„DIPLOMATIE“ von Volker Schlöndorff (Co-B + R; Fr/D 2013; Co-B: Cyril Gély, nach seinem gleichnamigen Bühnenstück aus dem Jahr 2011; K: Michel Amathieu; M: Jörg Lemberg; 84 Minuten; Start D: 28.08.2014); pardon, aber kurz privat – ich LIEBE PARIS. Vor allem wegen seiner vielen alten Häuser. Erhalten gebliebenen alten Gemäuer. Diese Architektur, diese wunderbaren Fassaden, dieser feine bauliche Atem. Diese vielen herrlichen Brücken, Museen und Gärten. Straßen. Paris, ein beeindruckendes, wunderschön lebendiges europäisches Herz. Zum (An-)Schauen, Genießen, eben als einzigartiges Empfinden. Lieben.
Dabei hatte nicht viel gefehlt und Paris wäre damals, 1944, von den Nazis platt gemacht worden. Am 23. August gab Hitler den Befehl: „Paris darf nicht oder nur als Trümmerfeld in die Hand des Feindes fallen“. Das ist Fakt. Nicht real ist DAS, was dieser Film erzählt. Jedenfalls weitestgehend nicht. Doch wahr ist, dass der deutsche General Dietrich von Choltitz den Befehl des Führers, Paris dem Erdboden gleich zu machen, nicht befolgte. Und somit Paris vor der totalen Zerstörung bewahrte. WAS hat diesen, als gnadenlos befehlstreu geltenden General, der noch NIE einen Befehl infrage gestellt hatte, bewogen, den Anweisungen aus Berlin NICHT Folge zu leisten? Seinem Eid-Schwur auf Hitler „diesmal“ nicht (mehr) zu folgen? Ihn zu ignorieren, zu brechen?
Eine ewig brisante historische Frage. Die sich auch der 45jährige französische Autor CYRIL GÉLY in seinem Theaterstück gestellt hat, das 2011 im Pariser „Theatré de la Madeleine“ uraufgeführt wurde. In den Hauptrollen: Der französische Schauspieler NIELS ARESTRUP, 64, Sohn dänischer Einwanderer, 2009 für seinen überwältigenden Part als korsischer Mafia-Pate in dem Gefängnis-Film „Ein Prophet“ (von Jacques Audiard) mit dem französischen „Oscar“, dem „Cesar“, ausgezeichnet und ANDRÉ DUSSOLIER, 67, dreifacher „Cesar“-Preisträger und auch hierzulande unvergessen als einer der originalen „Drei Männer und ein Baby“ (von Coline Serreau /1985). Diese beiden darstellerischen Kraftpakete spielen auch in der Verfilmung von „Oscar“-Preisträger Volker Schlöndorff („Die Blechtrommel“) die überragenden Kontrahenten.
Und treten dabei in starke Vorgänger-Schuhe: „Brennt Paris?“ hieß 1966 eine französisch-britische Co-Produktion, die unter der Regie von René Clément dasselbe Thema, aber „breiter“ ansprach und mit GERT FRÖBE als Dietrich von Choltitz und ORSON WELLES als schwedischer Konsul Raoul Nordling hochkarätig besetzt war. Es ist die Nacht vom 24. auf den 25. August 1944, als beide im Hauptquartier des Generals, im Pariser Hotel Meurice, aufeinandertreffen. Während der kommandierende General von Groß-Paris alle Vorbereitungen getroffen hat, dem Hitler-Befehl Folge zu leisten und Paris in ein paar Stunden auszuradieren, bemüht sich der „neutrale“ schwedische Diplomat, ihn von diesem Vorhaben abzuhalten. Abzubringen. Ein wahnwitziges Unterfangen.
Denn was auch immer der Diplomat für moralische, politische Argumente vorbringt, wird von der Gegenseite mit der „Notwendigkeit“ einer Kriegshandlung und eigenem Befehlsausführen-Müssen abgebürstet. Dennoch beginnt fortan ein ungeheuer intensives Duell als verbales Kräftemessen, das von der faszinierenden Spannung von Worten und Sätzen lebt. Weil diese beiden Schauspieler mit einer sagenhaften Intensität in ihre Figuren schlüpfen und sie großartig spielend „sind“. Körperlich wie denkend wie seelisch. Worte als Kugeln, die immer wieder versuchen, den Anderen treffend zu überzeugen. Zum „Verlierer“ zu erklären. Ein Mund-Kampf auf Augenhöhe. Der Soldat gegen den Zivilisten. Und umgekehrt. Als Entscheider über Leben oder Sterben. Für eine Stadt wie für ihre Millionen Bürger. Man kriegt „Schweiß“, an den Händen wie im Kopf. Wie vehement die Kontrahenten sich verbal beharken. Mal sammelt „Schweden“ verblüffende Punkte, mal die barbarische Gegenseite. Und – es kommt, wie wir wissen, schließlich zu einem der bedeutsamsten „K.O.‘s“ in der europäischen Kriegs-Geschichte. Ein Knockout, der, mit Sicherheit, die Grundlage bildet für die Jahre später entstehende deutsch-französische Freundschaft. Als Anstoß für das heutige gemeinsame Europa.
Packend. Intensiv. Obwohl der Ausgang bekannt ist, tief aufwühlend. Wunderbar Wort-prasselnd. Grandios emotional in diesem Denk-Fight zwischen Gehorsam und Menschlichkeit. Fabelhaft gespielt von zwei Großen der Darstellungskünste. Absolut authentisch wirkend. Und deshalb so beängstigend. Mit dem Ahnen, was wäre wenn es „andersrum“ gekommen wäre. Nicht auszudenken?: Doch – auszudenken. Zerstörerisch. Grausam. Grauenvoll. Und das gerade macht dieses blitzgescheite, faszinierende Kammerspiel zu einem raffinierten meisterhaften Psycho-Thriller. Formidabel.
Alle (Be-)Achtung: VOLKER SCHLÖNDORFF, inzwischen kluge 75, hat mit „Diplomatie“ einen brillanten historischen Spannungsfilm geschaffen (= 4 ½ PÖNIs).