THE DROP – BARGELD

THE DROP – BARGELD“ von Michael R. Roskam (USA 2013; B: Dennis Lehane, nach seiner Kurzgeschichte „Animal Rescue“; K: Nicolas Karakatsanis; M: Marco Beltrani; 105 Minuten; Start D: 04.12.2014); was es ausmacht, wenn ein Film mit einem gescheiten Drehbuch ausgestattet ist, zeigt sich hier: Wir wissen nicht bereits nach fünf bis zehn Minuten, wer welchen Charakter genau spielt (weil er in dieser Starre auch „so“ bleibt); wir können an keiner Stelle dieser permanent atmosphärisch- flirrigen Geschichte auch nur annähernd einschätzen, wohin die phantastische Reise sich hinbewegen wird, was für eine ungewöhnliche Dauer-Spannung sorgt; und wir haben es nicht mit diesen glatten, „fest“ gekennzeichneten Figuren zu tun, die uns im amerikanischen TV-(Serien-)Alltag wie in vielem US-Kino ständig begegnen. Und langweilen. Will sagen: Dies hier ist von der ersten Sekunde an ein „anderer“, ernst zu nehmender, gut draufzuschauender US-Menschen-Thriller, der ständig fasziniert. Prädikat: Ganz und gar wunderbar außergewöhnlich!

DENNIS LEHANE, geboren am 4. August 1965 in Dorchester/Boston/Massachusetts. Sein Name ist Synonym für qualitativ hochklassige, spannende Kriminalromane. Bekannt wurde der Klasse-Erzähler durch seinen Bestseller „Spur der Wölfe“ (von 2001), den Clint Eastwood eindrucksvoll unter seine Regie-Fittiche nahm und 2003 unter dem Kino-Titel „Mystic River“ erfolgreich herausbrachte (6 „Oscar“-Nominierungen; Auszeichnungen für den „besten Hauptdarsteller“: Sean Penn und den „besten Nebendarsteller“: Tim Robbins). Ben Affleck adaptierte 2007 den Lehane-Roman „Kein Kinderspiel“ (von 1998) für sein imponierendes Regie-Debüt „Gone Baby Gone – Kein Kinderspiel“. 2009 verfilmte Martin Scorsese Dennis Lehanes Roman „Shutter Island“ (von 2003) mit Leonardo di Caprio in der Titelrolle.

Erst war es „nur“ eine Short-Story. Sie kam 2009 unter dem Titel „Animal Rescue“ heraus. Daraus entwickelte Dennis Lehane ein Film-Drehbuch, aus dem wiederum die Romanfassung „The Drop“ entstand. „Drops“ sind Unterweltaktivitäten. An Orten, bei denen Mafia-Money „zwischengeparkt“ wird. Um bei eventuellen Kontrollen nicht in Erklärungsnöte über die vielen Bündel Geldscheine zu geraten. Die Bar „Cousin Mav’s Bar“ im New Yorker Stadtteil Brooklyn ist solch eine Anlaufstelle. Wurde von Jahren von Tschetschenen übernommen. Was Betreiber, aber eben Nicht-Mehr-Besitzer Marv (JAMES GANDOLFINI) immer noch nicht verknust hat. Doch sein Widerstand gegen diese „feindliche Übernahme“ war damals wohl nicht allzu groß. Wie wir irgendwann einmal erfahren. Von Bob Saginowski (TOM HARDY/“No Turning Back“).

Bob ist Barkeeper in der Kaschemme seines desillusionierten Cousins Marv. Schenkt aus, spült die Gläser und kümmert sich nicht um „die Angelegenheiten“. Bob ist offensichtlich ein schlichter Mensch, mit „einfachen“ Ambitionen. Dies ändert sich, als er einen in die Mülltonne verfrachteten Hunde-Welpen in der Nachbarschaft entdeckt. Und die junge Frau, Nadja (NOOMI RAPACE), auf deren Grundstück sich die Tonne befindet, um Mithilfe bei der Pflege und Erziehung des Pittbulls bittet. So lernen sie sich kennen – zwei beschädigte Außenseiter inmitten dieser Unterschichten-Region. In die nun mehr „Bewegung“ kommt. Erst wird die Bar von zwei Maskierten überfallen, dann taucht auch noch der undurchsichtige Ex-Besitzer des Hundes und Ex-Lover von Nadja, der aggressive Eric (MATTHIAS SCHOENAERTS), auf, um „Besitzansprüche“ geltend zu machen. Währenddessen der tief im Innern äußerst wütende Marv sein ganz eigenes Spiel „angepfiffen“ hat. Und der äußerst eigenwillige Polizei-Ermittler Detective Torres (JOHN ORTIZ) ungewöhnlich herumschnüffelt. Was ist hier wirklich los? Und warum? Und wer spielt überhaupt welche Rolle? Im Guten wie im Bösen? Wenn es DAS überhaupt zu unterscheiden gibt?

Es ist ziemlich kalt hier. Auf den Straßen wie in den Räumen. Dabei geht es eher besonnen zu. Von gewalttätigen Exzessen keine Spur(en). Die spannenden „Argumentationen“ entstehen und zeigen sich aus den minimalistischen Reaktionen der Figuren. Über ihre „gefährliche“ Mimik. Ihren Sprach-Fetzen. Ihrer jeweiligen körpersprachlichen Intensität. Mit ihren unterschwelligen, verblüffenden Deutungs-Wendungen. Atmosphäre-pur.

Was für ein prächtiges internationales Kreativ-Team war hier am Handwerk: Regisseur MICHAEL R. ROSKAM stammt aus Belgien, wo sein Spielfilm-Debüt „Bullhead“ 2011 für den Auslands-„Oscar“ nominiert wurde, was die Eintrittskarte für seinen ersten Ami-Film bedeutete. „Sein“ heimisches Kamera-As NICOLAS KARAKATSANIS („Bullhead“) sorgt für eine prächtig düstere Lichter-(Be-)Stimmung. Mit sehr viel Warmkälte-Charme. TOM HARDY, der Brite (und starke Bösewicht Bane aus „The Dark Knight Rises“), tritt als Bob treu-unschuldig, mit fesselnd-intensivem Hundeblick auf und „ergänzt“ seinen vierpfotigen Begleiter vortrefflich. Ist gar nicht „richtig“ einzuordnen. So dass man ihn ständig als „doch gefährlich“ einstuft. Interpretiert. Die Schwedin NOOMI RAPACE errang internationales Renommee als Lisbeth Salander in der originalen (skandinavisch-deutschen) Adaption der Millennium-Trilogie nach Stieg Larsson und besitzt als Nadja hier ein ähnlich gelagertes emotionales Gefahren-Potenzial.

Und dann ist da noch das wehmütige Abschieds-Schauen: an JAMES GANDOLFINI, diesem „Soprano-Bären“ und einzigartigen Stark-Mimen. Der zuletzt sowohl als „Unhold“ („Killing Them Softly“/2012) wie auch danach als „Romantiker“ in der schmucken Komödie „Genug gesagt“/2013) triumphierte. Und DER über viele Filme und Jahrzehnte unzählige Male begeisterte. James Gandolfini starb am 19. Juni 2013 im Alter von 51 Jahren während eines Urlaubs in Rom. „The Drop“ ist sein Vermächtnis. Als ausgelaugter, abgestumpfter Bar-Kerl Marv überzeugt er mit seinem ur-gewaltigen, ausdrucksvollen listig-leisen Spiel. Bewegung, Augen, der massige Körper, die wutvollen Gesten, die tückischen Blicke, diese ewige Anspannung und Unruhe, die nur mühsam unterdrückten Gedanken und Gemeinheiten: James Gandolfini ist noch einmal Herrscher und Beherrscher eines sensationell packenden Films, der als BROOKLYN NOIR in die Genre-Filmgeschichte eingehen wird. Weil er so einzigartig „Mainstream“ und „Arthouse“ zündend verbindet.

Auch wenn in diesen Tagen andere BRÜLLER-Filme in den Kinos dominieren: „The Drop – Bargeld“ zählt zum Unterhaltungs-Besten, was das auslaufende Kino-Jahr 2014 anzubieten hat. Ist bereits jetzt mit schon sehr viel(em) KULT-Geruch versehen (= 5 PÖNIs).

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