PÖNIs: (5/5)
„THE ARTIST“ von Michel Hazanavicius (B + R; Fr 2010/2011; K: Guillaume Schiffman; M: Ludovic Bource; 100 Minuten; größtenteils Schwarz-Weiß; deutscher Kino-Start: 26.01.2012); natürlich, das sage ich ja immer – in den meisten Filmen wird viel zu viel gequatscht. Besonders zerquatscht sich der deutsche Film. Indem er meint, alles, aber auch wirklich alles, erklären zu müssen. Oftmals auch noch „von oben“, aus dem Off (wie zuletzt im Kinorohrkrepierer „Offroad“). Allerdings, einen neuen Film nun gänzlich ohne Ton zu drehen, na ja, fast gänzlich, das vorzustellen galt bisher jenseits aller modernen Vorstellungsmöglichkeiten. Im heutigen Kino. Wo es bekanntlich andauernd kracht, zischt, spektakelt. Wo schnelle Bewegungen und lauter Ton an der Unterhaltungstagesordnung sind. Ganz anders hier. GANZ ANDERS.
Sein Name: MICHEL HAZANAVICIUS. Vor „The Artist“ in Frankreich mehr bekannt als bei uns. Der am 29. März 1967 in Paris geborene Drehbuch-Autor und Regisseur für Fernsehen und Kino fiel mit zwei im Kino-Frankreich sehr erfolgreichen Bond-Parodien auf: „OSS 117 – Der Spion, der sich liebte“ (2006; s. Kino-KRITIK) sowie „OSS 117 – Er selbst ist sich genug“ (2009; s. Kino-KRITIK). Hierzulande kamen die gagigen Ulk-Späße nicht in die Lichtspielhäuser, sondern wurden gleich per DVD vermarktet. Hauptakteur in beiden quatschigen Helden-Posen war der französische Schauspieler und Komiker JEAN DUJARDIN (geboren am 19. Juni 1972). Bei uns erstmals „gesichtet“ und wahrgenommen in dem französischen „Kauf-Drama“ „39,90“ von Jan Kounen aus dem Jahr 2007 (nach dem gleichnamigen kultigen Bestseller von Frédéric Beigbeder). Und dieser JEAN DUJARDIN betritt nun mit „The Artist“ die GANZ GROSSE BÜHNE: als Stummfilm-Star George Valentin.
Wir befinden uns anno 1927 in Hollywood. Von dort aus „regiert“ jener George Valentin. Auf den Kino-Leinwänden. George ist der umjubelte Star der „Kinograph Studios“. In den Augen und Herzen der Zuschauer ist er DER Held. IHR Freizeit-Hero. Als Draufgänger und Charmeur. Beziehungsweise umgekehrt. Gemeinsam mit seinem unwiderstehlichen Kumpel, dem Jack Russell Terrier „Jack“, erlebt er auf der Leinwand die phantasievollsten Abenteuer. George, eine Mixtur aus Douglas Fairbanks und Clark Gable, ist privat aber ein großer Junge geblieben. Der mit einer blasierten blonden Ehefrau in einer pompösen Mausoleums-Villa langweilig lebt. Als er nach der einmal mehr begeistert aufgenommenen Premiere seines neuesten Films „A Russian Affair“ zufällig der unbekannten Tänzerin Peppy Miller begegnet (hinreißend: BÉRÉNICE BEJO; Ehefrau von Michel Hazanavicius), soll dies „Schicksal“ bedeuten. Denn „demnächst“ wird sich das Leben dieser beiden Menschen entscheidend ändern, wobei sich auch die „Positionen“ entscheidend verändern sollen. Stichwort: der aufkommende TONFILM. Während George „dabei“ nicht mehr mitkommt, eigentlich nicht mitkommen will, weil er „daran“ nicht glaubt, glauben will, erlebt die junge Tänzerin „aus der dritten Reihe“ den großen Karrieresprung. Wird nun zum gefeierten Star des Neuen Kinos. ER dagegen stürzt ab. Ins Selbstmitleid und die Pleite. Beschleunigt durch die Wirtschaftskrise von 1929. Sein prächtiges Lächeln erstarrt. Einzig sein treuer Butler Clifton (JAMES CROMWELL) sowie Jack, sein braver Hund und ewiger Partner, halten noch zu ihm. Der inzwischen in einer kärglichen Bude haust. Und seine Depressionen ersäuft. Produzent Al Zimmer (einmal mehr grandios unverwüstlich: JOHN GOODMAN) hat ihn längst abgeschrieben. Ausgemustert. Das Da-Sein als ewiges Auf und Ab. Wie im richtigen Leben. Ist es DAS gewesen? Oder wird es für den einstigen Liebling der Massen noch eine Chance geben? Auf der Leinwand ebenso wie in der Existenz „davor“???
Es lohnt sich. Ach was, es ist begeisternd. Umwerfend. Schön. Wunderbar. Formidabel. Grandios. Eindrucksvoll. Bewegend. PHANTASTISCH. In und mit der MAGIE von KINO. Der Stätte für die sinnliche Fütterung der Seele. Und des Kopfes. Wenn es klappt. Funktioniert. Passt. Stimmt. Hier „stimmt“ es. Total. SOVIEL tollen Zauber und feine Sinn-Schönheit gab schon lange nicht mehr. In, mit, über einen Stummfilm in Schwarz-Weiß! Mit Zwischentiteln. Und dem „Dennoch-Verstehen“ der Sprache. Dem unkomplizierten, amüsanten Aufnehmen der Handlung. Dem Empfinden der „dortigen“ Gefühle. Regungen. Bewegungen. Unglaublich. Unfassbar. WIE dies ankommt. Rüberkommt. WIRKT. Becirct. Inmitten einer herrlichen wie unaufdringlichen Musikalität (von LUDOVIC BOURCE, dessen Originalkompositionen vom 80 Musiker umfassenden „Royal Flanders Philharmonic Orchestra“ eingespielt wurden). Und über diese amüsant-melancholischen Bilder von Kamera-As GUILLAUME SCHIFFMAN. Dessen Motive dermaßen viel „Sprache“ beinhalten, dass gar kein „offener“ Ton benötigt wird. Gebraucht wird. Vermisst wird. Weil die Schauspieler mit körpersprachlicher Eleganz und mit ausdrucksvoller Mimik betören. Man „hört“ buchstäblich jedes Wort. Versteht sie. Hängt an ihren Lippen. Ohne Blödheit, Albernheit, Schmus. Völlig „normal“. SO ETWAS vermag nur das kluge Kino: Bildlich wunderbar „zu tönen“. Spiel, Spaß, Spannung. Stimmung total. „The Artist“ ist kein nachgemachtes Stummfilm-Epos, sondern ein neu dirigiertes, tolles Leinwand-Ereignis. Als Hymne auf DAS universelle KINO.
JEAN DUJARDIN, eine wahre Lächel-Wucht. In Höhen und Tiefen. Im Schalk wie im Schmerz. Ein augenzwinkernder Mime. Ein attraktiver First Class-Charme-Bolzen. Als köstliche Rampensau. Im vorigen Frühjahr wurde der in diesem Jahr 40 Jahre jung werdende Typ auf den Filmfestspielen von Cannes als „Bester Schauspieler“ ausgezeichnet. Kürzlich kam der „Golden Globe“ dazu. Und der „Oscar“ winkt bereits. Partnerin BÉRÉNICE BEJO als Peppy Miller ist ebenbürtig. SEHR charmant, sympathisch wie bezaubernd und wunderschön seelentief. Dazu dieser sagenhafte Hund. Jack. Mit bürgerlichem Namen „Uggy“. Ein Juwel von spaßigem, treuem Tier-Begleiter. Ebenfalls in Cannes 2011 prämiert: mit dem „Palm Dog Award“ als „Bester Hundedarsteller“.
„The Artist“, in 35 Drehtagen an Originalschauplätzen in Hollywood (z.B. auf dem Anwesen des früheres Stummfilmstars Mary Pickford) entstanden, mit einem Budget von rund 13,5 Millionen EURO versehen, ist ein filmischer Rundum-Schatz. Stimmig in ALLEM. In den Einstellungen, in der Montage, in den Requisiten. In der Architektur. In der Bewegung, in den Gesten. Vor allem aber: in den lustvollen, ausdrucksstarken, mitreißenden Sprach-Gesichtern der Künstler.
„The Artist“ ist einer der BESTEN FILME UNSERER ZEIT! Große Anerkennung und Verbeugung (= 5 PÖNIs).