PÖNIs: (2,5/5)
„DER KÖNIG DER LÖWEN“ von Jon Favreau (USA 2017-2019; B: Jeff Nathanson; K: Caleb Deschanel; M: Hans Zimmer (Score); Elton John & Tim Rice (Songs); plus dem Song „Spirit“ von Beyoncé, Ilya Salmanzadeh und Timothy McKenzie; 118 Minuten; deutscher Kino-Start: 18.07.2019).
Gastkritik von Caroline „Carrie“ Steinkrug
„The Circle of Life“ heißt der bekannteste Song aus dem KÖNIG DER LÖWEN von 1994 (s. Kino-KRITIK). ELTON JOHN schrieb darin über den ewigen Kreislauf des Lebens. Als Zyklus zwischen Tod und Wiedergeburt. Eine Philosophie, die sich zunehmend auch in der Firmenpolitik von WALT DISNEY im ständigen Sterben ihrer Klassiker niederschlägt, die daraufhin modern in Neuauflagen verwurstet werden. Aber: Warum? Nach dem Ankauf einiger „Subunternehmen“ wie PIXAR oder den teuren Rechten an STAR WARS herrscht Ebbe. In der Kasse. Neue Ideen sind teuer in der Entwicklung. Das Altbewährte: sicher und billiger. In den letzten Jahren wurden wir deshalb zunehmend mit Remakes aus der vorhandenen Zeichentrick-Historie des Konzerns wie „Die Schöne und das Biest“ (2017; s. Kino-KRITIK) oder „Aladdin“ (2019; s. Kino-KRITIK) mehr oder weniger belästigt. Jetzt nimmt sich der 52-jährige Amerikaner JON FAVREAU, der schon die hausinterne Dschungelbuch-Renaissance inszenierte (2016; s. Kino-KRITIK), und sich sonst sehr erfolgreich im MARVEL-Kinouniversum herumtreibt (R: „Iron Man 1 & 2“/2008; 2010), d e m Liebling des „Magic Kingdoms“ an: dem Thronerben Simba, auf seinem beschwerlichen Weg zurück ins Königreich der Löwen. Wurde der Schauspieler NEEL SETHI als Dschungelwaise Mogli 2016 aber lediglich von computeranimierten Tieren begleitet, bevölkern diese 2019 hier nun allein die afrikanische Savanne. „Echte“ Lebewesen: Fehlanzeige. Der Begriff „Real“-Verfilmung: diskussionswürdig. Wichtige Notizen, die zusätzlich durch folgende Informationen zu ergänzen sind: gezeigt wurde uns der Film in 2D; in der englischen Originalfassung; in einer Gesamtlänge von 118 Minuten. Immerhin 30 mehr als die 88 Minuten Laufzeit von 1994. Wer darin allerdings frische Inhaltssubstanzen vermutet liegt falsch. Die zusätzliche halbe Stunde füllt sich zum Großteil mit Giraffendung. Kein Scherz. Doch bevor wir dies näher beleuchten – und für den unwahrscheinlichen Fall, dass die Geschichte bis dato nicht bekannt ist -, zunächst ein kurzer thematischer Abriss:
Das Löwenbaby Simba (jung: JD McCRARY; alt: DONALD GLOVER) muss, nachdem sein mieser Onkel Scar (CHIWETEL EJIOFOR) seinen Vater Mufasa (JAMES EARL JONES) getötet hat, die Krone und damit seinen Anspruch auf das Hoheitsgebiet verteidigen. Zur Seite stehen ihm dabei der Affen-Schamane Rafiki (JOHN KANI), seine große Liebe Nala (jung: SHAHADI WRIGHT JOSEPH; alt: BEYONCÉ KNOWLES-CARTER) sowie Warzenschwein Pumbaa (SETH ROGAN) mit Erdmännchen Timon (BILLY EICHNER). Sie kämpfen mit dem Erwachsenwerden. Um Liebe und Freundschaft. Gegen Verrat und Vergangenheitsneurosen. Um die Verantwortung in einer von Shakespeare-Dramen inspirierten Welt, in der allein das Gesetzt der Natur, das des Stärkeren, regiert. Lebendige, tiefe Emotionen, die im aktuellen Kinojahr in den Schaltkreisen des Computers… abhanden gekommen sind.
Die Animationstechnik ist ohne jede Diskussion brillant. Punkt. Das erste Drittel des Films begeistert mit den bahnbrechenden Kulissen eines „synthetischen“ Afrikas und den dort lebenden Retorten-Tieren. Allesamt niedlich. Ein faszinierend fotorealistischer Look innerhalb dürrer Steppen oder herrschaftlicher Plateauberge. Die fast Bild für Bild nachempfundene, berühmte Eröffnungssequenz, in der sich die Tierbevölkerung sammelt, um dem neuen Herrscher zu huldigen ist schlichtweg atemberaubend. Eine Technik-Demonstration der Extraklasse, in der, trotz Tierdoku-Optik, sprechende Fellprotagonisten mit menschlichen Stimmen, wie die von Komiker SETH ROGAN als „Pumbaa“, gut funktionieren. Nicht zu abstrakt wirken. Unvergessen natürlich in dem Zusammenhang außerdem: der erhabene Bassbariton von JAMES EARL JONES, der schon 1994 dem abdankenden König „Mufasa“ majestätischen Sprachglanz verlieh. Fast könnte man sich also von diesem originalgetreuen Cover einlullen lassen. Umgeben von einem Marketing, das auch 2019, wie schon 1994, auf die geniale Musik von ELTON JOHN und HANS ZIMMER setzt. Deren Klänge (wie schon 1994!) ein spannendes Drehbuch vertonten und zu Begleitern von herrlichen Tiercharakteren wurden. Wie auch schon 1994. Sie ahnen worauf das hinausläuft? Alles, einfach alles ist wie damals. Nur: ohne eigene Identität. Eigene Kreativität. Eigene Emotionalität.
Die anfängliche Technik-Euphorie weicht somit schnell der Erkenntnis: diesem Löwenkönig fehlt die Seele der Vorlage. Aller Farben, Gefühle, Lebendigkeit beraubt. Der comic-hafte Humor der Zeichentrickfiguren in Gestik und Mimik beschnitten. Realismus zu Lasten der Fantasie. Die handgemachte Qualität der damaligen Künstler, die Kunst des Malens, durch die Arbeit einer kalten Maschine ersetzt. Und so drängt sich die Frage von oben erneut auf: Warum entsteht solch eine stumpfe Reproduktion? Ohne Mehr-Wert? Kann es wirklich immer nur um den mehr (Geld-)Wert eines gierigen „Märchenunternehmens“ gehen?
Das schöpferische „Mehr“ jedenfalls entpuppt sich hinter dem schönen Schein hiernach als verwesende Nostalgie. Als Schauwert-Inszenierung, der durch die visuelle Kälte der letzte mutige Schritt in die emotionale Ernsthaftigkeit fehlt: die Tragik im Tod des Vaters; die spürbare Angst innerhalb einer lebensbedrohlichen Situation. Schuldgefühle. Isolation. Verbannung. Stattdessen wird das Böse beschnitten. Die Hyänen-Armee von Scar, einst Sinnbild einer höllenartigen Aggressivität, verkommt zu einem Haufen räudiger Köter. Der Grusel eines monströsen Elefantenschädels zu einem Sammelsurium ausrangierter Knochen, die unter der weichgespülten Kurzversion eines gesungenen „Be prepared“ (DT: „Seid bereit“) wohl kaum noch in Kriegswallung geraten. Während andere ikonische Hymnen wie „Can you feel the Love tonight“ (= im deutschen Liedtext auch eine sanfte Begegnung „im Abendlicht“) völlig Sinn-frei an einem sonnigen Nachmittag von R`n`B-Queen BEYONCÉ verjault werden. Die Neukomposition „Spirit“ (M: BEYONCÉ, ILYA SALMANZADEH, TIMOTHY McKENZIE) setzt dann noch der Blasphemie die Krone auf. Als banale Popnummer völlig deplatziert neben einem Genie-Gespann wie ELTON JOHN und HANS ZIMMER. (Wieso stattdessen nicht lieber auf Hits wie „He lives in you“ (DT: „Er lebt in Dir“) aus dem gleichnamigen Broadway-Musical/1997 von „Elton John & Tim Rice“ zurückgegriffen wurde, bleibt ein Rätsel.) Einzig und allein die Rampensau Pumbaa und sein Duett-Partner Timon schmettern als Lebemänner, Pardon… Lebetiere, ein stimmiges „Hakuna Matata“ und ein Cover des „Lions sleeps tonight“, welches amüsant choreografiert „kurz“ für Laune sorgt.
Derweilen sich der Film aber ansonsten mit „Mist“ künstlich aufbläht… Wir beobachten ein Haarbüscheln von Simba wie es durch die Luft weht, an einem Blatt hängen bleibt, von einer Giraffe gefressen, verdaut und ausgeschieden wird, um als stinkender Kacke-Ball schließlich von einem Käfer durch die Steppe gerollt zu werden. Quälende Minuten, die jede BBC-Dokumentation besser genutzt hätte. Eine metaphorisch „beschissene“ Reise, die eindrucksvoll das verbildlicht, was die ganze Zeit sowieso schon zu spüren war: Walt Disney hat sein Meisterwerk mit Scheiße gestreckt!
Mit dem KÖNIG DER LÖWEN (2019) kauft man folglich zwar nicht die (Groß-)Katze im Sack. Gewinnt aber auch nichts Neues hinzu. Seiner Produktionsfirma wird er trotzdem ohne Frage viele „Mäuse“ fangen. Unvorbelastete Original-Nichtkenner werden angesichts dieses Technikwunders staunen. Alte Hasen hingegen eine Leere spüren. Infolge einer widerlichen „Copy-and-Paste“-Mentalität (= ein reines „Kopieren und Einfügen“) und einem Regisseur, der offensichtlich sehr viel Angst hatte, es zu versauen. Technik vs. (Löwen-)Herz: für was entscheiden Sie sich? (= 2 1/2 „Carrie“-PÖNIs; …für das singende Erdmännchen und seinen schweinischen Freund).
Eine abschließende Fun-Fact-Fußnote: Auch die lang-angekündigte n e u e Figur eines s p e k t a k u l ä r e n Rüsselspringers zur Bereicherung der Story (im Englischen gesprochen von AMY SEDARIS; u.a. bekannt aus „School of Rock“), entpuppte sich am Ende als billiger Dehnungstrick für die überflüssige 30 Minuten-Mehr-Zeit. Wenn DISNEY heute ernsthaft ein piepsendes Durch-das-Bild-Rennen als tiefe Charakterentwicklung verkaufen will, hoffe ich, dass wenigstens die Schauspielerin finanziell gut daran beteiligt war… (NACHTRAG vom 20.07.2019: Mittlerweile wurde bekannt, dass AMY SEDARIS letztlich als Perlhuhn zu sehen war und der Rüsselspringer unerwartet eine andere Stimme bekam. Nicht, dass das Perlhuhn mehr Text oder Wiedererkennungswert gehabt hätte…)