DAS MÄDCHEN, DAS LESEN KONNTE

„DAS MÄDCHEN, DAS LESEN KONNTE“ von Marine Francen (B + R; nach der Novelle „L’homme sememce“ (1919) / „Der Samenmann“ (2006) von Violette Ailhaud; K: Alain Duplantier; M: Frédéric Vercheval; 98 Minuten; deutscher Kino-Start: 10.01.2019); in ihrem Langfilm-Debüt adaptiert die französische Autoren-Regisseurin einen autobiographischen Text der Bäuerin und Lehrerin Violette Ailhaud aus Basses-Alpes, einem Bergdorf in den provenzialischen Cevennen. Dort werden 1851 alle Männer des Dorfes von Schergen des Diktators Napoleons mit brutaler Gewalt verschleppt. Violette (PAULINE BURLET) ist 17 Jahre alt, als sie ihren Vater verliert. Mit vereinten Kräften gelingt es den zurückgebliebenen Frauen, die Arbeiten des Jahreslaufs zu bewältigen. Trotz der Dauersorge um die verlorenen Männer und in der Ungewissheit, ob diese jemals zurückkehren, vermögen die Frauen ihre totale Unabhängigkeit zu bewerkstelligen: Säen, Ernten, Viehzucht. Die Kinder zu lehren. Nach einem vergeblichen Warten auf Lebenszeichen ihrer Männer fassen sie einen Entschluss: Sollte eines Tages ein Mann in ihr Dorf kommen, soll er für alle Frauen „da“ sein. Damit ihr Dorf weiterhin existieren kann. Überlebensfähig ist. Und tatsächlich: irgendwann taucht Jean (ALBAN LENOIR) auf, ein herumziehender Schmied. Und bleibt. Schließt sich der Gemeinschaft der Frauen an. Akzeptiert seine Rolle als „semeur“. Der Samenmann. Doch Violette verliebt sich in Jean, der wie sie auch lesen kann und wie sie die Literatur schätzt. Doch die Blicke ihrer Mitbewohnerinnen signalisieren eindeutig die Forderung „zum Teilen“.

Marine Francen erklärte kürzlich in Berlin, bei den Deutsch-Französischen Filmtagen, ihren Film auch als politisches Zeitfenster. In jener Zeit waren „untere“ Menschen, die sich mit Lesen weiterbildeten, stets auch eine Gefahr für das System, für die Herrschaft von Adel und Kirche. Zudem: „Mein Film ist eine utopische, archaische Geschichte von einer engen Verbundenheit weiblicher Schaffens- und Schöpfungskraft mit den Zyklen der Natur, in dem die Männer eigentlich nur stören, wenn sie sich diesem Grundprinzip weiblicher Harmonie mit der Natur nicht unterordnen. Er weist aber gleichzeitig weit darüber hinaus, in dem er eine matriarchalische Welt aufblitzen lässt, in der Männer sich mit einer nur noch ergänzenden Rolle als Arbeitspartner und Geschlechtspartner zufrieden geben“ (Presseheft).

„Screen International“ bringt es auf den Punkt: „Der einzige mögliche Makel dieses Films ist die unerbittliche Schönheit jeder einzelnen Aufnahme. Und doch ist dies kein Stil, der über der Substanz des Films steht“.

„Das Mädchen, das lesen konnte“ ist ein faszinierendes cineastisches wie emotionales Poem und Liebhaber-Stück, dessen gedankliche Spannung sehr viel interessante „Realität“ ausdrückt. Wenn man sich nur die vielen erbärmlichen männlichen Polit-Oberhäupter dieser Welt anschaut (= 4 PÖNIs).

 

Teilen mit: