AARDMAN ANIMATIONS

Der ‚ganz andere‘ Trickfilm: THE AARDMAN ANIMATIONS“ (in „Deutschlandradio Berlin“/“Fazit“ vom 22.09.1994).

Das Aardman-Studio ist seit langem eine gute Adresse für Animation: Es ist zur Zeit das erfolgreichste Plastilin-Trickstudio Europas. Plastilin? Gleich Knete. Hier, bei Aardman, werden die Figuren noch aus Knete gemacht. Und: Sämtliche Kulissen werden bis ins kleinste Detail mit der Hand gezimmert. Der Computer ist hier noch ein Fremdwort.

Gegründet wurde ‚Aardman Animations‘ 1972 von den Kunststudenten David Sproxton und Peter Lord. Der Aufstieg des Studios begann mit einer Fernsehserie für BBC 2: In „The Amazing Adventures of Morph“ entwarfen die Beiden 1980 eine bizarre Welt aus Plastilin, in der sich seltsame Gestalten rund um den kugeligen Helden Morph tummelten und surreale Geschehnisse ihren Lauf nahmen. Die Serie wurde zu einem großen Erfolg und wird auch heute noch produziert. Zu technischer Perfektion fanden Lord und Sproxton danach in ihren „Conversation Pieces“, wo sie Originaltöne aus Rundfunkstudios oder Zeitungsredaktionen mit Plastilin-Figuren illustrierten. Mittlerweile hat das Studio 10 Regisseure und Animatoren unter Vertrag. Sie arbeiten in einer ehemaligen Bananen-Lagerhalle im Hafen von Bristol an ihren Filmen. 26 Folgen der TV-Serie „Grand Morphs Home Movies“, 4 Musik-Clips, 10 Trailer, 20 Animationsfilme zwischen 2 und 30 Minuten und rund 100 Werbespots für Kino und Fernsehen sind in den letzten 10 Jahren dort entstanden.

„WALLACE & GROMIT – THE AARDMAN COLLECTION“ heißt ein Programm, das jetzt in die deutschen Kinos gelangt. Es besteht aus insgesamt 7 kurzen und mittellangen Filmen. Der kürzeste dauert 2 Minuten, der längste eine halbe Stunde. Den Anfang macht ein berühmtes Pop-Video von 1986 mit Peter Gabriel: „Sledgehammer“. In dem wird der Sänger per Einzelbildschaltung und Plastilintrick in wechselnde Aggregatzustände überführt. Er wird seines Körpers beraubt und andauernd von tanzenden Hühnern und wildgewordenen Eisenbahnen umkurvt. Nicht nur ein legendärer, sondern damals auch bahnbrechender Clip, der vielfach preisgekrönt wurde. Dauer: 5 Minuten.

Dann tobt der flachste Hund der Welt, Rex, durch prähistorische Zeiten und sorgt für 2-minütiges übernatürliches Dino-Entertainment. Der erste Höhepunkt ist „A Grand Day Out“ von Nick Park. Im Mittelpunkt: Wallace, der spleenig-spießige Engländer, und Gromit, sein cleverer Hund. Beider Lieblingsspeise ist Käse. Aber wo überhaupt gibt es noch geschmackvollen Käse? Natürlich: Nur noch auf dem Mond! Die unglaubliche Raketenfahrt ins All und die Abenteuer auf dem „automatischen Käse-Mond“ entstanden von 1986 bis 1989 und bildeten den Grundstein zum Kultstatus der Figuren Wallace & Gromit. „A Grand Day Out“ ist ein 23-minütiger Animationstrip der extravaganten Klasse. „Creature Comforts“, der 4. Streich, erhielt 1990 den „Oscar“. Thema dieses 5-minütigen Meisterwerks: Reale Interviews mit gestressten Großstadtbewohnern, die über ihre persönliche und die allgemeine Wohnsituation klagen, werden Tier-Aussagen aus dem Zoo unterlegt. Das Ergebnis ist ebenso verblüffend wie heiter und hintergründig. „Adam“ dagegen, der nächste Streich, lässt den lieben Gott 6 Minuten Vergnügen daran finden, „seinen“ Menschen nach Herzenslust zum Blödian abzustempeln. Motto: elegant dargebrachter
Sarkasmus. In „Dreams“ darf der Hund Rex nochmal für 2 Minuten durch eine nicht unbekannte Traum- und Kinowelt flitzen: schnelles Grusel-Komödien-Imitat. Schließlich der Höhepunkt: „The Wrong Trousers“, „Die falschen Hosen“, der ultimative Plastilin-Film.

Ein verbrecherischer Pinguin schleicht sich unter fadenscheinigen Gründen in die heimische Welt von Wallace & Gromit ein. Er ist ein raffinierter Juwelendieb, der mit besonders gemeinen Tricks arbeitet. Anleihen bei Dr. Mabuse, Hitchcock und Spielberg sowie bei den Schattenspielen des ‚film noir‘ lassen den in diesem Jahr mit einem „Oscar“ prämierten 30 Minuten-Film zu einem aberwitzigen Schabernack und Zitaten-Karussell ausarten. In der fulminanten letzten Sequenz kombiniert Regisseur Nick Park die außer Kontrolle geratene Jagd mit der Grottenfahrt aus „Indiana Jones und der Tempel des Todes“. Das Ergebnis ist eine irre Fahrt durch ein englisches Einfamilienhaus, bei der sämtliche Beteiligte auf Spielzeugeisenbahnen dahinflitzen, durch Mauern krachen, sich bei Höchsttempo selbst die Schienen legen und schließlich in kleine Glasflaschen gepresst werden. Eine sagenhafte Trickserei. Und: Mit über 5 Millionen TV-Zuschauern und Platz 1 in der Video-Bestseller-Liste ist „The Wrong Trousers“ der erfolgreichste britische Animationsfilm aller Zeiten.

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