ZWEIMAL STERBEN IST EINMAL ZUVIEL

Der brasilianische Film spielt in unserem Alltagskino keine Rolle. Und auch auf DVD ist er kaum präsent. Um so interessanter ist es, jetzt einem neuen brasilianischen Spielfilm zu folgen, der „per Scheibe“ im Heimkino deutsche Erstaufführung, dort seine deutsche Premiere hat. Originaltitel: „Quincas Berro D’Agua“. Deutscher DVD-Titel:

ZWEIMAL STERBEN IST EINMAL ZUVIEL“ von Sérgio Machado (B+R; Brasilien 2010; 104 Minuten; DVD-Veröffentlichung: 04.08.2011).

Zwei Persönlichkeiten lassen zunächst aufhorchen: Einer der Produzenten ist der 54jährige WALTER SALLES. Der Auch-Drehbuchautor und Regisseur errang mit seinem Debüt-Spielfilm „Terra Estrangeira“/Foreign Land“ gleich 8 internationale Preise sowie Zuhause die Auszeichnung „Bester Brasilianischer Film des Jahres“. 1998 erhielt Walter Salles auf der BERLINALE den Hauptpreis, den „Goldenen Bären“, zugesprochen, für sein Werk „CENTRAL STATION“. Weitere Filme des engagierten Filmkünstlers sind u.a. „Die Reise des jungen Che“ (2004/lief auch bei uns im Kino) sowie „Dark Water – Dunkle Wasser“ von 2005. Im Jahr 2003 wurde Salles von der renommierten britischen Tageszeitung „The Guardian“ unter die 40 besten Filmregisseure der Welt bestimmt. Für den Aufbau des nationalen Filmschaffens in Brasilien hat sich Walter Salles mit seinem Engagement als Produzent und Nachwuchsförderer großes Ansehen verschafft. Salles gilt als eine der bedeutendsten Persönlichkeiten des brasilianischen Films.

JORGE AMADO (10.8.1912 – 6.8.2001) gilt als einer der bedeutendsten lateinamerikanischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Dessen Romane (wie „Dona Flor und ihre zwei Ehemänner“ oder „Tieta do Brasil“) desöfteren die Grundlage für einen Filmstoff bildeten. Auch „Zweimal sterben ist einmal zuviel“ basiert auf einem Roman von Jorge Amado. „A morte e a morte der Quincas Berro d Água“ wurde 1961 veröffentlicht und kam 1964 hierzulande unter dem Titel „Die drei Tode des Jochen Wasserbrüller“ heraus. Und ist im brasilianischen Bundesstaat BAHIA angesiedelt, gelegen im südlichsten Tiel der Region Nordosten. Dort, in der atmosphärischen Hauptstadt Salvador de Bahia (die bis 1763 Hauptstadt Brasiliens war), lebt der „König der Vagabunden“, der alte Qincas, gesprochen KINKASCH. Genauer gesagt – lebt-e.
Denn er ist zwar wie offensichtlich bald tot, dennoch spricht er zu uns aus dem Off: „Tod ist, wenn der Hintern juckt und du die Hand nicht mehr zum Kratzen ausstrecken kannst“.
Kinkasch, ein ehemals angesehenes Familien-Oberhaupt, ein vorbildlicher Vater, Ehemann und Beamter, hatte eines Tages sein mittelmäßiges, langweiliges Leben satt. Und krempelte es gründlich um. Siedelte sich bei dem „Pack der Straße“ an. Den Landstreichern, Huren und Säufern. Wurde zu deren „Anführer“. Weil er „besonders exzessiv“ zu leben wusste. Leben wollte.

Nun, gerade an seinem 72. Lebensjahr, rafft es ihn hin. Kinkasch sagt der (Genuss-)Welt adjö. Was seine „bunten“ Kumpels aufbringt von wegen wieso denn gerade heute, wo doch die nächste Sauf- und Rauf-Party steigen sollte und überhaupt – WIE denn jetzt ohne ihn so frontfröhlich weitermachen…??? Zumal nun auch seine blasierte bürgerliche weißen Sippe, angeführt von einer etwas desorientierten, genervten Tochter und ihrem spießigen Beamtenarsch-Gatten, auftaucht und den Leichnam für sich „beansprucht“. Um ihn schnellst möglichst unter die Erde zu karren. Weil Kinkasch doch „eine Schande“ für die feine Familie darstellt. Was die Prekariats-Kumpels natürlich nicht zulassen wollen. Also schleppen sie den Toten nochmal durch die nächtliche „Gassen-Szene“ von Salvador de Bahia und erleben allerlei Tohuwabohu. Was aber dem toten Alten sichtlich Vergnügen bereitet, denn er lächelt bisweilen schon mal genüsslich: „Dem Alten gefällt der Schlamassel“, stellt denn auch sein „liederlicher Hofstaat“ fröhlich fest. Während die Familie mit der Polizei ihnen ziemlich angesäuert hinterherhechelt. Kinkasch jedenfalls ist schließlich zufrieden, sein „Dasein“ „als Gene Kelly von Salvador de Bahia“ tänzerisch zu beenden und resümiert: „Mein Leben als Toter ist sehr viel lebhafter als dass vieler Lebender!“.

In Italien kannte man früher den Begriff der VOLKSKOMÖDIE. An denen sich Meister wie Luigi Comencini und Vittorio de Sica („Liebe, Brot und…“-Reihe der 50er Jahre) erfolgreich probierten. So in etwa kann man diesen prolligen brasilianischen Schwank auch bezeichnen. Eine Fröhlichkeit abseits der feinen Konventionen, Regeln und Typen. Eine zivile „Ordnung“ ist zwar vorgegeben, aber diese ist stets brüchig. Doppelbödig. Löchrig. Und so dürfen sich diejenigen einmal mehr „ordentlich austoben“, auf die gerne von der „besseren Gesellschaft“ herabgesehen wird. Die „von Denen“ als Taugenichtse“, als „Müll der Straße“, bezeichnet und entsprechend auch „so“ behandelt werden. „Vagabund“ Kinkasch hat dies noch rechtzeitig erkannt und die Seiten gewechselt. Um ein sehr viel lustvolleres, genießerisches, pralleres Leben zu führen. Ein vor allem selbstbestimmteres. Folglich ist diese „Mission Tod-Party“ auch ganz in seinem letzten Sinne.

Natürlich gilt es, sich hier seherisch und emotional ‚reinzuprimeln. Ein anderer Erzähl-Rhythmus als sonst ist gegeben, sich bisweilen angenehme Pausen gönnend, mit schwarzhumorigen derben Extravaganzen-Einlagen. Ausgespielt, ohne Rücksicht auf Verluste. Clownerien, Slapstick, ja sogar waghalsige circensische Nummern sind an der nächtlichen Tagesordnung. Nicht zum Brüllen, aber viel zum Schmunzeln. Zum köstlichen Amüsieren. Während dieses „schräge Personal“ für burlesken Outlaw-Charme sorgt. Diese Typen-Parade ist eine Wonne. Gossen-Ritter mit Bukowski-Humor. Herrlich. „Anführer“ PAULO JOSÉ, 73, ein in Brasilien populärer, vielfach hoch dekorierter Fernseh- und Kinoschauspieler, ist als verschmitzter Kinkasch-Toter eine Wucht. Und körpersprachlich natürlich im bewegungslosen Dauerstress. Während seine Begleitkommentare (deutsche Stimme: Friedrich G. Beckhaus) die „komische Stimmung“ prima an- bzw. aufheizen.

Wer sich filmisch mal „auf anderen Feldern“ SEHR unterhaltsam bewegen möchte, findet hier genau den originellen, pointierten Zuruf. „ZWEIMAL STERBEN IST EINMAL ZUVIEL“ zählt für mich zu den tollsten DVD-Premieren-Entdeckungen der letzten Zeit: Eine urig-abgedrehte Komödie, deren Lust-Botschaft prima ankommt: LEBE vor allem Dein Leben! Auf DEINE einzigartige, selbstbestimmte Lust-Weise. Warum denn nicht.  (= 4 1/2 PÖNIs).

Anbieter: „Kinowelt Home Entertainment“.

Teilen mit: