DJANGO UNCHAINED

PÖNIs: (5/5)

„DJANGO UNCHAINED“ von (und gegen Ende kurz auch mit) Quentin Tarantino (B + R; USA 2011/2012; K: Robert Richardson; Executive Music Producer: Quentin Tarantino; Titelsong: Rocky Roberts/Übernahme aus dem originalen „Django“-Film von 1965/66; 165 Minuten; deutscher Kino-Start: 17.01.2013); Mitte der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts: Sergio Leone hatte mit seinen beiden „Dollar“-Filmen („Für eine Handvoll Dollar“; „Für ein paar Dollar mehr“) das Western-Genre neu belebt und vor allem – Hollywood „weggenommen“. Nun trat der Regisseur SERGIO CORBUCCI (*06.12.1927 – †01.12.1990) auf die Italo-Western-Bühne, um mit vor allem zwei Streifen Filmgeschichte zu inszenieren: „DJANGO“ (1965/1966) und später mit dem Polit-Western „Leichen pflastern seinen Weg“ (1968/mit Jean-Louis Trintignant). „Django“, mit FRANCO NERO in der Titelrolle, war ebenso wie Clint Eastwood in den beiden Dollar-Filmen von Sergio Leone, als Western-Samurai angelegt. Ein gewalttätiger Solist, nach dem amerikanischen Bürgerkrieg nur noch sich und „seiner Gerechtigkeit“ verpflichtet. Der sich im Regen und Matsch „herum suhlt“ und einen Sarg mitschleppt, in dem sich ein Maschinengewehr befindet. Mit dem er schließlich massenhaft „Böse“ massakriert. Der Film „Django“ gilt allgemein als der schmutzigste und brutalste Kult-Western aller Zeiten. Hierzulande und vor allem auch in Großbritannien wurde er über die Synchronfassung erheblich „entschärft“, und in Großbritannien wurde der Film auch erst 1993 in der originalen Langfassung freigegeben. Bei uns lief der Film auch nur gekürzt in den Kinos und war auch in fast allen Fernsehfassungen nur geschnitten zu sehen. Seit dem 10.01.2013 gibt es hierzulande erstmals über „DVD/Blu-ray“ die komplette, ungekürzte Fassung vom „Django“-Original zu erleben.

Django wurde damals wegen seines riesigen Erfolges und seiner ungeheuren Wirkung „zur Marke“. Oft – und meistens auch schlecht – kopiert, vielfach „einfach so“ als Filmtitel (im Nachhinein) benutzt, obwohl der Film nichts mit dieser Figur zu tun hatte. Allerdings auch umgekehrt: „Django rides again“ war 1976 der Kinotitel in den USA für den besten Nicht-Django-Folgefilm überhaupt, für das (ebenfalls vielfach zerstückelte, „geschändete“) Meisterwerk „KEOMA“ von Enzo G. Castellari (mit Franco Nero). Die tatsächliche einzige wirkliche Django-Fortsetzung entstand erst 1986 mit der Produktion „Djangos Rückkehr“ von Ted Archer (= Nello Rossati), mit einem „müden“ Franco Nero. In Europa jedenfalls wurden im Laufe der Zeit etwa 70 Filme unter dem Django-Titel ausgewertet, dabei tragen nur 21 den Namen des Helden wirklich im Originaltitel. Übrigens – den „attraktiven“ wie erfolgsträchtigen Namen Django hatte Sergio Corbucci von dem Jazz-Gitarristen DJANGO REINHARDT übernommen. Und: Eine „witzige“ japanische Django-Parabel entstand 2007 mit dem Streifen „SUKIYAKI WESTERN DJANGO“ (s. Heimkino-KRITIK) von Takashi Miike und gilt als fernöstliche Hommage an das Ursprungswerk von Sergio Corbucci.

QUENTIN TARANTINO, seinen Namen verdankt er dem von Burt Reynolds von 1962 bis 1965 gespielten Hufschmied „Quint Asper“ in der US-TV-Westernserie „Gunsmoke“ (bei uns: „Rauchende Colts“), kennt diese Filme, kennt die Filmgeschichte(n) ganz genau. Der 1963 geborene Sohn einer irischstämmigen Halb-Indianerin aus Knoxville/Tennessee (und eines Italo-Amerikaners) wuchs am Rande von Los Angeles auf. Mit 15 brach er die High School ab, verbrachte die meiste Zeit in kleinen Vorstadtkinos. Eine Schauspielausbildung blieb erfolglos. Mit 20 hatte er sich ein immenses Fachwissen, ein „cineastisches Elefantengedächtnis“, erworben. Von seinem ersten, gemeinsam mit Freunden hergestellten Filmversuch, „My Best Friend’s Birthday“ (1987) existiert nur noch ein Fragment von 36 Minuten, da die letzten beiden Filmakte nach Fertigstellung im Schneideraum verbrannten. So gilt „RESERVOIRE DOGS“ von 1992 als sein erster eigentlicher Spielfilm. Handelt von sechs Gangstern (darunter Tarantinos Mentor Harvey Keitel), die sich nach einem Raubüberfall in einer Garage treffen und in einen blutigen Streit geraten. Mit „Reservoire Dogs“ (deutscher Kinozusatztitel damals: „Wilde Hunde“) huldigte Tarantino Sergio Corbucci und dessen „Django“-Film, indem er in einer Szene einen der Beteiligten (Michael Madsen) zum Messer greifen lässt, um einem gefolterten Polizisten das Ohr abzuschneiden. Nach diesem vielbeachteten fulminanten Kinodebüt wurde Quentin Tarantino mit seinen folgenden vier Filmen zum weltweiten Kult: „Pulp Fiction“ (1995) „Oscar“ für das „Beste Originaldrehbuch“, gemeinsam mit Roger Avary, „Jackie Brown“ (1997), „Kill Bill 1 + 2“ (2003 + 2004) sowie zuletzt „Death Proof – Todsicher“ (2007) und „Inglourious Basterds“ (2009).

„Django Unchained“, also „der entfesselte Django“ oder „der von Ketten befreite Django“, setzt zwei Jahre VOR dem amerikanischen Bürgerkrieg ein. In Texas anno 1858. Dort ist der deutschstämmige Dr. King Schultz (CHRISTOPH WALTZ), ein Zahnarzt aus Düsseldorf, mit seinem Pferd Fritz als offizieller Kopfgeldjäger unterwegs. Mit sauberer wie vornehmer An- wie Aussprache. Sucht er steckbrieflich ausgeschriebene Verbrecher, um – dead or alive – die lukrativen Prämien des Staates zu kassieren. Django (JAMIE FOXX) ist ein schwarzer Sklave. DEN King Schultz dringend „benötigt“, um ein besonders übles Brüder-Trio identifizieren zu können. Also befreit er Django erst einmal. Ebenso „robust“ wie „rechtschaffen“. Und macht sich mit ihm auf den blutigen wie „komischen“ Weg. Bei dem sich die Beiden zu verstehen lernen. Django erlebt sozusagen im Schnellkursus eine Aus- wie überhaupt Bildung. Im Schießen wie in der Kleidung. Was natürlich im Westen von damals für reichlich „Erstaunen“, Verwunderung(en), sorgt. Wo ein „freier Neger“ auf einem Pferd einen völlig ungewohnten Anblick bedeutet. Aber auch Django selbst benötigt einige „Überwindung“, um seine „neue Position“ begreifen und überhaupt akzeptieren zu können. Dass ein Weißer ihn nicht prügelt, als minderwertigen Sklaven terrorisiert, sondern gleichrangig und zivilisiert behandelt. Und mit ihm ZUSAMMEN fortan sogar „gute Geschäfte“ betreibt. Doch Django hat andere Pläne: will seine Ehefrau „holen“. Befreien. „Damit ich das richtig verstehe: Deine Sklavenfrau spricht Deutsch und heißt Broomhilda?“, heißt es auf Seite 43 des Drehbuchs von Tarantino und lautet die Frage des verblüfften Dentisten (aus „Focus“ 29/12).

Beim Picknick auf grüner Wiese, mit Gurkenbrot und Tee, referiert der „inspirierte“, kultivierte Dr. Schultz eine Kurzfassung der „Ring“-Sage, eine „Geschichte, die jeder Deutsche kennt“. Auf deren Fazit, „Siegfried geht durchs Höllenfeuer, weil Broomhilda es wert ist“, erwidert Django nur cool: „Ich weiß, wie er fühlt“. Was wiederum zum Finalsatz des erfreuten Menschenjägers führt: „Wenn ein Deutscher auf einen echten Siegfried trifft, ist das eine ziemlich große Sache“. Natürlich stellt sich der stets so treffsichere King Schultz fortan auf wie an die Seite seines Freundes Django und macht sich mit ihm auf die Spuren und Suche nach dessen Broomhilda von Shaft (KERRY WASHINGTON). DIE befindet sich „im Besitz“ des mächtigen Mississippi-Großgrundbesitzers Calvin Candie (LEONARDO DiCAPRIO), einem üblen wie listigen, einem eitlen wie sich offenbar ständig langweilenden und deshalb nach „Abwechslung“ wie mörderische Sklavenkämpfe, genannt „Mandingo-Fights“, suchenden und sich dabei stets vornehm gebenden „Kultur“-Rassisten. Ihn gilt es schauspielerisch geschickt wie trickreich auszumanövrieren. Was sich als zunehmend schwieriger offenbart, erweist sich doch sein schwarzer hündischer Butler-Begleiter Stephen (SAMUEL L. JACKSON) keineswegs als so debil wie er sich öffentlich präsentiert. Die Karten sind gemischt. Und die Schusswaffen bereit. Zum Ausrasten. Zum Explodieren.

Quentin Tarantino gibt sich wütend. Auf die Verbrechen seiner Vorfahren. An den Schwarzen. Baut angewidert wie extrem „real“ auf das grauenvolle Ausmaß ihres Leidens. Jedenfalls „soweit möglich“, schränkte er auf der Berliner Pressekonferenz ein. Die tatsächliche grausame Behandlungswirklichkeit der Weißen an den Schwarzen wäre filmisch nicht vorzeigbar, argumentierte er. Aber auch „so“ wird seine immense kritische Wut und seine laute wie bitterhumorige Anklage mehr als deutlich. Seh-, hör- wie denkbar. Doch Tarantino ist kein papierner Polit-Theoretiker, sondern vor allem ein Liebhaber des Genres U-Kino. Unterhaltungskino. So entwickelt er eine sorgsam strukturierte, plausibel funktionierende, urig-kesse, sehr intelligente, sehr emotionale, extrem spannende Mitdenk- wie Mitfühlgeschichte. Natürlich: mit sehr viel dazugehörigen, blutspritzenden, „dampfenden“ Action-Detail-Motiven eines „realistischen“ Tarantino-Westerns wie zugleich auch mit sehr viel schmunzelndem psychologischem Spannungsfeingefühl. Mit sehr viel herrlich zweideutigem Suspense-Geschmack. „Django Unchained“ bietet eine exquisit durchdachte wie klug „ausgespielte“, stimmige Handlung. Mit dabei schwarzem, doppelbödigem Gemein-Humor, etwa wenn er eine Klu-Klux-Klan-Bande (mit darunter: „Miami Vice“-Ikone DON JOHNSON und das „21 Jump Street-Dickerle“ JONAH HILL) geradezu lächerlich vorführt. Mit konsequenten Schund- und Wundbezügen zur „wirklichen“ Historie. Mit wunderbar cleveren, stimmungsvollen, pointierten Ironie-Dialogen (Christoph Waltz im Original dabei zuzuhören ist ein Genuss) sowie zahlreichen, Tarantino-gewohnten cineastischen Anspielungen (zum Beispiel auf seine geliebten schwarzen Billig-Rache-Reißer aus den 70ern). Plus einmal mehr wieder seiner exquisiten musikalischen „Dramaturgie“: mit dem neu aufpolierten Django-Pop-Titelhit von damals, gesungen von Rocky Roberts, gleich als Vorspann-Einstieg, mit rebellischem schwarzen Hip Hop-Protest, Richie Havens „Freedom-Woodstock“-Hymne, einer Ballade von Jim Croce oder mal wieder mit diesen wunderbaren originalen Klängen eines ENNIO MORRICONE. „Django Unchained“ ist INSGESAMT ein imposantes, gewaltiges, grandioses, köstliches Meisterwerk von einem vielschichtigen, ganz großen Western. Mit viel originellen Polit-„Spaghetti“, lakonischem Spaß und tougher Philosophie. Samt einer brillanten Action-Choreographie.

Und vor allem überragenden Interpreten, vor allem in den „Dabei“-Rollen. Will heißen: „Oscar“-Star JAMIE FOXX („Ray“) steht zwar aufrecht ordentlich an der Vorder-Rampe, führt überzeugend durch die Ensemble-Show, aber seine Mit- wie Nebenakteure zeigen geradezu Außerordentliches. Schauspielerisch Sensationelles. Und bilden eigentlichen die darstellerischen Heros: CHRISTOPH WALTZ offenbart sich als cleverer Bewegungsmelder, als pointierter Seelenverwandter von Quentin Tarantino in Eleganz, Ironie-Posen; überzeugt enorm-dicht als kauziger, blitzgescheiter Kopfgeldjäger; LEONARDO DiCAPRIO kann als feiner Drecksack von Herrenmensch seine phantastischen dämonischen Charme-Qualitäten mal voll zur Geltung bringen, deftig lächelnd ausspielen (eine definitiv „Oscar“-reife Darbietung); SAMUEL. L. JACKSON (Killer Jules und John Travolta-Partner in „Pulp Fiction“) ist zunächst gar nicht zu erkennen in seiner faustischen Maskerade und Doppelrolle als höfischer Diener seines Leonardo-Calvin-Herrn; er verbiegt und verbeugt sich listig-hinterhältig, hat sich längst profitabel wie verräterisch arrangiert mit seinem weißen Ausbeuter, bietet ein ekliges, prachtvolles Bild einer großen schwarzen widerlichen Schlange im Herrenhaus. Was für ein unglaublich prächtiger Auftritt dieses bulligen 63-jährigen Stars.

Sowie FRANCO NERO, der Ur-Django, inzwischen 70, taucht auch auf, hat einen kleinen Part als Amerigo Veseppi, Besitzer eines Sklaven, der gegen einen „Champion“ von Leonardo-Calvin (vergeblich) kämpft. An der Bar trifft er den heutigen Django. Jamie Foxx. Bei einem Drink. Wie ER denn heißt, fragt Franco-Amerigo sein Gegenüber: „D-jango, aber mit einem weichen D“, antwortet der. „Ich weiß“, antwortet Franco Nero schelmisch. Und verschwindet. Ein würdevoller Abgang. Aus einem Meisterfilm, bei dem man gewiss auch das „technische“ Team um das Kamera-Ass und den dreifachen „Oscar“-Preisträger ROBERT RICHARDSON (zuletzt: „Hugo Cabret“) und den während der Dreharbeiten verstorbenen großartigen Set-Designer J. MICHAEL RIVA („Die Farbe Lila“; „Iron Man“) mit seinen atmosphärischen Bauten (von der schlammigen Western-Stadt bis zu den prächtigen Gebirgsbauten) unbedingt mit-erwähnen sollte. Ganz zu schweigen von der zudem exzellenten Ausstattung in Sachen Kostüme, Perücken und „Dynamit“. „Passt“ alles voll und vor allem ganz.

Der US-Amerikaner Quentin Tarantino liefert mit seinem neuesten Kinofilm ein glanzvolles Meisterstück ab. Erweist und zeigt sich als würdiger, treffsicherer Nachfolger von „Italo“-Western-Giganten-Vorbildern wie Sergio Leone & Sergio Corbucci. Unbelievable! (= 5 PÖNIs).

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