WRONG

PÖNIs: (4/5)

Wenn er als MUSIKER unterwegs ist (zum Beispiel mit seinem internationalen Nr. 1-Hit „FLAT BEAT“/1999), dann nennt er sich MR. OIZO (Verballhornung im Französischen, von Monsieur Oiseau, also „Herr Vogel“). Wenn er jedoch als „kompletter“ FILMEMACHER (Autor, Kameramann, Regisseur, Filmmusik-Komponist, Cutter) „außer-ordentlich“ aktiv ist, dann erscheint der am 14. April 1974 geborene Franzose zumeist mit seinem bürgerlichen Namen QUENTIN DUPIEUX (nur bei seiner Filmmusik nennt er sich Mr. Oizo). Dieser Typ kam im Sommer 2011 hierzulande auf dem Heimkino-Markt mit einem der ungewöhnlichsten Genre-Streifen aller Zeiten heraus – dem 1. KILLERREIFEN-Movie überhaupt … in der Geschichte des Films: „RUBBER“ (s. Heimkino-KRITIK). Doch die Steigerung gilt. Der nunmehr bzw. wiederum gleich im deutschen Heimkino herauskommende neueste Streich dieses clever-paradoxen Ideen-Künstlers ist ein Film wie man ihn (ich sage sicherheitshalber, also verunsichert) WOHL noch nie gesehen hat. Mit dieser phantastischen wie intellektuellen-losen Konsequenz von Irrationalität in Sachen völligem „Gegen-Normal“-Sein und Tun. Beim Handeln, Sehen und Denken. Alles unklar? Wunderbar:

„WRONG“ von Quentin Dupieux (B; K + R; M; Schnitt; Fr/USA 2011; 93 Minuten; Heimkino-Veröffentlichung: 07.11.2013).

Fest steht, wir befinden uns in den USA. Das jedenfalls signalisiert die örtliche Raum-Norm. Vorort. Haus. Daneben weitere irgendwie „solche“ Ja-Ja-Vorort-Häuser. In einem erwacht gerade der Mann Dolph. Ein schmaler Typ. Schätze so ein Enddreißiger. Es ist Montag, der 19. Sein Wecker zeigt erst 7:59 Uhr und dann 7:60 Uhr an. „Und täglich grüßt das Murmeltier“ etwa in der Wiederholungsschleife? Mitnichten. Von „I Got You Babe“ aus den Mündern von Sonny & Cher keine akustischen Spuren, und von Phil Connors alias Bill Murray ist auch weit und breit nichts zu sehen. Stattdessen steht dieser Dolph wie offensichtlich an jedem Tag um diese bemerkenswerte Zeit auf. Will erst sich und dann seinen Hund Paul füttern, doch DER taucht nicht auf. Bis hierher sieht sich alles wie „gegeben“ an. Fassen wir nochmal zusammen: Ein Dolph, männlich, Single, in seinem Haus, wacht und steht auf, haut sich ein Ei in die Pfanne, öffnet das Dosenfutter für Hund Paul. Okay. Dann aber haben wir ab sofort nur noch – allerdings davon sehr vielen – Spaß, wenn wir alles, und ich meine wirklich ALLES, „anders“ akzeptieren. Motto: der umgekehrte Blick. Lebens-Winkel.

Deuten wir doch mal in Reihenfolge an, was, wie und überhaupt … passiert: Eingangs bewegen sich einige Feuerwehrleute nach einem offensichtlichen Unfall, weil = ein Auto brennt so vor sich hin = kaum. Bis wenig. Verrichten gemütlich, also mit Zeitungslesen … und auf dem Asphalt … aber lassen wir das. Dolph holt seine Post. Aus dem amerikanischen Briefkasten. Begegnet einem offensichtlich sehr deprimierten Nachbarn. Der über seinen verschwundenen Hund auch nichts Näheres weiß. Stattdessen macht sich dieser verstörte Bald-Ex-Nachbar gerade auf den Weg. Will mit seinem Auto und zwei Koffern völlig weg. Irgendwohin. Ins amerikanische Nirwana. Hält es „hier“ nicht mehr aus. In der Post befindet sich ein Flyer. Von einem Pizzalieferanten. Dolph ruft an, weil er gerade nicht „allein“ sein möchte. Gerät an die freundliche Emma. Mit DER tauscht er sich vor allem darüber ausführlich aus, warum das Logo des Unternehmens aus einem Hasen auf einem Motorrad besteht. Zwischendurch taucht der Gärtner von Dolph auf, um ihn darauf hinzuweisen, dass über Nacht aus seiner Palme eine große Tanne wurde. Was beiden überhaupt nicht passt, der gärtnerische Rückumbau wird vereinbart. Dann beendet Dolph das Gespräch mit Emma. Die akustisches „Feuer“ gefangen hat. Und bald persönlich auftauchen wird. Allerdings … egal. Dolph im Büro. Dort erwartet man ihn eigentlich gar nicht. Mehr. Weil er doch vor drei Monaten gekündigt wurde, aber aus alter Gewohnheit dennoch gerne immer noch jeden Tag hin tigert. Wobei, auffallend, sein Arbeitsplatz stets frei ist. Und – auch gleich auffallend: Hier regnet es ständig. Heftig. Rein. Oder durch. Von oben. Was aber offensichtlich niemanden stört. Nun wird es merkwürdig. Ein reicher Lebensphilosoph namens Master Chang taucht auf. „Der Mensch gewöhnt sich (zu) schnell an alles“: Will die Neuliebe zwischen „Zwischen“ reaktivieren. Beziehungen wieder auf „total“ hochpowern. Bei Dolph & Paul zum Beispiel; zwischen Herrn und Hund. Aber „zwischen uns war doch alles in Ordnung“, weiß Dolph zu erklären. Chang aber hat Paul geklaut. Klauen lassen. „Zufällig“, aber bestimmt. Bedauerlicherweise aber ist Paul, was in seiner bislang siebenjährigen Schaffensperiode noch nie passiert ist, so der elegante Master, verschwunden. Ein erfahrener Hunde-Detektiv ist aber bereits beauftragt, ihn aufzuspüren. Selbiger ist dann vor allem an authentischem Fäkalmaterial interessiert, um dann tatsächlich – „alles ist möglich mit der Technik heutzutage“ – in das Video-Unterbewusstsein von Hunde-Scheiße und so direkt zum Ausscheider zu gelangen. Währenddessen liest Dolph eifrig im zweiten Buch von Master Chang, das da heißt „Mein Leben, mein Hund, meine Stärke“ und gelangt so spirituell in die Nähe des verschwundenen Pauls. Zu erwähnen bleibt im Übrigen auch noch, dass hier Autos mitunter und kaum kommentiert rot angestrichen werden. Während es im Büro weiterhin permanent regnet. Noch etwas vergessen? Übersehen? Sicherlich. Bestimmt vieles. Unbedingt.

Das Cover ist prächtig. Mit dem Gesicht von Dolph. Offenes Gehirn, aus dem das Face von Hund Paul sanft schaut. Während auf der Oberlippe von Dolph der Filmtitel „Wrong“ steht. Ist wohl metaphorisch zu deuten. Oder so was. Jedenfalls köstlich. Und gibt schon die Richtung für „Das-Hier“ vor. Das Leben kann auch „so“ sein. Wenn man es „anders“ nicht zu leben versteht. Oder wenn es anders einfach nicht zu leben ist. Wie hier. Bei und mit „denen“. Vielleicht so. „Wrong“, also „Falsch“, ist ein herrlicher Streifen mit vielen „Vielleichts“. Zum Beispiel – wenn das „Falsche“ völlig normal ist. Geht. Ausgeübt wird. Ganz wie selbstverständlich. Und warum denn auch nicht. Denn SO zusammengesetzt, zusammengefügt, ergibt das auch eine Ausübung, Durchführung von Existenz. Existieren. Weil das „Andere“ einfach nicht existent ist. Geht. Funktioniert. Was WIR so täglich machen. Durchführen. Planen. Dieses ewige Rationale. Romantische. Alles beginnt hier mit diesem täglichen Aufstehen um 7:60 Uhr. Mit allen folgenden, eigentlich irrationalen Konsequenzen. Eigentlich. Also eher no. Unklar? Prima.

Ein großartig schiefer, schräger, kesser und toll-doll amüsanter Film. Festlich absurd. Surreal faszinierend. Lächerlich spannend. Für ein aberwitziges Dauerlächeln absolut geeignet. Mit ereignisreichem Tiefdoofgang. Wenn der Gärtner erleichtert feststellt, dass er doch friedlich tot ist. Sein darf. Das Wieso und Warum sollten SIE selber sehen. Im Vor- und Zurück-Deuten. Denn in einer Welt, wo Dummheit und Ignoranz im geregelten Übermaß dominieren, feiert der Nonsens fröhlichen Normalsinn. Kriegt unberechenbare Slapstick reichlich listig-schelmischen Platz. Eine der Vielleicht-Vermutungen. Hier. In dieser lakonischen, bekloppt-realen Gegen-Welt. Mit dieser trockenhumorigen Deutungshoheit. Wo das Anormale völlige Normalität bedeutet. Was ist das denn bloß für ein prächtiges Irre-(Da-)Sein! Cineastisch furios betrachtet. Mit viel Bunuel-Atmo-Anarchie. Sowie Coen-Brüder-Typen-Charme. Bei laxen Jacques Tati-Bewegungen.

Weil die Beteiligten lüstern „wuchern“. In ihrer penetranten Spielwucht. JACK PLOTNICK führt das verknallte, verstrahlte Ensemble höflich verstört an. Der 43-jährige ist aus dem Nebenrollen-Kino („Gods and Monsters“) und aus TV-Serien („Buffy – Im Bann der Dämonen“) gesichtsbekannt. Hier trifft er als zivilisierter Nachbar von nebenan völlig selbstverständlich den Ton und die Bewegung von Brother Wrong und gestaltet den Wahnsinn drumherum plausibel mit. Ebenso wie Promi WILLIAM FICHTNER („Heat“) als halbgesichtsverbrannter Guru-Master Chang mit seinen sinnigen doppelerdigen Pointen. Nichts ist hier „richtig“. Nichts in einer Ordnung. Wie wir sie kennen. (Und schätzen?) Nichts geht hier von „normal“ aus. Alles verstört besonnen. Angenehm ungewöhnlich. Behämmert riesig: Die Interpretationen über Sein, Sein und Scheiße sind buchstäblich wie wortwörtlich in der nach oben offenen Sympathieskala enorm. Sensationell. Beziehungsweise: Es ist sicherlich auch mit-entscheidend, wie man sich hierbei bestechend „füttert“. Mit guten Getränken ebenso wie mit trashigen Gedanken. Wer diesen Film „zulässt“, darf den schärfsten momentanen Film-Sinn-Sinn erleben.

P.S.: Mit der einzig offen bleibenden Such-Lust-Frage – wie komme ich bloß an das gescheite Buch „Mein Leben, mein Hund, meine Stärke“ von Master Chang heran???

Und wie schön – QUENTIN DUPIEUX = Fortsetzung folgt: „Wrong Cops“ ist bereits im filmischen Anmarsch: „Es ist eine schmutzige 90 Minuten-Komödie über einige gestörte Polizisten“, kündigt der Maestro auf seiner Website an. Bin viel gespannt (= 4 PÖNIs).

Anbieter: „Sunfilm Entertainment“ (für „Tiberius Film“).

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