ZAHN UM ZAHN

PÖNIs: (4/5)

„ZAHN UM ZAHN“ von Hajo Gies (BRD 1985; B: Horst Vocks, Thomas Wittenburg; K: Jürgen Jürges; M: Klaus Lage; 95 Minuten; deutscher Kino-Start: 10.10.1985).

“Zahn um Zahn“: Tatort Duisburg-Ruhrpott, wo es schon in der ersten Viertelstunde gewaltig kracht. Häuser werden “amtlich“, also mit Polizeigewalt, geräumt und sogleich zerstört. Natürlich heißt die Antwort Randale. Steine und Molotow-Cocktails fliegen durch die Gegend, Polizei und Demonstranten prügeln wie wild aufeinander ein, während schon einige Wohnblocks brennen und Kriminalhauptkommissar Horst Schimanski (GÖTZ GEORGE) in einer Pinte in aller Ruhe sein Bier schlürft. Dann stürzt er sich mitten rein ins Geschehen, aber nicht um kräftig mitzukloppen, sondern um in eine Wohnung zu gelangen, wo ein Familienvater und Schimanski-Bekannter seine Familie und sich umgebracht hat. Jedenfalls lautet so das schnelle, offizielle Ermittlungsergebnis, mit dem Schimanski sich aber nicht abfinden kann und will. Was hat Grassmann (CHARLES BRAUER), der Flick des Ruhrpotts, mit dieser Sache zu tun? Schließlich gehört ihm hier der meiste Grund und Boden, und schließlich war Krüger, der Tote, noch bis vor kurzem bei ihm angestellt. Schimanski ist nicht aufzuhalten und dringt mit unorthodoxen Methoden in dessen gesicherte Luxus-Behausung ein, hat damit aber seine Kompetenzen weit überschritten und ausgereizt. Die Folge ist nicht mehr nur das Disziplinarverfahren, sondern auch die Abgabe von Dienstmarke und Waffe. Doch auch das kann dieses ständig unter Dampf stehende Energiebündel keineswegs davon abhalten, nun auf eigene Faust und im Schlepptau einer neugierigen, cleveren Journalistin-Freundin (RENAN DEMIRKAN) weiter zu schnüffeln. Dabei betritt Schimanski mehr und mehr ein gefährliches Terrain, zumal er sich auch nicht scheut, sogar in dieser Sache in Marseille herumzustöbern, wo ihm die örtlichen Kollegen mehr als einmal empfindlich entgegentreten. Und so langsam, ohne dass er es sofort begreift, wird aus dem Jäger ein Gejagter, den allein sein “Tierinstinkt“ und seine aufgeweckte Helfershelferin überleben und nach Duisburg zurückkehren lassen, wo dann auch die Lösung wartet.

Es wurde wirklich allerhöchste Zeit, dass ein so starker Typ wie dieser beamtete Outlaw-Bulle Schimanski, inzwischen unverwechselbar mit dem großartigen Kraftpaket Götz George eins, nicht immer nur im jugendfreien 20 Uhr 15-Freiraum des deutschen Sonntagabend-Krimifernsehens herummacht, sondern sich endlich auch mal auf einer großen Kino-Breitwand zu bewähren versucht. Und es klappt. Während dort einige seiner TV-Kollegen früher nur als biedere, welke Mantel- und Pfeifenträger funktionierten, ist dieser Proletarier-Schnüffler auch hier voll präsent.

Götz “Schimanski“ George hat die fiebrige Ausstrahlung und nervende Wirkung eines deutschen Clint Eastwoods (Belmondo-Vergleiche sind nur eine Beleidigung für ihn), er beherrscht die Leinwand-Szenerie wie es derzeit kein anderer deutscher Mime fertigbringen würde. Sein Glück ist aber auch die konsequent-unbequeme, originell-rotzige “Heimat“-Sprache in einem aufregenden und, für die heutigen “Wende“-Verhältnisse, bemerkenswert polit-brisanten Drehbuch, das sich nicht scheut, in eine bundesrepublikanische Landschaft hinein zu stochern, die nicht nur aus den Träumen von zwei phantasiebegabten Autoren (Horst Vocks und Thomas Wittenburg) stammt, sondern sehr viel mit den täglichen Meldungen, mit der täglichen Nachrichten-Unruhe um uns herum zu tun hat. Kein Film also, der aus der Förderung kommt.

Dem bislang nur TV-erprobten “Tatort“-Macher Hajo Gies (s. Regisseur-INTERVIEW) darf man bescheinigen, für eine wirkungsvolle Kintopp-Dramaturgie und Spannung und mit der in der Türkei geborenen und hierzulande aufgewachsenen Renan Demirkan („Super“) für eine erstaunlich selbstbewusste und ebenbürtige George-Partnerin gesorgt zu haben, die dem draufgängerischen Charmeur und Macho-Angeschlagenen mehr als einmal Kontra gibt. Mit “Zahn um Zahn“, übrigens auch über diese zünftige Klaus Lage Band-Musik locker angeheizt, wird endlich einmal diesen ewigen Produzenten-Vorurteilen widersprochen, dass bei uns Krimis nur noch auf die kleine Heimstuben-Mattscheibe gehören und im Kino keine Chance haben. Und – dieser Schimanski-Knaller bringt uns auch Hollywood wieder ein bisschen auf die Erde zurück, indem er indirekt unterstreicht, dass dort auch nur mit (Profi-)Wasser gekocht wird.

Schimanski im Kino – bitte mehr davon (= 4 PÖNIs).

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