PÖNIs: (5/5)
„AN INSPECTOR CALLS“ von Aisling Walsh (GB 2015; B: Helen Edmundson; nach dem gleichn. Bühnenstück von John Boynton Priestley/1946; K: Martin Fuhrer; M: Dominik Scherrer; 86 Minuten; deutscher Heimkino-Start: 15.11.2019); zum Jahresende ist bei uns einer der besten HEIMKINO-Filme für 2019 herausgekommen. Ich lehne mich noch weiter aus dem Fenster heraus: Diese BBC-Produktion zählt mit zu den besten Spielfilmen, die ich in diesem Jahr gesehen habe. Obwohl schon 2015 hergestellt und jetzt erst bei uns zur Auswertung anstehend, schließe ich mich dem Rezensenten von „The Hollywood News“ an: „Hypnotisierend vom Anfang bis zum Ende. Wenn das Puzzle sich zusammenfügt, sträuben sich einem die Nackenhaare“. Und tobt der verblüffte Intellekt, will ich ergänzen. Ein lange nachhallender aufwühlender Spannungsfilm.
JOHN BOYTON PRIESTLEY (*13. September 1894 – †14. August 1984). Ein englischer Schriftsteller, Bühnen-Autor, Journalist und Literatur-Kritiker. Dessen literarische Vorlagen des Öfteren filmisch übernommen wurden, so u.a. für die Spielfilme „Das alte finstere Haus“ (1963 von William Castle nach dem Priestley-Roman „Benighted“ inszeniert); „Gefährliche Wahrheit“ (1972 von Wladimir Bassow nach dem gleichn. Bühnenstück adaptiert) oder „Noch einmal Ferien“ (2006 von Wayne Wang nach einem Priestley-Drehbuch von 1950, Titel: „Ferien wie noch nie“, inszeniert). Eines der bekanntesten und besten J. B. Priestley-Werke aber ist „AN INSPECTOR CALLS“, das er 1944/45 innerhalb einer einzigen Woche schrieb. Uraufführung des Theaterstückes war 1945 in Leningrad und Moskau, da ein geeigneter Veranstaltungsort in England nicht gefunden wurde. (Kritiker spekulierten seinerzeit, dass der Inhalt des Stückes als zu negativ und brisant für das britische Theaterpublikum in der Nachkriegszeit angesehen wurde.) Seine Londoner Premiere hatte das Stück schließlich am 1. Oktober 1946 im „Noel Coward Theatre“ mit Ralph Richardson in der Rolle des Inspektors Goole. Eine erste Filmadaption entstand 1954, mit dem Bühnentitel und unter der Regie von Guy Hamilton. Eine zweite folgte 1982, ebenfalls wieder unter dem originalen Bühnentitel, unter der Regie von Michael Simpson. Nun also die überragende dritte Verfilmung dieses zeitlosen, faszinierenden, spannenden Stoffes durch die irische Regisseurin AISLING WALSH, die wir hierzulande durch ihren bei der Berlinale 2017 in der Sektion „Berlinale Special Gala“ vorgestellten Film „Maudie“ her kennen (s. Kino-KRITIK; mit Sally Hawkins und Ethan Hawke), der dann Ende Oktober 2017 regulär in die Kinos kam und viel-gelobt wurde.
Die Handlung von „An Inspector Calls“ ist im Jahr 1912 angesiedelt. Im fiktiven „Brumley“, einer „Industriestadt in den Northern Midlands“. Der Name kann als Anklang an die Städte Bradford, Birmingham und Burnley verstanden werden. Im hochherrschaftlichen Anwesen der Familie Birling wird eine „standesgemäße“ Verlobung gefeiert: Zwischen Tochter Sheila (CHLOE PIRRIE) und dem Fabrikanten-Sprössling Gerald Croft (KYLE SOLLER) besteht „Einigkeit“. Was den Hausherrn Arthur Birling (KEN STOTT) besonders freut, schließlich wird dadurch „ein Konkurrent“ ausgeschaltet beziehungsweise „vereinnahmt“ und aus zwei Unternehmen eines, ein neues, „umfangreiches“, geschaffen. Mit noch mehr Einfluss und Aussicht auf Gewinn. Was auch Gattin Sybil Birling (MIRANDA RICHARDSON) im Hinblick auf noch „höhere“ gesellschaftliche Anerkennung und Macht freut. Verständlich also, dass jetzt gerade Hochstimmung herrscht. Als ER eintrifft. Als emotionaler Störenfried: Inspektor Goole (DAVID THEWLIS/1993 in „Nackt“; der Remus Lupin aus mehreren „Harry Potter“-Filmen). Er informiert die Anwesenden über seine Ermittlungen im Falle des tragischen Freitods einer jungen Frau namens Eva Smith. Ja und? Was haben wir damit bzw. mit ihr zu tun?, lauten die einheitlichen ersten Antworten der Anwesenden. Doch Goole hat offensichtlich seine kriminalistischen Ermittlungs-Hausaufgaben gemacht und vermag nach und nach aufzudecken, dass SÄMTLICHE Teilnehmer dieses An-Sich-Fröhlichen-Abends sehr wohl diese Eva kannten und durchaus etwas mit ihrem Freitod zu tun haben. Was auch den jüngsten und auffallend verunsicherten Spross des Hauses, Eric Birling (FINN COLE), ins aufklärerische Spiel drückt. So dass es den selbstherrlichen Herrschaften immer schwerer fällt, ihre „coolen“ Oberschicht-Masken aufrecht zu halten.
Was Familien-Oberhaupt Arthur Birling trotzdem egal zu sein scheint. Schließlich vertritt er vehement die – herablassende – These, dass schließlich jeder seines eigenen Glückes Schmied ist, und wer es nicht schafft, sei selber schuld. Doch immer mehr „Vorkommnisse“ kommen zum Vorschein. Spürt der Polizist durch geschickte Fragen und sorgsame Recherche-Beweise auf. Es wird „eng“ für diese gierige Sippe, deren Ignoranz, Arroganz und Egoismus mehr und mehr blättert. Doch dann entwickelt sich diese sich an Charles Dickens orientierende sozialkritische Geschichte „ganz anders“. Völlig unerwartet.
Nicht nur Dickens findet sich hier zum prächtigen Denk-Stoff ein, sondern auch eine „genüsslich schmunzelnde“ Agatha Christie – mit ihrem geschickten wie listigen kriminalistischen Entlarvungs-Rhythmus – spielt hier aus der Ferne brillant-stimmig mit. Motto: Wer hat hier wie und warum und was auf dem Kerbholz? Oder ist alles doch ganz anders?
Fesselnd. Packend. Grandios atmosphärisch. Und mit einem fantastischen Charakter-Ensemble begeisternd ausgestattet. Was für eine Leuchte von beeindruckend zeitlosem Menschen- und Kriminalstück, das klug und doppelbödig an die Birne knallt und empathisch den Bauch mitreißt. Ein Film, der in viele gedankliche – politische wie emotionale – Richtungen zielt und außerordentlich unterhaltsam zündet.
„AN INSPECTOR CALLS“ zählt zu den unbedingten MUST-SEE-FILMEN des nunmehr auslaufenden Jahres. Überragend (= 5 PÖNIs).
Anbieter: „Pandastorm Pictures“.