtipp.

Es gibt Filme, deren Herstellung ist mindestens genauso „heftig“ und spannend wie das Belichtete. Um solch einen neuen US-Film handelt es sich hier, der soeben Deutschland-Premiere im hiesigen Heimkino hatte:

ESCAPE FROM TOMORROW“ von Randy Moore (B + R; USA 2012; K: Lucas Lee Graham; M: Abel Korzeniowski; 90 Minuten, original = 104 Minuten; schwarz-weiß; Heimkino-Veröffentlichung: 23.04.2015).

Die WALT DISNEY Vergnügungsparks sind die wohl buntesten Veranstaltungsstätten auf der Welt. Weltweit gibt es derzeit 13 (in vier verschiedenen Ländern auf drei verschiedenen Kontinents = Nordamerika, Asien und Europa), aber wir konzentrieren uns auf die beiden bekanntesten und erfolgreichsten in den USA: Auf „Disneyland“ im kalifornischen Anaheim (existiert seit 1955) und auf „Disney World“ (seit 1971) in der Nähe von Orlando/Florida. Denn an beziehungsweise vor allem IN diesen beiden Extrem-Spaß-Stätten entstand dieser Film. HEIMLICH. Denn eine offizielle Drehgenehmigung für einen Spielfilm an diesen Orten, mit diesen vielen rechtlich geschützten Figuren, würde die Disney-Firma nie erteilen. Zumal wenn es auch noch das erzählerische Bemühen eines Films ist, all das genüsslich zu zerstören, was diese gigantischen Illusions-Parks ausmachen: Erlebnis-Nettigkeiten, eine Dauer-Süße, ewiger Zucker-Guss und immerwährende Freundlichkeit(en). Eine „lebendig“ platzierte Animations-Wirklichkeit. Zum Laufen und Fahren. Zum Staunen und Bezahlen.

Merkwürdig: Wie befinden uns hier von Anfang an „im Schwarz-Weiß“. Nichts ist von den wirkungsvollen prallen, knalligen Farben zu sehen, stattdessen dominiert das graue Farblose. Schneewittchen, Mickey Maus, Goofy und Cinderella als farblose Gestalten, hey, was soll das? Weshalb bekomme ich von Sekunde 1 gleich den unheimlichen Eindruck von latenter Bedrohung hier? Von Vergnügen keine Spur, viel mehr ist eine noch nicht zu definierende An-Spannung dauerhaft annonciert. Was haben diese beiden ununterbrochen kichernden französischen Girlies für eine Bedeutung? Sie tauchen immer und immer wieder im Bild auf und signalisieren, uns ist „komisch“ zu Mute. Allerdings, komisch = gleich = hämisch-gefährlich. Irgendwie. Oder doch nicht?

Aber stellen wir die Hauptakteure vor: Familie White. Vater, Mutter, kleine Tochter, etwas älterer, aufmüpfiger Sohn. Er, Daddy Jim, erfährt in der ersten Szene des Films telefonisch von seinem Chef, dass er entlassen ist. Es ist der letzte „Disney“-Besuchs-Tag, also beschließt Jim (ROY ABRAMSOHN) seiner Ehefrau Emily (ELENA SCHUBER) erst einmal nichts zu sagen. Lieber noch ein paar Stunden aufgesetzte Park-Fröhlichkeit. Doch dann bei ihm plötzlich tauchen erste Wahrnehmungsstörungen auf. Während andauernd vor ihm diese beiden Französinnen herumscharwenzeln. „Leichte Zwischenfälle“ häufen sich. Der familiäre Zusammenhalt bröckelt. Ein wenig. Alles, was fortan gesagt und getan wird, erhält mittenmal eine mysteriöse düstere Doppeldeutigkeit. Kann also stets auch „negativ“ ausgelegt werden. Plötzlich erhalten die Blicke, Gesten und Äußerungen des mehr und mehr zum „Es tut mir leid“-Arschloch mutierenden wie überforderten und verstörten Jim White eine irritierende „Mutation“. Zumal seine unkontrollierten Eskapaden und visionären „Handhabungen“ – oder sind es nur seine lüsternen „Wet Dreams“-Phantasien – zunehmen. Was ist mit diesem Rollstuhl-Typ, der ihm andauernd und mitunter aggressiv begegnet? Und was verbirgt sich hinter dieser aufdringlichen Frau und ihrer hypnotischen Halskette? Die ihn anmacht? Und warum erzählt diese Krankenschwester, die seine Tochter verarztet hat, etwas von einer gefährlichen, lebensbedrohlichen Katzengrippe? Die sich HIER verstärkt ausgebreitet habe. Und überhaupt: Passen Sie da-draußen auf, lässt sie auch noch süffisant verlauten. Um danach zu heulen anzufangen. Wieso? Warum? Weshalb? Erscheinen Phantasie- und Real-Figuren auf einmal wirklich grausam, brutal, blutig? Und enorm sexistisch? Ist diese ganze, doch eigentlich, an diesem Vergnügungsjahrmarkt, so schön erwartete Märchen-Laune dahin? Für die Familie White? Deren Strapazen immer umfangreicher werden.

Und überhaupt: Wieso wird hier so vehement die Disney-DNA angekratzt? „ESCAPE FROM TOMORROW“ stellt das ganze schöne schmucke Disney-Schmuse-System grob in Frage. Der Park-Trip als atmosphärischer Trash-Alptraum. In dem Figuren, Luftballons, Maskottchen und Motive sich völlig anders zeigen und „umgekehrt“ zu bewerten sind als bekannt. Nämlich gemein und gefährlich.

Dermaßen konsequent provokant, radikal und hemmungslos hat sich filmisch noch Niemand an die Weihestätten des friedvollen, geschäftstüchtigen Disney-Imperiums herangewagt. Dem Filmemacher RANDY MOORE (bislang unbekannt gewesen) sei Debüt-Dank: Sein Stoff und Film ist herrlich anti-stimmungs-prächtig. Vermittelt kolossalen Bluff-Geschmack und wird sicherlich bald zum Adel der deftigen Kult-Movies zählen. Als amüsantes Schurkenstück. Mit viel Bewunderung für das filmische Piratenmeisterstück eines cleveren, ausgebufften Künstlers!

Apropos – Goliath DISNEY hat sich, im Gegenteil zu den Erwartungen des Film-Teams, NICHT zu diesem Film geäußert. Hat also auch keinen öffentlichen Einspruch sowie auch keine Klagen ausgelöst. Sehr zum Verdruss von Randy Moore. Der hatte sich „dadurch“ mehr öffentliche Wirksamkeit, sprich Aufmerksamkeit, versprochen (= 3 1/2 PÖNIs).

Anbieter: „Koch Media“

 

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