„BLANCANIEVES – EIN MÄRCHEN VON SCHWARZ UND WEISS“ von Pablo Berger (B + R; Spanien/Fr 2012; K: Kiko de la Rica; M: Alfonso de Vilallonga; 109 Minuten; Start D: 28.11.2013); Eingangsgedanken – wie kann es sein, dass erneut ein „sprachloser“ Film mit Zwischentitel derart betört, verzaubert, die Emotionen dermaßen gigantisch aufwühlt wie im Vorjahr „THE ARTIST“??? Und noch dazu als die x-te Version von „Schneewitchen“ ?? In einer ganz wunderbaren wie „selbständigen“ spanischen (Ver-)Fassung? „Blancanieves“ ist ein ganz großes Kino-Ereignis!
„Hätt’ ich ein Kind, so weiß wie Schnee, so rot wie Blut und so schwarz wie das Holz an dem Rahmen!“, wünscht sich die Königin am Anfang von „Schneewitchen“, das Jacob und Wilhelm Grimm 1812 in ihren „Kinder- und Hausmärchen“ veröffentlichten. Die Geschichte des Mädchens mit den Sieben Zwergen und der bösen Stiefmutter wurde 19816 erstmals verfilmt. Und auch nach Walt Disneys Zeichentrickfilmklassiker von 1937 hat der Stoff Filmemacher immer wieder angesprochen. Eine der erfolgreichsten Adaptionen entstand 1961 in den DEFA-Studios der DDR: „Schneewitchen“ von Gottfried Kolditz. Die Faszination des Märchens ist bis heute ungebrochen. Allein 2012 kamen vier neue „Schneewitchen“-Filmadaptionen bei uns im Kino beziehungsweise im hiesigen Heimkino heraus (s. Kino-KRITIK „SNOW WHITE & THE HUNTSMAN“).
Nun also im Süden Spaniens, im archaischen Sevilla; nun also in „stumm“, nun also in den Zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Wo der Torero Antonio Villalta (DANIEL GIMÉNEZ CACHO) der Star der Arena ist. Seine Frau, die berühmte Flamencosängerin Carmen de Triana, erwartet bald ihr Kind. Und ist geschockt, als Antonio von einem Stier überrannt und auf die Hörner genommen wird. Er überlebt, ist aber fortan gelähmt; Carmen stirbt bei der Geburt der Tochter Carmencita. Der traumatisierte Antonio will seine Tochter nicht sehen, heiratet seine arglistige, berechnende Krankenschwester Encarna (herrlich giftig: MARIBEL VERDÚ), während Carmencita bei ihrer gutmütigen Großmutter (ÁNGELA MOLINA) aufwächst. Mit ihrem besten Freund, dem Hahn Pepe. Als die Großmutter stirbt, wird Carmencita zum Landsitz ihres Vaters gebracht. Wo sie der Folter ihrer Schwiegermutter ausgesetzt ist. Als es ihr trotzdem gelingt, mit ihrem Vater in Kontakt zu treten, scheint die familiäre „Zusammenführung“ zu gelingen. Doch dann greift die schurkische, sadistische Encama ein und „Schneewittchen“ landet über einige Umwege in einem „Zirkus der Torero-Zwerge“. Wo Carmencita (MACARENA GARCÍA) zum Star aufwächst. Allerdings – nicht alle Zwerge sind hier „gut“ und ihrem Mädel wohlgesonnen, und die Schwiegermutter hat längst wieder ihre eigenen üblen (Vernichtungs-)Pläne. Parat. Sprich: Der Apfel winkt. Es wird traurig. Aber schön.
Ein aberwitziges Poem. In schaurig-köstlichen, kontrastreichen schwarz-weißen Stumm-Bildern. Zwischen Arena, Fuhrpark und großen Haus-Räumen. Mit außerordentlich augen- schmackhaftem atmosphärischem andalusischem Alptraum-Charme. Als märchenhaftes Melodrama. In einer Mixtur aus Fantasy-, Abenteuer- und Horrorfilm sowie mit einer kräftigen Prise schwarzen Humors. Mit unaufdringlichen, ergreifenden Tönen und betörenden Flamenco-Klängen. Und einem fesselnden Ensemble, das „Seele“ großartig vermittelt. Virtuos ausdrückt. Fantastisch Gefühle „zeigt“. Mit einem Ende, das „so oder so“ zu interpretieren ist: Je nachdem, ob das (Gefühls-)Glas für den „romantischen Betrachter“ halb voll oder halb leer ist.
„Blancanieves“ ist eine wunderbare Hymne an die Frühzeit des Kinos, dabei mit den heutigen – klaren – exzellent angewandten Bildmitteln ein Feuerwerk mit enorm vielen liebevollen wie durchtriebenen Spannungseinfällen und Anspielungen. An cineastische wie märchenhafte Hochphasen. Samt formidablen Wertungsmöglichkeiten. Der Einfallsreichtum jedenfalls ist riesig. „Schneewittchen“ als weiblicher Oliver Twist, mit der Energie einer Jean D’Arc, mitten im exotischen Horror-Taumel von „Freaks“ (von Tod Browning/1932). Kunstsachverständige wie Genre-Liebhaber bekommen, erleben den vollen Unterhaltungsgenuss.
Zudem: „Blancanieves“, nach „Die Torremolinos“/2003 der zweite Spielfilm des 50jährigen Autoren und Regisseurs Pablo Berger, zählt seit seiner Großpremiere auf dem vorjährigen Festival von San Sebastián zu den meist dekorierten europäischen Filmen. Darunter befinden sich gleich 10 spanische „Oscars“, genannt „Goyas“. Der „Beste Film des Jahres“ wurde jetzt auch als spanischer Vertreter für den nächsten Auslands-„Oscar“-Wettbewerb eingereicht. Viel Lob und verdiente Ehre für einen brillanten Film (= 4 ½ PÖNIs).