„CORALINE“ von Henry Selick (B; nach dem gleichn. Roman von Neil Gaiman + R; USA 2008; M: Bruno Coulais, They Might Be Giants; 101 Minuten; deutscher Kino-Start: 13.08.2009); der heute 56-jährige Selick hat Zeichnen, Malerei, Bildhauerei und Kunstdruck studiert, arbeitete als Animations-Spezialist bei Disney und hat sich gleich mit seinem „ganz speziellen“ Debütfilm NIGHTMARE BEFORE CHRISTMAS großen Ruhm erworben. Dieser Inzwischen-Klassiker um trickreiches Puppenspiel war 1993 der erste Animations-Spielfilm im sog. „Stop-Motion-Verfahren“ (eine Filmtechnik, bei der eine Animation mit unbeweglichen Gegenständen durchgeführt wird; Motive werden animiert, indem sie für jedes einzelne Bild des Films immer nur geringfügig verändert werden; diese Animationsform brachte einst auch „King Kong“ sowie die phantastischen Geschöpfe eines Ray Harryhausens in „Sindbads siebente Reise“ und „Kampf der Titanen“ in Bewegung). Sein folgendes Real-Trickfilm-Projekt war JAMES UND DER RIESENPFIRSICH (1995), nach dem gleichnamigen Buch von Roald Dahl. 2001 folgte „Monkeybone“, ebenfalls eine Kombination aus Live-Action und Animation. In seinem neuen Werk verbindet Henry Selick die Stop-Motion-Technik mit dem bekannten und jetzt wiederentdeckten 3D-Format.
Mit „Coraline“ adaptierte Selick die gleichnamige, 2002 veröffentlichte Fantasy- und Gruselgeschichte des 1960 geborenen britischen Autors NEIL GAIMAN. Dabei im Mittelpunkt: die 11-jährige Coraline Jones. Die hat es von Michigan und damit weit weg von ihren bisherigen Freunden in die ländliche Einöde von Oregon verschlagen, wo ihre Eltern für einen Garten-Katalog arbeiten. Und kaum Zeit für ihre wissbegierige Tochter oder für die Zubereitung leckerer Mahlzeiten haben. So macht sich Coraline auf Entdeckungstour im neuen alten Haus und in dessen Umgebung. Trifft auf den gleichaltrigen Jungen Wybie, der sie mit seinem Gequatsche fürchterlich nervt; besucht zwei ältere Nachbardamen, die sich als ehemalige Erotikdarstellerinnen entpuppen, und stößt auf einen „merkwürdigen“ russischen Akrobaten. Doch dann entdeckt sie eine „geheime kleine Tür“ im Haus. Hinter DER verbirgt sich ein gespenstisch anmutender Tunnel. An dessen Ende sich eine „viel schönere“ Parallelwelt auftut. Eine Art Spiegelbild ihrer eigenen. Mit farbenfrohen Zimmern, tollem Essen und viel fürsorglicheren „Zweiteltern“. Die sich viel Zeit für sie nehmen. Hier ist Coraline stets im Mittelpunkt, und hier vermag sogar die auch auftauchende schwarze Katze „von nebenan“ zu sprechen. Nur daß ihre „besseren Eltern“ hier Knöpfe anstatt Augen tragen, irritiert Coraline ein wenig; dafür aber ist sie beeindruckt von soviel Schönheit, Nettigkeit und Zuneigung. Und saust jeden Tag gerne hierher. Sie könne für immer hier bleiben, wird dem aufgeweckten Kind signalisiert, allerdings müsse es dann ebenfalls Knöpfe anstatt Augen akzeptieren. Doch als Coraline dies nicht will, entpuppt sich „Mama 2“ plötzlich als wahre Alptraum-Hexe. Die nicht nur Coraline, sondern auch die Eltern aus der realen Welt bedroht. So dass das pfiffige kleine Mädchen mittenmal „voll gefordert“ ist, um mit List und noch mehr Mut das erste große Lebens-Abenteuer zu bestehen.
Was für ein Märchen! Was für eine Magie! Was für ein seltsamer Zauber! Was für eine aufregende Poesie! Was für eine einzigartige visuelle Phantasie! Was für eine herrlich-urige, originelle Animationsumsetzung! Was für ein wunder-wunderschöner Einfallsreichtum! Was für unglaublich tolle Gedanken! Was für eine faszinierende, spannende neue Animationswelt! Was für ein grandioses Film-Erlebnis!!! In dem Kindsein zunächst keineswegs „Freude“ bedeutet/vermittelt, ganz im Gegenteil. Man mußte umziehen, die fremde Umgebung, ohne die bisherigen „dicken“ Freunde/Innen, die „nervenden“ neuen Leute in der Nachbarschaft, die gestreßten Eltern, die weder Zeit noch Lust haben, sich „richtig“ um die Belange ihrer cleveren Tochter zu kümmern. Also schafft/verschafft sich diese eine vermeintlich viel, viel schönere und bessere „neue Welt“. Eine scheinbar ganz und gar HEIILE Welt. Wo sich alles nur UM SIE und ihre Bedürfnisse dreht. Doch natürlich besitzt gerade „dieser private Kosmos“ schlimme blendende Haken. Weil, wie bei „Alice im Wunderland“, Schönes und Schreckliches so nah beieinanderliegen.
In diesem „Film für mutige Mädchen“, wie der Verleih seinen Schatz nennt, darf sich die Phantasie um das schmerzhafte Erwachsen-Werden eines „flotten Kindes“ grenzenlos-üppig austoben. Nochmal: Die animierte Visualität und die Einfälle sind hier unglaublich, und der Spannungsspaß ist ausufernd wie enorm. Ein faszinierendes neues Spektakel von Henry Selick; mit herrlich-skurrilen Geschöpfen und auch einer stimmigen, stimmungsvollen Sound-Kulisse von BRUNO COULAIS, dessen Soundtrack zum französischen Meisterwerk „Die Kinder des Monsieur Mathieu“ (2005) unvergessen ist. Die FSK hat den Film ab 6 Jahren freigegeben, und die Bewertungsstelle hat ihn mit dem Prädikat „besonders wertvoll“ versehen. „Coraline“ ist ein faszinierendes modernes „Grimm“-Märchen, aufregend balancierend zwischen Schauer und Schönem, zwischen Grusel und Happy, als unsentimentales Plädoyer für eine lieber „unfertige“ als „täuschende“ eigene Realwelt. Keine Frage, „Coraline“ wird unweigerlich ein Animations-KLASSIKER!!!!! (= 5 PÖNIs).