DIE BESCHISSENHEIT DER DINGE

DIE BESCHISSENHEIT DER DINGE“ von Felix Van Groeningen (Co-B+R; Belg. 2008/108 Minuten; Start D: 20.05.2010); der 3. Spielfilm des 1978 in Gent geborenen Filmemachers, der im Jahr 2000 seinen Master in „Audiovisual Arts“ an der Königlichen Akademie der Schönen Künste In Gent machte, lief im Vorjahr beim Filmfest in Cannes in einer Nebenreihe, war dann für ein flämisches Arthouse-Movie außerordentlich erfolgreich in den belgischen Kinos und wurde schließlich (erfolglos) als Belgien-Vertreter für die Nominierungen zum Auslands-„Oscar“ ausgewählt. „De helaasheid der dingen“, so der Originaltitel, basiert auf dem gleichnamigen, 2006 erschienenen Roman des am 2. Oktober 1972 in Aalst geborenen flämischen Schriftstellers DIMITRI VERHULST, der in Belgien und Holland ein Bestseller war. Dimitri Verhulst erzählt in diesem, bei uns im Verlag „Luchterhand“ 2007 unter dem Filmtitel herausgegebenen Werk eine autobiographische Familiengeschichte aus dem Belgien der 80er Jahre. „Eventuelle Ähnlichkeiten bestimmter Figuren in diesem Buch mit realen Personen beruhen auf reiner Menschenkenntnis“:

Der erfolglose Schriftsteller Gunther Strobbe erinnert sich an seine schwierige Kindheit. Als er ohne Mutter inmitten einer Alkoholikersippe aufwuchs. Sozusagen: Nach den 3 Leinwand-Erfahrungen mit der niederländischen Proll-Family „DEN FLODDERS“ („Flodder – Eine Familie zum Knutschen“/1985/1992/1995) nun also DIE STROBBES. Wo der 13jährige Gunther unter Primitivbedingungen im (fiktiven) Abseits-Dorf Reetvergedeem (etwa „Arschverdammichhausen“) aufwächst. Bei seinem Trunkenbold von Vater und dessen drei ebenso nichtsnutzigen Brüdern. Die gutmütige Oma Meetje hält den versifften Laden mit ihrer kargen Rente und Hilfsjobs einigermaßen zusammen. Für den intelligenten Buben ist es ein Zwiespalt-Dasein: Einerseits „dieses Elend“ mit Hof-Plumsklo, ständiger Sauf-Krakeeler-Stimmung und Rohe-Wurst-Freßorgien zu erleben, andererseits „draußen“ dieses Elend auch noch gegenüber Schulkameraden verteidigen zu müssen. Suff, Sex und Glücksspiel bestimmt den ewigen Kreislauf der Strobbes. Die auch äußerlich, mit ihren wildwuchernden Langhaaren und den überdimensionalen Schnauzern, eine „Einheit für sich“ bilden. Für jede Stänkerei, Schweinerei und „Rührung“ gerne zu haben. Ob Nacktradfahren, das Tour de France-Kampftrinken, die Rammeleien oder die Roy Orbison-Verehrung („Only the Lonely“), sie sind eine einzige Dauer-Pöbel-Veranstaltung. Mit viel Stolz auf sich und ihren „Stil“. Immer auf dem schlimmen Wege der Grausamkeit, Selbstzerstörung, des Delirium tremens.

Was ist das für ein merkwürdiger, widerlicher, packender Film und Stoff? Der es geradezu unglaublich schafft, diese Mixtur zwischen Ekel und Reiz plausibel herzustellen? „Die Beschissenheit der Dinge“ ist radikal, aber auch „komisch“. Kommt nicht als dauertriste Milieustudie „Pfui-Ba-Ba“ daher, a la „schaut auf diesen Dreck“, sondern als lakonischer, wüster Anekdoten-Blick auf absurdes, beklopptes, verkorkstes Unterschichten-Dasein. Ohne Anklage, Moral-Fahne, Haß-Häme, Klamauk, sondern mit Schmerz-Humor, Wut-Weisheit, provozierendem Trash-Klima. Das war so, so war es. „Mir ging wieder einmal auf, daß schöne Dinge entweder zerstört werden oder unser Dorf verlassen“, resümiert Gunther aus dem Off. Der dann „danach“, als erfolgreicher Schriftsteller, so seine gehörigen Probleme mit dem „normalen Leben“ hat/bekommt. Stichwort: Die Dämonen der Vergangenheit sind das Trauma der Gegenwart. Ein empörend guter, provozierender Film. Der unter die Haut kriecht. Sich dort tief einmeißelt wie eine seltsame, (ent-)spannende Genugtuung, Gott sei Dank „so etwas“ nie erlebt haben zu müssen. Zugleich wissend, „den Strobbes“ mehr als einmal an einer Wegstrecke im Leben begegnet zu sein. Ich bin im Kino: Soviel authentischen Stallgeruch, soviel vitale Amoral, soviel halligalli-verhunzten Dauerdreckskarneval gab es dort selten zu riechen. Und – zu mögen. Weil die großartigen Schauspieler nicht schauspielern, sondern „sind“ in den Figuren: Bedrohlich, rotzig, menschlich, schelmisch, gnadenlos eklig. Der Film „Die Beschissenheit der Dinge“ ist ein Erlebnis (= 4 PÖNIs).

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