Den Menschen so fern

DEN MENSCHEN SO FERN“ von David Oelhoffen (B + R; Fr 2013; frei nach der 13seitigen Novelle „Der Gast“ von Albert Camus/1957; K: Guillaume Deffontaines; M: Nick Cave und Warren Ellis; 101 Minuten); was für eine wunderbare gedankliche Inspiration von politischem Kriegs-Western! Was für eine aktuelle Spannungsbreite! Was für ein großartiger Film!

Zappe gerne im Fernsehen herum. Auch im Sommer-TV, mit diesen unendlich vielen gruseligen Wiederholungen. Diesem vielfach niveau-grottigem Film-Angebot. Habe am letzten Wochenende zwei USA-Schrott-Filme (Serienfolge + Spielfilm) parallel gesehen. Und ungefähr mitgezählt: über 25 Tote. Motto überall: Ein/Der Mensch zählt nichts. Darf beliebig abgeknallt werden. Im Namen einer Gerechtigkeit. Tag für Tag hämmert man uns über primitivste (Ami-)Filme DAS süffisant ein: Ein Menschenleben zählt nicht. Und wenn „dieses Leben“ schurkisch ist, besteht durchaus die Möglichkeit, es „auszuradieren“. Im Namen einer zynischen Film-Gerechtigkeit. Klar doch. Ist doch alles nur Spaß. Entertainment. Von wegen.

Und jetzt nun „dazu“ dieser exzellente, sinn-volle „Gegen“-Trend-Film. Der von einem Menschen erzählt, der das Leben eines anderen Menschen, als Feind klassifiziert, retten will. Wogegen allerdings „die Umgebung“ etwas hat. Daru (VIGGO MORTENSEN) ist Lehrer. Irgendwo in einem kleinen spartanisch eingerichteten Gebäude, das sich inmitten einer algerischen Gebirgskette befindet. Der Einsiedler Daru bringt seinen kleinen Schützlingen aus der staubigen Region Lesen und Schreiben bei. Will ihnen Bildung vermitteln. Unaufdringlich, unangestrengt, mit Überzeugung. Wir schreiben das Jahr 1954, der algerische Unabhängigkeitskrieg naht. Daru, der ehemalige Reserveoffizier, der im Zweiten Weltkrieg als franko-algerischer Soldat gekämpft hat, befindet sich im freiwilligen Exil. Hat mit der „Zivilisation“ anderswo nichts am Hut. Kann aber „Kontakt“ „mit draußen“ nicht ausweichen. Man bringt ihm einen Gefangenen. Einen muslemischen Mörder. Mohamed (REDA KATEB). Er soll ihn zur nächsten – französischen – Polizeipräfektur bringen. Wo Mohamed „ordnungsgemäß“ verurteilt und danach erschossen werden wird.

Widerwillig übernimmt Daru „den Job“. Eine gefährliche Wanderschaft nimmt ihren Lauf. „Begleitet“ von der aggressiven Familie des Getöteten, um – der Tradition entsprechend – Blutrache auszuüben und inmitten der kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen algerischen Rebellen und dem Militär der französischen Kolonialisten. Mittendrin – diese beiden gegensätzlichen Männer. Und ihr verzweifelter Kampf um „Existenz“. Das Leben. Während drum herum Hass und Gewalt dominieren, auch und gerade vom französischen Militär, bemühen sich ein französischer Algerier ohne Heimat und ein geächteter einheimischer Araber um so etwas wie Verständigung. Miteinander. Gegen alle herrschenden Regeln. Und Verhaltensweisen.

Aufwühlend. Wie einst die politischen Klasse-Western eines Sergio Corbucci („Leichen pflastern seinen Weg“) oder Sergio Leone („Todesmelodie“). Zwei Außenseiter tun sich jenseits von Ideologie und Herkunft zusammen, um Moral, Anstand und Respekt auszuloten. Während um sie herum die so genannte zivile Welt im Töten bebt. Natürlich sind die aktuellen Verbindungen sicht- und denkbar. Die vielen Krisengebiete und ihre Menschen heute, die als Flüchtlinge zu überleben versuchen. Individuen wie Mohamed.

VIGGO MORTENSEN (der Aragorn in den „Herr der Ringe“-Filmen; „A History of Violence“), der stoische Dänen-Ami, ist phänomenal-präsent in seiner besonnenen, aber konsequenten Daru-Körpersprache: Der Mensch hat überall ein Recht, würdevoll zu leben. Sein algerisch-stämmiger Partner REDA KATEB („Ein Prophet“) vermag behutsam, die Persönlichkeit Mohameds und dessen trauriges Schicksal aufzuzeigen. Beide: Was für stille Kraftpakete von eindringlichen Schauspielern.

„Das nordafrikanische Licht war ein schöner, aber unvorhergesehener Begleiter“, äußert sich der französische Autoren-Regisseur DAVID OELHOFFEN im Presseheft. In der Augen-Tat: Die Cinemascope-Bilder über diese ebenso karge wie majestätische Landschaft, diese gleißenden Motive aus Licht und Schatten, vermitteln einen beeindruckenden, poetischen Eindruck. Doch das Auftreten und Verhalten der auf ihr herumtrampelnden Kriegs-Menschen verwandeln diese optische Schönheit in grausamen, physischen Seelen-Schmerz. Dazu umweht der angemessene, unaufdringliche, sanfte Soundtrack der Australier NICK CAVE & WARREN ELLIS den emotionalen Western-Ruf nach Humanität und Loyalität.

Der Film „Den Menschen so fern“ ist in jeder Hin-Sicht ein mitreißendes Spannungsereignis (= 4 ½ PÖNIs).

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