YOUNG@HEART

PÖNIs: (5/5)

„YOUNG@HEART“ von Stephen Walker (GB 2007; K: Ed Marritz; 107 Minuten; deutscher Kino-Start: 02.10.2008); das ist ein britischer Dokumentarfilmer vom Jahrgang 1961, der in Harvard Geschichte studiert hat und mit seinen Arbeiten – u.a. über die Geschichte des Terrorismus; die Besatzungszeit in Frankreich oder die Porno-Industrie – vielfach prämiert wurde. Die begehrte „Goldene Rose von Montreux“ sowie den britischen „Academy Award“ erhielt er 2003 für „Faking It: Punk to Orchestral Conductor“. Sein TV-Spielfilmdebüt war 1995 „Prisoners in Time“ mit John Hurt als Ex-Kriegsgefangener. Zugleich hat sich Stephen Walker auch einen Namen als Buch-Autor gemacht, zuletzt erschien „Hiroshima – Countdown der Katastrophe“, ein Sachbuch, das im August 2005 auf der Bestsellerliste der „New York Times“ stand. Als der Filmemacher erstmals von der „Young@Heart“-Truppe hörte, dem amerikanischen Rock-Chor, der aus Rentnern besteht, war er skeptisch. Was soll(te) DARAN interessant sein? Peinlichkeits-Charme erwartete er, als er im Oktober 2005 im „Lyric Theatre“ in Hammersmith einen Konzertbesuch absolvierte. Doch DANACH war „seine Welt“ nicht mehr dieselbe; die Idee zu einem neuen Dokumentarfilm war geboren. SENIOREN sind mittlerweile auch auf der Kino-Leinwand dauer-angekommen. Nach „Die Geschwister Savage“ und „Wolke 9“ lautet hier nun das augenzwinkernde Motto: LIEBER AKTIV ALS TOT!

Schon mit der ersten Filmszene zerstreut Stephen Walker eventuelle Bedenken über einen etwaigen betulich-alibihaften Themenfilm über so etwas wie Alt-Sein-aber-Jung-Stattfinden oder so: Da steht ein Chor mit Namen YOUNG@HEART auf der Bühne des „Academy Theatres“ in ihrer Heimatstadt Northampton/Massachusetts. Zwei Dutzend Sängerinnen und Sänger mit einem Durchschnittsalter von 80 Jahren. Erwartungsvolle Stille. Eine kleine, zerbrechlich wirkende Gestalt löst sich aus der Gruppe und tritt ans Mikrofon. Sie heißt EILEEN HALL, ist 92 Jahre alt. Eileen hält das gespannte Publikum mit einer raffinierten Kunstpause hin, setzt ein zaghaftes, ironisches Lächeln auf und dampft dann plötzlich mächtig los: „Darling, you gotta let me know/SHOULD I STAY or SHOULD I GO…?“ Der Saal tobt: „Should I Stay or Should I Go“ ist schließlich ein bekannter Hit der Punk-Band „The Clash“, und er wird gewiß nicht als Parodie dargeboten, sondern gewinnt hier „so“ eine neue, unglaublich-elektrisierende Bedeutungs-Kraft … als eine Art ÜBERLEBENSHYMNE: Wunderbar, verrückt, begeisternd. BOB CILMAN ist Gründer und Chorleiter von „Young@Heart“. 1982 kam er in das Seniorenheim von Northampton und begann den „Singsang mit älteren Herrschaften“. „Let It Be“ von den Beatles war einer der ersten „anderen“ Songs, den sie damals anstimmten. Zunächst „nur so“, aus Jux und Dollerei, und auch, weil musikalisch mal „etwas Anderes“ angesagt war als immer nur die alten Choräle und Gospels.

Zudem behandelte Bob Cilman die älteren Herrschaften, im Gegensatz zu manchem Personal-hier, eben NICHT wie kleine Kinder, sondern durchaus respektvoll und freundlich, sozusagen im Verhältnis 1:1. Und er merkte: DIE WOLLTEN lieber SPASS haben als immer nur bevormundet zu werden. Und so entstand bzw. entwickelte sich die Idee und die Geschichte von „Young@Heart“. Wobei der Titel Programm ist: Dem staunenden britischen Regisseur nämlich gelingt es, ebenso unaufdringlich wie nahegend, zärtlich, bewundernd und SEHR unterhaltsam, sich diesen älteren Hauptakteuren zu nähern. Indem er sich ihnen mit derselben freundlichen Gelassenheit und Neugier kamera-nähert wie einst persönlich Bob Cilman. Sein Film beobachtet über einen Zeitraum von 6 Wochen die Probenarbeit für eine neue Show. Beschreibt sowohl die erheblichen Mühen wie den listigen Spaß, neue Songs wie „Schizophrenia“ von „Sonic Youth“, „Staying Alive“ von den Bee Gees oder „Road To Nowhere“ von den „Talking Heads“ einzustudieren. Nähert sich einigen Interpreten in Begegnungsgesprächen und Interviews. Erzählt von spannenden Menschen und „normalen“ Schicksalen. Wird und wirkt dabei nie übertreibend oder gar mitleidvoll, sondern – nochmal – angenehm respektvoll, bisweilen saukomisch, höchst faszinierend-amüsant.

Ein verblüffender, ein bewegender, ein phantastisch ins Herz und in den Kopf springender hochemotionaler Film: Um die „andere“ Einstellung/Philosophie von betagten Menschen und Typen, die sich mit kessen Live-Auftritten die späte Zeit einzigartig vertreiben. Und: Für die, einfach wie schön-plausibel, Rock-Musik zum fulminanten Sauerstoff des Lebens geworden ist. Und die sich natürlich auch mit den „Wechselfällen des Lebens“ auseinanderzusetzen haben, sprich: Krankheit(en), Leid und Tod. Ganz klar: Sie sind alt, gewiß, und daran wird sich bestimmt auch nichts mehr ändern, aber Eileen, Lenny und all die anderen weigern sich wunderbar wie vehement, geistig zu vergreisen. Sie haben/besitzen/wollen Power: So lange wie es irgendwie und überhaupt nur geht. Auf bislang 12 Tourneen haben sie es inzwischen gebracht, die Young@ Hearts, und dabei waren die Stationen die USA, Australien und Europa. Der Film ist mitreißend und inspirierend, ist schwungvoll und energiegeladen, ist tief-emotional-berührend und dann auch aufrichtig in seinem Schmerz. Eine wunderbare, unkonventionelle Performance über mutmachende Grenzgänger des Lebens als wahrhaftiger KULTFILM. Ein Stück phantastische 109 Minuten-Dokumentation (in OmU-Fassung), die in Sachen Unterhaltung-pur jedem Spielfilm mehr als Paroli bietet… (5 PÖNIs).

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