„WER WEIß, WOHIN?“ von und mit Nadine Labaki (Co-B, D+R; Fr/Libanon 2011; K: Christophe Offenstein; M: Khaled Mouzanar; 102 Minuten; deutscher Kino-Start: 22.03.2012); schon mit ihrem ersten Kinospielfilm stieß sie weltweit auf großes Interesse, auch bei uns, wo „CARAMEL“ (s. Kino-KRITIK) am 03.04.2008 in den Kinos anlief. NADINE LABAKI wurde am 18. Februar 1974 in Baabda/Libanon geboren.
Aus dem Presseheft: Ihr Großvater besaß in ihrer Geburtsstadt ein Kino. Ihr Vater Antoine kaufte sich von seinem ersten Gehalt eine Kamera und machte Nadine sowie ihre jüngere Schwester Caroline (die heute ebenfalls als Filmemacherin arbeitet) schon als kleine Mädchen zu den Stars seiner Super 8-Movies. Weil die Schwestern während des Bürgerkriegs häufig zu Hause bleiben mussten, schauten sie viel Fernsehen oder liehen sich Videos aus. „Filme erlaubten mir, dem bedrückenden Alltag zu entfliehen“, erinnert sich Nadine Labaki. Nach dem Abitur begann sie an der Beiruter Universität ein Filmstudium. Ihr dortiger Abschlussfilm hieß „11, Rue Pasteur“. Danach war sie in der Videoclip- und Werbefilmbranche tätig. Ihr erster Langfilm „Caramel“ entstand mit Unterstützung der französischen Produzentin Anne-Dominique Toussaint und wurde 2007 beim Cannes-Festival in der Nebensektion „Quinzaine des Réalisateurs“ (= entspricht dem Berlinale-FORUM) uraufgeführt. Und entwickelte sich zu einem der erfolgreichsten libanesischen Filme überhaupt. Die US-Fachzeitschrift „Variety“ bestimmte Nadine Labaki im selben Jahr unter die 10 „vielversprechendsten Regisseure“. Ihr zweiter Film lief beim „Toronto Filmfestival“ und gewann dort den „Publikumspreis“ sowie beim Filmfest in San Sebastian, wo er als „Bester Film“ benannt wurde.
Schon der bildliche Einstieg ist sensationell. Sinnlich. Mit feinem Gespür. Irgendwo in einem staubigen Kaff. Natürlich, wenn auch ungenannt: Libanon. Eine größere Gruppe schwarz gekleideter Frauen, einige verschleiert, schwankt im Rhythmus einer betörenden arabischen Musikalität in einer steinigen Einöde dahin. Kein Auftakt etwa für ein Musical, sondern eine Art leichtfüßiger Tanz-Ansatz für das Bevorstehende. Ein sanftes, melancholisches wie „schönes“ Beerdigungsballett. Denn wir befinden uns offensichtlich auf dem Weg zu einem Friedhof. Während die Frauen über ihre ausdrucksstarke Körperlichkeit trauern. Der Sofortsog ist enorm. Schnitt. Das Bergdorf. Schon ewig leben hier Christen und Moslems friedlich Tür an Tür. Was „draußen“, „woanders“ im Lande, passiert, ist ihnen egal. Nach „Außerhalb“ gehen, fahren sie nur, wenn es gilt, die notwendigen Alltagsdinge zu besorgen. Ansonsten ist man hier unter sich. Gut. Mit dem Anbau von Gemüse und Tieren wie Hühner und Ziegen. Und begibt sich entweder in die Kirche oder in die Moschee. Doch dann „stört“ ausgerechnet ein Fernsehapparat die Idylle. Neben der angestrebten kollektiven Unterhaltung wird auch über die Kämpfe religiöser Milizen im Land berichtet. Das „Knistern“ beginnt. Unter den Männern. Ein falsches Wort, eine unbesonnene Geste, eine verkehrte Interpretation von „Zerstörung“ und mit der Ruhe ist es vorbei. Ein Hauen und Stechen beginnt. Die Männer werden aggressiv. Fühlen sich entehrt, beleidigt, verletzt. So was. In der Art. Gehen aufeinander los. Ganz klar: Zuviel Testosteron. Typisch Kerle. Die friedliche Dorfstimmung weicht einer blöden An-Spannung. Dann das erste Todesopfer. Passierte „draußen“. Der zivile wie kulturelle Frieden wird hier jetzt brüchig. Was wiederum die Frauen „in Aktion“ treten lässt. Da mit ihren Männern „normal“ einfach nicht zu reden ist, greifen sie „anders“ ein. Listig. „Komisch“. Kreativ. Originell. Stichworte: Die ukrainische Table-Dance-Truppe, Haschkekse; das Ganze dann gemixt mit „empörten“ „göttlichen Erleuchtungen“. Gebäck gegen Waffen. Wahrsagung gegen Aufruhr. Dazu viel Musikalität. Das hat ´was. Von SEHR guter Botschaft.
„Wer weiß, wohin?“ ist ein hinreißende Tragikomödie. Angenehm unvollkommen, charmant improvisiert, mit hervorragend authentischen Mitspielern. Als wahnwitziges Plädoyer gegen jedweden Fanatismus. Und Chauvinismus. Und vor allem – gegen jede – weil völlig unsinnige – Gewalt. Für Toleranz. Gemeinsamkeit. Miteinander. Frauen haben „das“ schon längst im Kopf wie im Griff. Doch ihre Männer „brechen“ gerne aus. Benennen Glauben, Ehre, Tradition gerne als Motive. Schwachsinn, sagt und zeigt dieser einfache, so wunderbar kopfklare und ständig auch schmunzelbereite Film. Vor allem mit der großartigen wie utopischen Schluss-Idee. Die zum Nachmachen inspiriert. Wenn „die Religionen“ einfach “getauscht“ werden. Unter den klugen Frauen. Um diese dussligen Kerle zum Staunen und zum Beruhigen zu bringen. Was für eine grandiose Pointe! Für einen mitreißenden „anderen“ Kinofilm: Als eine wunderbar begehbare, mediterran-leidenschaftliche wie intelligente arabisch-europäische Unterhaltungs-Brücke. Toll (= 4 PÖNIs).