DAS BRANDNEUE TESTAMENT

PÖNIs: (4,5/5)

„DAS BRANDNEUE TESTAMENT“ von Jaco Van Dormael (Co-B; Co-Produzent + R; F/Belgien/Luxemburg 2014; Co-B: Thomas Gunzig; K: Christophe Beaucarne; M: An Pierlé; 116 Minuten; deutscher Kino-Start: 03.12.2015); es kommt selten vor, dass man das gegenwärtige Gesamtwerk eines Filmemachers „komplett“ schätzt. Mag. Aber so geht es mir bei dem 58-jährigen belgischen Drehbuch-Autoren und Regisseur JACO VAN DORMAEL. Filme wie „Toto der Held“ (1991), „Am achten Tag“ (1996) und „Mr. Nobody“ (2009/s. Kino-KRITIK) haben sich cineastisch fest eingeprägt und zählen zu den besten europäischen „Wundertüten“. Mit seinem neuesten Film startet Jaco Van Dormael in die filmische Champions League durch.

Was haben SIE es uns seit frühester Kindheit eingebläut, Eltern, Kirche, Lehrer und weitere Sozialverantwortliche: der LIEBE Gott. Einwände – nicht gestattet. Die Diktatur des Glaubens. Jetzt zeigt uns ein frisch-fröhlicher und völlig unfrommer Film, dass diese gütige göttliche Sichtweise gar nicht stimmt. Von wegen „lieber“ oder gar „guter“ Gott. Was dürfen wir groß-staunen: Erst einmal, ER lebt. Und zwar jetzt. Hier und heute. Wo? In Brüssel.

Nicht als Tattergreis mit Rauschebart und langem Gewand, sondern eher wie ein „Penner“ aussehend. Der sich langweilt. Mit unappetitlichem Bademantel herumläuft, viel Bier trinkt; immer mit einer Kippe im Mund mürrisch abhängt. So verbringt dieser frustrierte Mittelalter-Macho-Typ in einer Art Giganten-Bunker seine Tage am PC, um „seiner“ Menschheit ständig eins auszuwischen. Mit immer weiteren „unangenehmen“ Geboten. Denn Gott (BENOÎT POELVOORDE) ist ein ewig schlecht gelaunter Tyrann. Mag seine Menschen nicht und experimentiert zu gerne süffisant an ihrem „Benehmen“ beziehungsweise Auftreten herum. Indem er zum Beispiel immer weitere „Anordnungen“ erfindet. Als eklige Schikanen. Die er grinsend als „universelle Mordsärgernisse“ bezeichnet. Wie Gebot 2126: Geschirr geht immer nach dem Spülen zu Bruch. Oder 2128: In der Schlange nebenan geht es immer schneller. Oder 2231: Ein Unglück kommt selten allein.

Auch „privat“, im ungemütlichen Heim, ist Gott ein Ekel. Seiner Frau (YOLANDE MOREAU) hat er das Sprechen verboten und seine Tochter Éa (PILI GROYNE), ja, Gott hat eine bisher in der Geschichte verheimlichte Tochter, mag er auch nicht, sie rebelliert, also widerspricht ihm zu viel. Aber irgendwann hat die frustrierte Éa die ewige Nörgelei und Bevormundung und überhaupt den väterlichen Groll auf jeden und alles satt. Kommuniziert mit ihrem toten Bruder, JC, der als Mini-Statue im Wohnzimmer auf dem Schrank steht, und gemeinsam finden sie eine interessante neue Aufgabe. Als Herausforderung. Diese hat mit der geänderten Apostel-Zahl 18 zu tun; angelehnt an die Mannschaftsstärke eines Baseball-Teams; ein Sport, den Gottes Frau so mag. Es gilt, sechs weitere Apostel aufzutreiben. Zu bestimmen.

Éa hackt den göttlichen Computer ihres Daddys und teilt erst einmal allen Erdenmenschen per SMS ihr Sterbetag-Datum mit. Was natürlich „draußen“ zu „öffentlichem Erstaunen“ und heftigen Reaktionen führt, zum Beispiel in den Nachrichten und im Talk-Fernsehen. In den sozialen Netzwerken toben die Meinungen. Neue „Aktionen“ sind jetzt angesagt. Angesichts dieser aktuellen individuellen Informationslage. Plötzlich hat die Menschheit andere Dinge im Kopf und zu tun, als immer nur Kriege zu führen. Vielmehr muss sich ja nun jeder damit befassen, was man mit dem jetzt bekannten „Lebensrest“ für sich eigentlich anzustellen beabsichtigt. Als „der Herr“ mitbekommt, was seine Tochter angerichtet hat, ist er so etwas von stinkesauer, RICHTIG wütend, während Töchterchen – übrigens durch eine Waschmaschine – längst zur Brüssel-Menschheit abgehauen ist. Um dort „weitere Freundlichkeiten“ anzurichten. Also die perfekten weiteren Apostel zu finden. Auch: über die Musikalität. Jedes Einzelnen. IHM bleibt nichts anderes übrig, als hinter dem pfiffigen Nachwuchs herzujagen, um den alten Herrschaftszustand der Welt wieder herzustellen. Pech nur für „The Godfather“, dass man in Brüssel so wenig an ihn zu glauben vermag, so wie er sich gibt, zeigt, äußert.

Was für eine köstlich-phantastische Frechheit! Phantasievoll wie hinterfotzig. Der gütige Allmächtige im Schlabber-„Kik“-Look. Aberwitzig. Mit Ekel-Alfred-Attitüden. Grotesk. Saukomisch. Ein Miesepeter-Diktator durch und durch. Fein-absurd. Eine dreiste Komödie. Mit originellem Geschmack. Als Pointen-Karussell. Mit listigen Hintergedanken. Dieser unbefriedigende unvollkommene Zustand unserer Welt. Lasst neue – bessere – Apostel um uns sein. Oder: der Mensch plötzlich als Ich-Selbst. Wie Neu-Apostel Martine (schön und selbstironisch: CATHERINE DENEUVE), die sich nun, angesichts der ihr verbleibenden Zeit auf Erden, den privaten Emotionsluxus leistet, sich in einen Gorilla zu verlieben. Während dieser außerordentlich gelungene schwarze Spaß weiter mit provozierenden Gedanken jubiliert wie: Eigentlich wird es allerhöchste Zeit für endlich einmal eine FRAU Gott! Wenn ER sich doch als solch ein fürchterlicher heiliger Stinkstiefel entpuppt???!

Herrlich absurde Ideen noch und nöcher: Begeisterung für Co-Drehbuch-Autor und Regisseur JACO VAN DORMAEL und seinen einmal mehr wundervollen skurrilen, subversiven Einfallsreichtum. In „Le Tout Nouveau Testament“ verbreitet er eine Fülle von Fabel-haftem Schwarzhumor-Slapstick. Gemixt mit einem hervorragend-passenden, stimmungsvollen Soundtrack. Als Personen-gebundene sensible Seelen-Klänge. Und stellt mit BENOÎT POELVOORDE – Marke: der mit der schönen Hackfresse – einen prächtig-göttlichen Proll-Mimen vor.

Der aus Filmen wie „Mann beißt Hund“ (Kult 1992/s. Kino-KRITIK), „Asterix bei den Olympischen Spielen“ (2008), „Louise Hires A Contract Killer“ (2008), „Kill Me Please“ (2010), „Nichts zu verzollen“ (2011) oder „Mein liebster Alptraum“ (2011; s. Kino-KRITIK) auch hierzulande bekannt gewordene belgische Schauspieler, der 2002 mit dem „Jean Gabin-Preis“ ausgezeichnet und 2004 – auf Vorschlag von Quentin Tarantino – in die Jury der Filmfestspiele von Cannes berufen wurde, ist der furios-passende schlimme Herr-Gott. Als Arschloch vom heiligen Dienst setzt er sich in jede ironische Brenn-Nessel und dreht brillant am biblischen Pointen-Rad. Was für ein formidabel-provokanter irdischer Himmels-Typ!

Chaplin wäre mit Sicherheit über „Das brandneue Testament“ angetan; ich bin begeistert über diese von „Casa Kafka Pictures“ hergestellte Produktion: eine exzellente, human-schräge Provo-Belebung für das derzeitige Weihnachts-Kino 2015. Beziehungsweise: „Das brandneue Testament“ ist in unseren Kinos dieses Jahr d a s definitive Weihnachtsfilm-Highlight (= 4 ½ PÖNIs).

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