PÖNIs: (4,5/5)
„THE WOLF OF WALL STREET“ von Martin Scorsese (USA 2012/2013; B: Terence Winter; nach dem gleichn. Buch von Jordan Belfort; K: Rodrigo Prieto; M: Howard Shore; 179 Minuten; deutscher Kino-Start: 16.01.2014); in der Liste d e r Filme, in denen am häufigsten das Wort „Fuck“ vorkommt, gibt es mit „The Wolf of Wall Street“ einen neuen Spitzenreiter. 506 Mal wurde es vernommen. Gezählt. Was für Martin Scorsese nichts Unnormales ist, schließlich nehmen diesbezüglich seine Filme „Casino“ von 1995 mit 422 Mal und „GoodFellas“ (s. Kino-KRITIK) von 1990 mit 300 Mal die „Fuck“-Spitzenplätze 4 und 10 ein. JORDAN BELFORT, geboren am 9. Juli 1962 in New York City, ist ein defekter wie cleverer wie RICHTIGER „Fuck“-Typ. Ende der 1980er Jahre verdiente er als Aktienhändler Millionen von Dollar. 1998 wurde er für Wertpapierbetrügereien und Geldwäsche zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt, die später auf 22 Monate reduziert wurde, da er mit den Behörden kooperierte. Nach seiner Entlassung wurde er Autor und Motivationstrainer. Seine Memoiren, die er unter dem deutschen Titel „Der Wolf der Wall Street“ veröffentlichte, avancierten zum weltweiten Bestseller (wurden in 18 Sprachen übersetzt). 2011 folgte seine zweite Lektüre: „Die Jagd auf den Wolf der Wall Street“.
Es sind die späten 80er. In den USA ist Ronald Reagan der Präsident. Unter seiner Führung wird der amerikanische Finanzmarkt dereguliert. Was einen bislang nie gekannten Boom der Gier auslöst. Jeder, der halbwegs gut quatschen und einigermaßen rechnen kann, bemüht sich, die Broker-Laufbahn einzuschlagen. An der Wall Street herrscht das unkontrollierte Dollar-Fieber. Was zu Dekadenz, völliger Morallöschung und grenzenloser krimineller Energie führt. Jordan Belfort (LEONARDO DiCAPRIO) sieht seine Sturm- und Drang-Zeit gekommen. Der schmucke, gierige Neuling ist bald auf der maßlosen Überholspur. „Hol Dir das Geld aus der Tasche Deiner Kunden und stopfe es in die eigenen Taschen“, tönt er freudestrahlend. Geplant, gesagt, getan. Alle werden (ab-)geschröpft. Die Reichen wie die „Kleinen“. Die auch etwas vom „Dollar-Rausch“ abhaben wollen. Schließlich, so die großmäuligen Versprechen von den vielen Belforts, jeder kann „seinen Schnitt“ machen. Den „amerikanischen Traum“ kann jeder für sich verwirklichen. Jetzt und sofort. Gib‘ mir Dein Money und ich vermehre es für Dich. Schnell wie gigantisch. Mach‘ mit, fuck nochmal, sonst bleibst Du der ewige Verlierer. In diesem hitzigen Monopoly-Spiel. Bei dem es nur einen wahren Gewinner gibt: Jordan Belfort. Und seine Crew. Die sich totlachen über diese vielen verführten Dämelsäcke, die ihnen ihr Geld überlassen. Nachschmeißen. In der Hoffnung, den großen Reibach zu machen. Dabei hotten Belfort & Anhang längst mit ihrem Geld ab, feiern exzessive Partys, lassen buchstäblich und permanent die Sau raus. Suff, Drogen in jeder Variation, Koks-Stimulation, Sex. Viel und dauernd. Die eigene Welt als luxuriöser Dauervergnügungspark. Alles ist erlaubt, weil käuflich. Es ist der totale Rock ‘n‘ Roll-Rausch. Unaufhörlich und anscheinend unaufhaltsam. Natürlich gibt es Stopps, aber schließlich ist man „variabel“. Wenn es Zuhause kriselt, weil die Aufsichtsbehörden und das FBI ihnen zu nahe kommen, hilft sogleich der charmante Banker in der Schweiz (JEAN DUJARDIN). Das Geld dorthin bar ´rüberbringen? Kein Problem, man ist inzwischen eine große Family. Fuck noch eins, das Leben ist toll. Wild. Abgefahren. Und lässt ALLES zu.
Filme wie diesen wird es bald nicht mehr geben. Meister-Regisseur MARTIN SCORSESE, inzwischen 71, plustert sich noch einmal auf und hoch. Erzählt auf seine faszinierende Sinn- und Bauchweise von irren Zuständen auf unserem „köstlichen“ Schweineplaneten, innerhalb unseres pulsierenden, ausrastenden Gemeinwesens. Er tut dies nicht verbiestert, bockig anklägerisch, sondern mit seinem typischen detailgetreuen, musikalischen Zynismus. Lässt populäre Songs von früher untergelegt „plappern“. Hält die Kamera direkt auf die bunte, grelle, feudal-verruchte Show, auf die schmutzigen, fiebrigen Nadelstreifen-Akteure, auf das völlig überkandidelte wie berechnende Personal. Mit ihrem Extrem-Geschmack. Und ihrer Sucht nach und auf ALLES. „The Wolf of Wall Street“ sieht sich bisweilen wie eine bescheuert-schmucke Mittelalter-Orgie an, bei der ein zügelloser Caligula-Börsenkaiser seine Dekadenz genüsslich wie exzessiv mit seinen Kumpanen pflegt. Auslebt. Scorsese und Kamera-Ass Rodrigo Prieto („Amores Perros“; „Oscar“ für „Brokeback Mountain”) begeben sich mitten hinein in diesen überhitzten, dampfenden, geilen Taumel und (er-)schaffen einen brillanten, phantastischen Bilderrausch, durch den das reiche Gesindel kreischend, stöhnend, brüllend ausgelassen-satt hantiert. Was funktioniert, weil bei Scorsese und dessen 100 Millionen-Produktion wieder einmal erstklassige Akteure zur Verfügung standen, um herausragend zu überzeugen.
War es einst Robert De Niro, der Scorseses Ansinnen und Wild-Späße perfekt interpretierte, genial umsetzte („Hexenkessel“; „Taxi Driver“; „Wie ein wilder Stier“), so ist es heute – und bereits zum fünften Mal bei ihm – der 39-jährige LEONARDO DiCAPRIO („Gangs of New York“; „Aviator“; „Departed – Unter Feinden“; „Shutter Island“), der als Jordan Belfort ungezügelt herumwirbelt. DiCaprio („Titanic“) brennt hier förmlich in Gänze. Wenn er als Geld-Guru „motiviert“, mal laut, mal leise sondiert, wenn er listig lustvoll Geld predigt und exzessiv auskostet, wenn er völlig vollgekifft herumkriecht und geilen Sekunden-Sex vollbringt, ist er in seinem darstellerischen First Class-Element. Dermaßen charmant-seelenlos, lächelnd-charakterfies, hinreißend verführerisch, slapstickhaft-verdorben als personifizierter Mr. Ellenbogen-Arschloch, meine Güte… Kürzlich der „Golden Globe“, jetzt muss/wird der „Oscar“ folgen. DiCaprio lässt buchstäblich die Cretin-Hosen feixend ‘runter und i s t tatsächlich Jordan Belfort. Außen wie innen. In Bewegung, Gemüt, Temperament, Geilheit. Frechheit. In dessen überreicher Energie aus Kriminalität und Über-Lust. Dabei kann er, wie früher Robert De Niro bei Scorsese, auch mit einem sagenhaft-abgefahrenen Partner klugscheißern. Hieß der verrückte Psycho-Kumpel damals Joe Pesci, so steht dafür diesmal der füllige JONAH HILL mit glitzernden Weißzähnen zur irren Verfügung. Seine Performance als cleverer Vollbehämmerter ist ebenso verblüffend wie bravourös. Der 30-jährige Jonah Hill hat sich aus dem Comedy-Mief („The Watch – Nachbarn der 3. Art“; „Das ist das Ende“) abgenabelt. Begeistert hier als durchgeknallter Jordan-Bruder im Geiste. Ist überragend als Zweit-Sau.
In dem herrlichen, absurden, fulminanten neuen Werk des filmischen Triumphators Martin Scorsese. Der es noch einmal bitterböse-köstlich „draufhat“, wild und wuchtig von sich und seinem obszönen Land = aufregend, prächtig, verrucht-gemein, also wunderbar fuckig zu erzählen (= 4 ½ PÖNIs).