DIE FRAU, DIE VORAUSGEHT

„DIE FRAU, DIE VORAUSGEHT“ von Susanna White (USA 2016/2017; B: Steven Night; K: Mike Eley; M: George Fenton; 102 Minuten; deutscher Kino-Start: 05.07.2018); Patty Jenkins sei dank, denn mit ihrem Comic-Charakter-Hit „Wonder Woman“ von 2017 schaffte sie den Durchbruch: die Kerle-Front bröckelte endlich auch an der hollywoodschen Mainstream- beziehungsweise Blockbuster-Front. Dadurch kommen jetzt endlich öfters Genre-Filme ans Kino-Licht, die von Frauen realisiert wurden. „Woman Walks Ahead“, so der Originaltitel, ist solch ein hervorragendes Beispiel für diesen Endlich-Umschwung an der Ami-Produktionsfront. Denn wie bärenstark, sensibel und höchst unterhaltsam auch Filmemacherinnen das Kino beleben können, beweist die britische Regisseurin SUSANNA WHITE – hierzulande durch ihren hübschen Familienfilm „Eine zauberhafte Nanny – Knall auf Fall in ein neues Abenteuer“ 2010 bekannt geworden (s. Kino-KRITIK) – mit diesem einfühlsamen Epos.

Ein Jahr hat sie getrauert, wie es sich für eine New Yorker-Lady anno 1889 ziemt, dann ist Schluss mit Schwarz. Catherine Welden (JESSICA CHASTAIN) schmeißt das riesige Öl-Gemälde ihres verstorbenen Mannes in den Fluss und begibt sich fortan in ihr eigenes selbstbestimmtes Leben. Das sie sich, dank einer vermögenden Erbschaft, leisten will. Als Malerin. Sie hat schon Senatoren und sogar den US-Vizepräsidenten gemalt, jetzt hat sie sich vorgenommen, den berühmtesten Indianer jener Zeit zu malen, Sitting Bull, Häuptling der Lakota-Sioux. Die bestialischen Gewalt-Konfrontationen zwischen den Ur-Einwohnern und ihren weißen Gegnern – zum Beispiel am Little Bighorn – sind vorbei, der „überlegene“ Weiße Mann hat die Indianer in ein Reservat in North Dakota verfrachtet, und auch von dort sollen sie bald verschwinden, wenn erst der „Dawes Act“ besiegelt ist, eine Abmachung zur weiteren Land-Enteignung. Damit die Indianer dies auch akzeptieren, hat das US-Militär gerade ihre zustehende Versorgung um die Hälfte geknappt. Mitten in diese explosive Atmosphäre (und kurz vor dem Massaker am Wounded Knee) taucht diese Frau mit dem unbedingten Willen auf, den von den Weißen Entscheidern verhassten „Chef-Indianer“ zu porträtieren. Eine Frau kommt in den „Wilden Westen“ mit der Absicht, den von den Weißen verhassten Feindes-Anführer zu malen: Natürlich eine Ungeheuerlichkeit und Provokation für die militärischen Schergen, vor allem für den mit der weiteren „Behandlung“ der Rothäute betrauten Colonel Groves („Oscar“-Preisträger SAM ROCKWELL/“Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“), der die resolute und Demokratie-gläubige Catherine Welden möglichst schnell abschieben will. Was sich als ebenso schwierig erweist wie ihr Bemühen, zu Sitting Bull (MICHAEL GREYEYES) vorzudringen. Als es ihr gelingt, wird sie zum Mittelpunkt eines weiteren Konflikt-Schauplatzes, bei dem es um weit mehr geht, als um das Malen eines berühmten zeitgenössischen Anführers. Währenddessen Mrs. Weldon auf einen störrischen wie charismatischen Denker und Indianer-Lenker trifft, mit dem eine verblüffende Kommunikation entsteht.

Kein Western. Jedenfalls kein herkömmlicher. Stattdessen eine überzeugende Art von faszinierendem Kammerspiel in einer Explosionsregion während dieser historischen amerikanischen Kriegs-Epoche. Schon wie kürzlich, bei diesem überragenden Philosophie-Western-Spannungsstück „Feinde – Hostiles“ (s. Kino-KRITIK), geht es nicht um die – übliche, gewohnte – Western-Aneinanderreihung von Duellen, sondern geht es um „das Dahinter“. Die Psychologie, die unmenschliche Philosophie in Sachen inhumane Zivilisation: Was bewegt Menschen, sich über andere zu überhöhen; wie „sehen“ überhaupt „Kämpfer“ im Innern aus; was geht in ihnen vor, wodurch verlieren sie dermaßen ihren „anständigen“ Verstand? Catherine Weldon hat es tatsächlich gegeben, aber dies ist egal, denn der Film will keine präzise fixierte historische Figur wahr porträtieren, sondern die erste aufrechte Bürgerrechtskämpferin der Vereinigten Staaten von Amerika würdigen. Charakter-tief wie einfühlsam. Einer Frau wird hier gehuldigt, die mit ihrem Mut, ihrer Courage und ihren Überzeugungen als furchtlose Pionierin vorangeht. Stellung bezieht, um schließlich – natürlich vergeblich – für Verständigung zwischen den verfeindeten Völkern öffentlich einzutreten. Blauäugig? Klar doch und warum nicht? Wie viele Männer durften mit solch hehrem Anspruch in vielen legendären Kinofilmen antreten, und man hat es ihnen abgenommen? Nun „packt“ es (endlich einmal) eine weiße starke kluge Frau an. Und dies anzunehmen, bedeutet an einem ebenso bilderstarken wie emotionsgeladenen wie intelligent-gutem Stück Kino teilzuhaben.

„Die Frau, die vorausgeht“ ist keine Schwarz-Weiß-Malerei, sondern die Begegnung mit einer der derzeit spannendsten amerikanischen Schauspielerinnen überhaupt: JESSICA CHASTAIN, 41, aus dem kalifornischen Sacramento. Sie hat sich in den letzten Jahren mit ihren vielen begeisternden Auftritten (= in schon mehr als 30 Filmen fürs Kino und fürs Fernsehen seit Mitte der 2000er Jahre) in die erste Riege der besten amerikanischen Schauspielerinnen katapultiert. Kinofilme wie „Molly’s Game – Alles auf eine Karte“; „Die Erfindung der Wahrheit“; natürlich: „Zero Dark Thirty“/ „Golden Globe Award“) oder „The Help“ („Oscar“-Nominierung) machten sie populär. In der Rolle der Künstlerin und Aktivistin Catherine Weldon gelingt ihr ein weiterer berührender Glanzpunkt, eine spannende, hochinteressante Frau ausdrucksstark, ereignisreich, sensibel auszuloten. Jessica Chastain zu erleben, zu genießen, ist höchst beeindruckend. Und: Zudem gerade äußerst aktuell, weil dieser exzellente Film das männlich-größenwahnsinnige „America“ in der First-Position von heute gedanklich-kritisch berührt. Mit-Denken lässt (= 4 PÖNIs).

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