Wenn Du Dein eigenes Zeugs erschaffst, gelten für Dich keine Grenzen mehr“ (Miles Davis).
Kennengelernt habe ich IHN, besser: seine unverwechselbare Musik, im Sommer 1958. Als hierzulande der Debütfilm des französischen Regisseurs Louis Malle anlief, „Fahrstuhl zum Schafott“, zu der ER – in nur einer Nacht entstanden – seine Musik beisteuerte. Die Verwendung von Jazz-Klängen im Film war damals keine Neuheit. Louis Malle aber war der erste Filmemacher, der einen durchgängigen Jazz-Soundtrack verwendete. Unvergessen – die durch die Pariser Nacht irrende Jeanne Moreau, in „Begleitung“ dieser eindringlichen, atmosphärischen Trompeten-Töne von MILES DAVIS. Seitdem verehre ich IHN, der mit seinem unverwechselbaren Stil einer der einflussreichsten, innovativsten, bedeutendsten, aber auch unglücklichsten Schlüsselfiguren im Jazz des vorigen Jahrhunderts war. Jetzt gibt es einen überragenden Spielfilm über IHN:
„MILES AHEAD“ von und mit Don Cheadle (Co-B, Co-Produzent + R; USA 2014; Co-B: Steven Baigle; K: Roberto Schaefer; M: Robert Glasper; 100 Minuten; Heimkino-Veröffentlichung: 05.12.2016).
MILES DAVIS, Sternzeichen: Typisch Zwilling (26. Mai 1926 – 28. September 1991). Ein ewiges Auf und Ab. Ein mehrfaches Leben. Zwischen Überholspur und Depression. Zwischen Kreativität und Drogentiefe. Wie diese immense Fakten- und Emotions-Fülle in einen 100minütigen Spielfilm packen? Indem man zwei Tage aus seinem vielschichtigen Leben Motive „vom Ganzen“ brachial verhandelt. Indem man die Gegenwart mit der Vergangenheit plausibel kreuzt. Und in dem man so ein faszinierendes, packendes, unaufhörlich „bewegendes“, explosives Miles Davis-Fieber arrangiert wie hier. In dem ein bislang bekannter, (sehr) honoriger, aber nicht populärer Schauspieler in der extrem-schwierigen Titelrolle den darstellerischen Olymp erreicht: Der (zur Drehzeit) 50 jährige DON CHEADLE („Hotel Ruanda“/2005 „Oscar“-Nominierung).
Als wir ihm begegnen, ist Miles Davis „weg“. Weg von allem. Von seiner Musik, von seinem Blues, von dem Leben, von der Wirklichkeit. Haust in seinem Haus, unfähig, mit sich und der Welt „draußen“ klarzukommen. Überhaupt zu kommunizieren. Seit fünf Jahren hat er kein Album mehr produziert. Die Plattenfirma wird ungeduldig. Miles Davis ist in seine Drogensucht versackt. Zeigt sich ziemlich bewegungsunfähig. Erst als ihn, mehr zufällig und aufdringlich denn vereinbart, ein junger, beharrlicher „Rolling Stone“-Journalist namens Dave Braden (EWAN McGREGOR) aus seiner Lethargie herausbekommt, beginnt sich das Lebens-Puzzle dieses schmutzigen Genies zu öffnen.
Dabei geht es um – natürlich – seine Musik beziehungsweise um neue Kompositionen, die sich auf einem Band befinden, das gestohlen wird und dessen unorthodoxe Wiederbeschaffung sich zu einer kriminalistischen Affäre entwickelt. Dabei geht es um spielerische Rückblenden, als sich einst die (Konzert-)Begeisterung einstellte; dabei geht es vor allem um seine große Liebe und Ehefrau Frances (EMAYATZY CORINEALDI), die ihn zu vielen seiner Hymnen inspiriert, die aber letztlich seine totalen Besitzansprüche und Ausbrüche nicht mehr akzeptieret und ihn verlässt.
DON CHEADLE. Das erste filmische Meisterstück. Als Co-Drehbuch-Autor, Mit-Produzent, Hauptdarsteller und Regisseur. Mal mit Fakten-Nähe, mal mit fiktiven Elementen (der Journalist) hantierend, aber immer in einer Art porentiefer Bukowski-Tiefe – und mit sagenhaft manischer Energie – diese quere Künstler-Seele auslotend. Höhepunkt: In einer Box-Session. Miles kontra einem Impresario-Gangster, während er zugleich im Ring „mitmischt“. WIE das gemixt wird in der heißen Stimmung aus Fieber-Jazz, stilistischem Krimi-Feuerwerk, satanischer Spannung und prolligem Trommelwirbel, ist grandios. Dabei trifft DON CHEADLE genau diese wahnwitzige Körpersprache zwischen Würde und Paranoia. Zwischen Wach und Wahn. Während ihm sogar dieses bekannte Kehlkopfkrächzen von Miles Davis auf den „gefährlichen“ Schizophren-Tonfall-genau gelingt.
Kein Biopic (Gott sei Dank), sondern „DIE STIMMUNG“ über einen Genie-Künstler. Dessen hypnotische Musik „den Durst der Seele stillte“ (Don Cheadle) und uns auch heute ständig begegnet, begleitet, begeistert. Und dessen Mensch-Sein für ihn so außerordentlich schwierig war.
Was so brillant zu erleben und so vorzüglich zu hören ist. Warum dieser bei der diesjährigen Berlinale erstmals vorgestellte Film nicht danach in unsere Kinos gelangte, ist ein Rätsel. Umso erfreulicher, dass sich jetzt das hiesige Heimkino mit diesem Meisterstück schmücken darf (= 5 PÖNIs).
Anbieter: „Sony Pictures Home Entertainment“