PÖNIs: (5/5)
„AMY“ von Asif Kapadia (GB 2014/2015; K: Matt Curtis; Schnitt: Chris King; M: Amy Winehouse, Antonio Pinto; 128 Minuten; deutscher Kino-Start: 16.07.2015); „WE ONLY SAID GOODBYE WITH WORDS / I DIED A HUNDRED TIMES / YOU GO BACK TO HER / AND I GO BACK TO BLACK“; Amy Winehouse (Song „Back to Black“ aus dem gleichnamigen Album/2006).
Diese verdammte 27er Liste. Um diesen „Klub 27“. Brian Jones von den Rolling Stones machte den Anfang (†03.07.1969). Danach folgten ihm Jimi Hendrix, Janis Joplin, Jim Morrison. 1994 Kurt Cobain. Am 23. November 2011 AMY WINEHOUSE. Irgendwo im Film sagt sie nebenbei auf die Frage nach kommender möglicher Berühmtheit: „Ich glaube, ich möchte dann lieber sterben“.
„Ich bin kein Mädchen, das ein Star sein will. Ich bin ganz einfach ein Mädchen, das singt“: Der Film „Amy“ ist keine Biographie, sondern ein sehr ausführliches, sehr dichtes, sehr an den Menschen Amy Winehouse herankommendes, auf den Menschen konzentrierendes Dokument. Von dem 1972 in Nord-London geborenen, indisch-stämmigen Filmemacher ASIF KAPADIA. Der sich gerne mit dem Leben von Außenseitern befasst. Erst mit vielfach prämierten Kurzfilmen („The Sheep Thief“/1997), dann mit Spielfilmen wie „The Warrior“/2001 und „Far North“/2007. Mit dem langen Dokumentarfilm „Senna“ erreichte Asif Kapadia 2010 den internationalen Durchbruch. Zugleich wurde „Senna“ zu einem der meist dekorierten Dokumentarfilme überhaupt und zur erfolgreichsten britischen Dokumentation aller Zeiten. Die herausragende Qualität von Asif Kapadia: Er lässt sich Zeit, besitzt viel Geduld, will besonnen erfahren. Von vielen Lebenswegbegleitern. Wie ein Forscher macht er sich ans Werk. Für das weitgehende Gesamtbild eines öffentlichen Menschen.
Du bist am 14. September 1983 in Southgate, London als AMY WINEHOUSE, Tochter eines Taxifahrers und einer Apothekerin, auf die Welt gekommen. Als du 9 bist, trennen sich die Eltern. Was dich krank macht. Mehrere Schulverweise, weil du störrisch bist und störst, dann doch Abschluss; das Studium des Musiktheaters wird abgebrochen. Du singst, erst im kleinen Kreis, mit Gleichgesinnten, dann „auffallender“. Du hast Lust, das zu machen. Hast Spaß dabei. Empfindest Vergnügen. Du zeigst dich als eine lebenslustige, charismatische und selbstironische junge Frau, die mit einer sagenhaften Stimmen-Begabung ausgestattet ist. Du bist keine 20, als du den ersten Plattenvertrag unterschreibst. „Frank“ heißt das Debütalbum, einem unverbrauchten Mix aus Jazz-, Soul- und Hip-Hop-Elementen, das 2003 erscheint und sich bis Ende 2004 knapp eine Million Mal verkauft. Amy Winehouse auf dem Weg zur Marke. Und zum Amy-Abgesang.
Der internationale Durchbruch erfolgt 2006 mit dem zweiten Album, „Back to Black“. Kennzeichnend: Eigenerfahrungen werden verarbeitet. Die Auseinandersetzungen mit Ex-Freunden und sich selbst. Und dem Vater. In dem Song „Rehab“, also REHA oder Entziehungskur, tönt sie selbstbewusst: „I AIN’T GOT THE TIME / AND IF MY DADDY THINKS I’M FINE / BUT I WON’T GO, GO, GO„. Im Refrain wird sie deutlicher: „THEY TRIED TO MAKE ME GO TO REHAB / BUT I SAID NO, NO, NO!“ Als die „Grammys“, die „Oscars“ der Musik-Industrie, am 10. Februar 2008 vergeben werden, darf sie – wegen ihrer Drogenprobleme – nicht in die USA einreisen. „Rehab“ siegt. Amy steht währenddessen auf einer kleinen Londoner Bühne und verfolgt die Zeremonie über Satelliten-Schaltung. Als ihre beste Freundin ihr stolz gratuliert, erklärt sie lapidar: „Es ist so langweilig ohne Drogen“.
Das viele authentische Filmmaterial mit und über Amy Winehouse ist phänomenal. Ergibt eine umfangreiche wie beeindruckende Annäherung an ihre Person. Teenie-Zeit, der schnelle Erfolg, die grandiosen Auftritte mit IHREN Songs, „a star is born“, der nun auch viel Geld verdient, einen „Wert“ hat; in Folge das Bedrängen, die Einflussnahme des Umfeldes von Beratern, Förderern, Managern und ihrem Vater. Ihre vielen vergeblichen Bemühungen, ein privates Eigen-Leben „hinzukriegen“; mit einem ebenso „hingebungsvollen“ Drogen-Ehemann, der sie zu harten Drogen und völliger Abhängigkeit führt. Dazu der Suff: „Oft war ich so betrunken, dass man mich in einer Schubkarre nach Hause bringen musste“, sagt sie mal im Film. Sie konnte und wollte diese Popularität, den „öffentlichen Besitz“, einfach nicht akzeptieren. Ertrug diesen Druck nicht. Vermochte nicht souverän gegenzuhalten.
Das kurze Leben auf der gemeinen Überholspur. Bislang unveröffentlichte, private Fotos und Filmaufnahmen, Bühnen-Beobachtungen, spätere TV-Auftritte und wiederum privates Filmmaterial sowie die Kommentare vieler Begleiter ergeben das Bild einer Künstlerin voller Widersprüche. In einer um sie herum immer hysterischer werdenden Medien-Welt. Die sie auf Schritt und Tritt verfolgt. Süffisant über sie herfällt, wenn sie mal wieder „gegen die Regeln“ handelt. Dazu diese intimen Motive, wenn deutlich wird, dass ihr die Musik das einzige und wahre Glück bringt. Für intimste Gefühlsausbrüche sorgt.
Viele Facetten aus einem schlimmen Erfolgsleben. Woraus Regisseur Asif Kapadia nun keine blinde, verniedlichende filmische Testament-Schwärmerei veranstaltet, sondern den Menschen Amy Winehouse findet und vor allem das einzigartige Gesangstalent der Musikerin Amy Winehouse hinter dem vielen Äußeren nachhaltig beschreibt. Sehr nahe kommt. Man fiebert mit, obwohl das Ende bekannt ist.
„Amy“ der Film, ist ein großartig-authentischer, atmosphärischer, beunruhigend-packender Dokumenten-Thriller der Spitzenklasse (= 5 PÖNIs).