DER GLANZ DER UNSICHTBAREN

PÖNIs: (4,5/5)

„DER GLANZ DER UNSICHTBAREN“ von Louis-Julien Petit (B + R; nach dem Buch „Sur La Route Des Invisibles: Femmes Dans La Rue“ von Claire Lajeunie/2015; Fr 2018; K: David Chambille; M: Laurent Perez Del Mar; 102 Minuten; deutscher Kino-Start: 10.10.2019); wenn es gilt, „schwierigen Themen“ ein adäquates, vorzügliches Gesicht zu geben, ist der französische Film obenauf. Lady Di, Edith Piaf, Salma Hayek, Brigitte Macron: Die meisten Besucherinnen des Tageszentrums für wohnungslose Frauen L’Envol, irgendwo im krisengeschüttelten französischen Norden gelegen, nennen sich „spöttisch“ nach Promis. Doch diese Stätte, einziger Ankerpunkt ihres prekären Alltags, steht vor der Schließung. Wegen „nicht genügender Effektivität“. Jedenfalls äußert sich der zuständige dynamische – männliche – Vertreter der örtlichen Stadtverwaltung entsprechend. Weil, der amtlichen Statistik zufolge, nicht genügend Frauen wiedereingegliedert wurden. Nur vier Prozent. Drei Monate bleiben den engagierten Sozialarbeiterinnen Manu (CORINNE MASIERO), Audrey (AUDREY LAMY), Hélène (NOÉMIE LVOVSKY) und Angélique (DÉBORAH LUKUMUENA), um sich für ihre Schützlinge Alternativen auszudenken. Und dabei erweisen sie sich als ebenso kreativ wie auch ihre Schützlinge, die ab sofort mitreden können, ihre eigenen Erfahrungen mit-einbringen und auf 1:1-Basis mit-entscheiden sollen. Doch der erste Coup, ein Zeltlager vor der Tagesunterkunft am Sportplatz zu errichten, wird – buchstäblich – von der Polizei kaputt gekloppt. Zerstört. Also müssen andere Ideen her. Und verwirklicht werden. Zum Beispiel Schulungen und Workshops einzurichten, damit Eingliederungen in die „normale Gesellschaft“ besser möglich sind. Das Aufsehenerregende: Betreuerinnen und Betreute ziehen ab sofort am selben Strang; entwickeln mit erstaunlichem Schwung ganz eigene Wege und Methoden zur Reintegration. Motto: Tricks, Schwindeleien, Foppereien, alte und neue Freunde: Von jetzt an sind sämtliche Mittel erlaubt…

Autoren-Regisseur Louis-Julien Petit, Jahrgang 1983, schuf – nach „Discount“ (2014) und „Carole Matthieu“ (2016/mit Isabelle Adjani) – seinen dritten Spielfilm, nachdem er vorher bei mehr als 30 Kinofilmen als Assistent tätig war. Die Idee verdankt er einem Buch, siehe Credits, und der Filmdokumentation „Femmes invisibles: survivre dans la rue“ von Claire Lajeunie, Porträts von obdachlosen Frauen in Frankreich. Für seinen neuen Film arbeitete er sowohl mit betroffenen Laien wie mit Profi-Schauspielern. Wobei im Film kein Unterschied zu (be-)merken ist; das Ensemble besteht INSGESAMT aus fantastisch ‘rüberkommenden „Playern“. Was dazu führt, dass wir es hier eben NICHT mit einem dieser bemühten Sozialdramen oder mit Elendsvoyeurismus zu tun haben, sondern mit einer lakonischen menschlichen Authentizität, die spannend, mitteilsam und emotional ist, unter die Haut geht. „Ich wollte mit dem Film von jenen Frauen erzählen, die von der Gesellschaft ausgeblendet werden, und jenen, die tagtäglich bei ihnen sind. Ich wollte zeigen, dass sie trotz der Rückschläge, die sie auf ihrem Weg erlitten haben, nichts von ihrer Persönlichkeit, ihrer Würde, ihren Wünschen und ihren Träumen eingebüßt haben. Diese Frauen sind eine Ode ans Leben. Sie haben mir unglaublich viel Kraft gegeben, und in der Arbeit mit ihnen habe ich gelernt, vieles zu relativieren … Wir wollten jede Form von Voyeurismus vermeiden und das Versprechen halten, das ich am Anfang gegeben hatte: DASS DIES EIN FILM VOLLER STARKER UND SCHÖNER FRAUEN WERDEN WÜRDE“ (Louis-Julien Petit; im Presseheft).

Mit rund anderthalb Millionen Zuschauern war „Les invisibles“ („Die Unsichtbaren“) einer der Überraschungserfolge im französischen Kino in diesem Jahr. Alle Achtung! (= 4 1/2 PÖNIs).

 

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