THE BRAVE

PÖNIs: (4,5/5)

ER ist ja derzeit wieder in aller Kino-Augen: Kentucky-Boy – Superstar JOHNNY DEPP als exzentrischer Captain Jack Sparrow in „Fluch der Karibik 4“. Der soeben, am 9. Juni 2011, 48 Jahre alt gewordene Leinwand-Liebling taucht aber in diesen Wochen gleich zweimal „filmisch“ auf. Einmal eben als der ewig flotte Pirat, dann aber auch als Regisseur. Plus Co-Drehbuchautor und Hauptdarsteller. In seinem eigenen Debütfilm:

„THE BRAVE“ von und mit Johnny Depp (Co-B; R + D; USA 1996; Co-B: Daniel Depp, Paul Mc Cudden; K: Vilko Filac; M: Iggy Pop; 117 Minuten; deutscher Heimkino-Start: 27.10.1998; DVD-Veröffentlichung: 09.06.2011).

„The Brave“, also „Der Tapfere/Mutige“, aber auch „Der indianische Krieger“, ist einer jener Filme, die ich seit dem Erst-Sehen vor Jahren NIE MEHR aus dem Kopf gekriegt habe. Er entstand in Kalifornien, hatte 1997 seine Welturaufführung bei den Filmfestspielen von Cannes, bekam hervorragende wie herunterputzende Kritiken. Letztere besonders von US-Kritikern. Darüber war Johnny Depp damals dermaßen erbost, dass er sich weigerte, seinen Film in den USA zu veröffentlichen. Dort ist er bis heute nur auf einer Import-Scheibe zu bekommen. In vielen anderen Ländern wurde der Film vorgeführt, war als Video und ist jetzt als DVD im Handel. Wie bei uns.

„The Brave“ ist thematisch ein böser Film. Der „einschlägt“. In die Birne. Im Mittelpunkt: der indianisch-stämmige Raphael. Der lebt mit Ehefrau und zwei Kindern in einem schäbigen Trailer am Rande einer Müllkippe. Fristet ein armseliges Dasein. Unterhalb des Existenzminimums. Allerdings ziemlich selbstverschuldet. Er ist arbeitslos, Alkoholiker und kürzlich mal wieder aus dem Gefängnis entlassen worden. „Geläutert“, wie man merkt. Raphael ist sich sicher, auf dieser Welt nichts zu suchen zu haben. Ich bin völlig bedeutungslos, lautet sein Credo. Unwichtig. Überflüssig. Habe hier nichts mehr verloren. Seine Familie aber möchte er versorgt wissen. In einer Bar hört er von einem gut bezahlten Job. Einem extrem gut bezahlten Job. Macht sich auf den Weg. In die nahe gelegene Stadt. In eine alte Lagerhalle. Trifft dort auf Mr. McCarthy (MARLON BRANDO). Der, ein ruhiger, besonnener Geschäftsmann, macht ihm ein Angebot: Wenn er einwilligt, in einem sogenannten „Snuff-Movie“ mitzuspielen, „mitzuwirken“, wenn er also einwilligt, sich vor laufender Kamera foltern und töten zu lassen, bekommt er 50.000 Dollar. Vorher natürlich. Eine Woche Bedenkzeit bleibt ihm. Dann „die Kohle“, dann die „Dreharbeiten“. Raphael stimmt zu. Bekommt das Geld.

„The Brave“ erzählt fortan auf eindringliche, unter die (Denk-)Haut gehende Fühlweise von der letzten Lebenswoche dieses „Auslauf-Menschen“. Und von seinen Anstrengungen, seiner Familie halbwegs plausibel „den neuen Reichtum“ zu vermitteln, ohne dafür die tatsächlichen Gründe zu nennen. Eine Woche Rest-Lebens-Zeit verbleibt Raphael. Der nur einem Priester alles beichtet. Und ansonsten Stress hat, seiner „aufhorchenden“ Umgebung halbwegs gute Gründe für den „plötzlichen Reichtum“ zu liefern. Und dann ist ja da noch sein gieriger, widerlicher Bruder. Der „Lunte“, Money, gerochen hat. Und nach seinem „Anteil“ verlangt. Raphael bekommt nochmal „gut zu tun“. In der letzten Szene dieses „unheimlichen Films“ sieht man ihn dann die Lagerhalle betreten, in der er sein Leben verlieren wird.

JOHNNY DEPP hat gemeinsam mit den Autoren Paul McCudden und Daniel Depp, seinem Bruder, das Drehbuch verfasst. Nach Motiven des 1991 herausgekommenen gleichnamigen Romans des amerikanischen Kriminalschriftstellers Gregory McDonald (*1937 – †2008). Dessen populärste Bücher die detektivische „Fletch“-Reihe waren, die Hollywood später mit Chevy Chase verfilmte. Johnny Depp interessiert sich in/mit seinem Film allerdings weniger für die kriminalistischen Beweggründe in diesem teuflischen Pakt, sondern um die politische Philosophie. „THE BRAVE“ ist eine zynische Parabel über die kapitalistische Gesellschaft und deren Auswüchse, sprich „Marktwirtschaft“ à la „Angebot + Nachfrage“. Der Mensch zählt gar nichts mehr. Ist ein „Pfund“, mit dem man wuchern kann. Spielen kann. Nach Bedarf. Was zählt ist nur noch sein eventueller Markt-, also ExistenzWERT. Den gilt es festzustellen, zu ermitteln, um dann Verkaufsangebote zu ordern. Hier: An einen freundlichen, höflichen alten Mann im Rollstuhl, der sich als „spezieller Filmproduzent“ herausschert. MARLON BRANDO, damals 72 (*1924 – †2004), mimt diesen satanischen Faust-Manager mit süffisantem Unterton. Ebenso faszinierend wie eklig. Es war übrigens nach „Don Juan DeMarco“ (1995) die zweite Zusammenarbeit zwischen Depp & Brando. Beide sollen, dem Vernehmen nach, bei den Dreharbeiten sehr gut miteinander umgegangen und ausgekommen sein.

„The Brave“ ist ein großartiger Trauer-Film. Um Kälte, Hoffnungslosigkeit, Tod. Eine Zivilisationsparabel. Mit kargen Blicken und Kommentaren wie bei Jim Jarmusch oder Aki Kaurismäki. Manchmal bleibt die dramaturgische Luft zwar stehen, dennoch ist der Regie-Erstling von Johnnyy Depp ein mehr denn je aktuelles wie gesellschaftskritisches Meistwerk des Kopfes geblieben. Gerade im globalen Gier-Zeitalter, wo wir uns inzwischen fast ALLES durchaus vorstellen können. Dürfen. Leider müssen (= 4 1/2 PÖNIs).

Anbieter: „Concorde Home Entertainment“.

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