„EINS, ZWEI, DREI“ von Billy Wilder (B, Prod. + R; USA 1961; K: Daniel L. Fapp; M: André Previn; 108 Minuten; Start D: 18.12.1961 + Erstentdeckung D: Mai 1985; DVD-Veröffentlichung: 22.06.2004)
– „Napoleon hat versagt, Hitler hat versagt, aber Coca Cola wird‘s schaffen“ – (Filmspruch)
Wein, das ist bekannt, reift und steigert seine Qualität, je älter er wird. Ein Film von gestern dagegen ist heute meistens altmodisch und oftmals auch ungenießbar. Natürlich gibt es auch reichlich Ausnahmen innerhalb der Filmgeschichte, aber so eine wie hier, ist ganz selten. Denn dass ein Film erst rund 25 Jahre nach seinem Entstehen entdeckt und umjubelt wird, ist höchst selten. Aber um so ein Juwel handelt es sich hier. Geschaffen hat ihn der Mann, der mit Frank Capra, Ernst Lubitsch und Howard Hawks auf eine Qualitätsstufe zu stellen ist und zu den großen alten Komödien-Regisseuren Hollywoods zählt. Er hat ihn fernab der L.A.-Studios in beiden Teilen Berlins und. später dann in München im Sommer 1961 gedreht. Zu einem Zeitpunkt also, der damals wie heute ein Reizpunkt im Beziehungsklima von West und Ost bedeutet: Stichwort Mauerbau.
Während einer solchen brisanten Polit-Atmosphäre einen Film eben über jenes gespannte Verhältnis zwischen den beiden Gesellschaftsschichten zu drehen, ja darüber sich sogar kräftig spottend-grotesk auszulassen, das war damals zu viel nicht nur für die West-Berliner, sondern auch für die Bundesdeutschen, als dieser Streifen im Dezember gleichen Jahres in ihre Kinos kam. Es hagelte nur so Proteste ob des schlechten Geschmacks und dieser Polit-Clowns hier, und auch die (rechte wie liberale) Presse schoss sich auf diesen “verfehlten Zeitbeitrag“ (‘Film-Dienst‘) kräftig ein, so dass schließlich der Film bald darauf schon in der Versenkung verschwand. Bis vor drei Jahren, als ihn die Franzosen, wer sonst, für sich vereinnahmten. Im Zuge der wiederentdeckten 50er lief er viele Monate in der französischen Metropole und war ständig ausgebucht. Georges Sadoul sollte also seiner “Geschichte der Filmkunst“-Kommentierung wieder einmal recht behalten haben: “Ein Filmkünstler, der große Filme inszeniert, die niemanden bekannt würden, ist unvorstellbar“. Manchmal dauert es halt nur eine Weile.
Der Autor, Regisseur und Produzent Billy Wilder, der am 22. Juni 79 Jahre alt wird, hat es während der vergangenen Jahrzehnte immer wieder glänzend verstanden, den Beifall des Publikums wie der Kritik, vielleicht mit Ausnahme dieses damaligen “Faux pax“ , hervorzurufen. Popularität und künstlerische Anerkennung spiegeln sich beispielsweise in der Zahl seiner Auszeichnungen. Er erhielt sechs “Oscars“ und wurde (als Autor, Regisseur und Produzent) bislang insgesamt zwanzigmal für diese begehrte Trophäe nominiert. Wilders Talent, Kunst und Kasse miteinander zu vereinen, “Ein Film, der nicht unterhält, bewirkt nichts“, war schon immer Motto und Absicht seiner Arbeiten, von denen hier nur die Klassiker wie “Boulevard der Dämmerung“, “Zeugin der Anklage“, “Irma la Douce“ und “Extrablatt“ genannt sein sollen. Wilders Werk ist vor allem dadurch gekennzeichnet, dass er seinem Publikum mal auf
heiter-ironische, mal auf bissig-makabere Weise klarmachte, dass sich die Welt stets in jene aufgliedert, die Geld und Macht besitzen und andere schamlos manipulieren, und in jene, die dem Anpassungsdruck bis zur völligen Deformierung der Persönlichkeit nachgeben, weil sie kaum eine andere Möglichkeit sehen, die Dinge sonst zu ihren Gunsten zu gestalten.
In “One, Two, Three“ jongliert er mit allen diesen Merkmalen. Zunächst aber bleibt dem Zuschauer vor diesem schwarz-weißen Cinemascope-Film, insbesondere dem West-Berliner, sicherlich regelrecht die Spucke weg. Nicht nur, weil dieser in einem sich überschlagenden, grellen Farce-Supertempo überaus geräuschvoll-deftig vorüberrauscht, sondern weil er eben, selbst für heutige Verhältnisse immer noch reichlich aneckt mit gesellschaftlichen wie politischen ‘Heiligtümern‘ der Kalten-Nachkriegszeit dermaßen spott-rüde umspringt, dass man aus dem Staunen, wenn gerade mal Lachpause gestattet ist, nicht herauskommt. Warum das so ist, sei einmal an dem Versuch einer einigermaßen “vernünftigen“ Inhaltsbeschreibung aufgezeigt. Hätten Sie sich bisher allen Ernstes vorzustellen vermocht, dass die “Spessart“- und heutige “Sesamstraßen“-Lilo (Pulver), blond und sexy-engrockig, in einer Ost-Berliner Kaschemme, die dort als ‚Grand Hotel Potemkin‘ (vormals Göring/Bismarck) angeboten wird, vor einheimischen, also bekanntermaßen kommunistischen “Bonzen“ einen solch heißen Striptease auf den Tisch fetzt, dass denen dort sämtlicher Marxismus-Leninismus ausgeht? Oder würden Sie sich bitte einmal vorstellen, dass ein West-Berliner Filialleiter einer bekannten amerikanischen Getränkefima namens MacNamara alias James Cagney mit seinem treuen, zackigen Ex-Gestapo-Sekretär Hanns Schlemmer alias Hanns Lothar (“Ich war im Untergrund…in der U-Bahn… welchen Adolf? Wissen Sie, ich war so tief unter der Erde, ich wusste gar nicht, was oben los war“) eine Intrige zwischen den Brandenburger Toren hier und dort in Gang setzen, weil sich die leicht beknackte, aber nymphomanisch veranlagte minderjährige Tochter des Konzern-Bosses, die MacNamara für sechs Wochen anvertraut war, ausgerechnet in einen armen, aber klassenbewussten jungen ‚Hotte‘ Buchholz “von drüben“ verknallt hat und den auch gleich geehelicht hat, während derselbe kurze Zeit darauf durch ständiges Abnudeln der Single “Itsy Bitsy Teenie Wienie Honululu Strandbikini“ von der Volkspolizei gefoltert wird, um so den Verrat am sozialistischen Vaterland bestätigt zu bekommen…?! Das ist doch bekloppt, oder?
Weitere Einzelheiten zu erzählen, hat gar keinen Zweck, denn sie sind so überdreht, so atemberaubend-frech und amüsant, so knallig-schick von Wilder und seinem ständigen Drehbuch-Kompagnon I.A.L. Diainond ausgebrütet worden (“Das Drehbuch macht 80% eines Films aus“), dass jede intellektuelle Gegenwehr zwecklos ist. Diese ständige Doppeldeutigkeit, diese kleinen, feinen boshaften Spitzen auf “allgemeines und spezielles Fehlverhalten“ lassen keine Kritik am beispielsweise viel zu plötzlichen und deshalb reichlich unverständlichen Polit- “Umschwung“ eines überzeugten ‚Hotte‘-Kommunisten mehr zu, der nun als Grafensohn in die Chefetagen der Kapitalisten katapultiert, während MacNamara-Cagney samt Familienanhang, mit einer ‚Pepsi‘ im Arm, Berlin-West in Richtung US-Karriere verlassen.
Genießen wir also die Gags und Pointen zuhauf in einem wahren Feuerwerksirrsinn mit Methode, der scharfzüngig-brilliant und überrumpelnd funktioniert und 1985 als prächtige Top-Unterhaltung gilt. (= 5 PÖNIs).