DER WERT DES MENSCHEN

„DER WERT DES MENSCHEN“ von Stéphane Brizé (Co-B + R; Fr 2014; Co-B: Olivier Gorce; Co-Produzent: Vincent Lindon; K: Eric Dumont, 93 Minuten; deutscher Kino-Start: 17.03.2016); ich erinnere mich – innerlich immer noch Steine-werfend-wütend: der Mitarbeiterin einer Supermarktkette wird nach über 20-jähriger Tätigkeit gekündigt, weil sie ein paar Pfandflaschenbons nicht weggeworfen, sondern für sich „benutzt“ hat. Der Fall kam vor Gericht. Empörte die Öffentlichkeit. Dieser französische Film sorgt für eine neuerliche wichtige Diskussion. In diese Richtung: Was ist ein MENSCH heutzutage überhaupt „wert“? Im Sinne von GELD-Wert? Wobei ebenso der Originaltitel, „La loi du marche“, also „DAS GESETZ DES MARKTES“, ebenso zutrifft wie der deutsche Titel.

– Der Film entstand übrigens mit einem Team von acht Leuten in nur 17 Tagen Drehzeit –

Thierry Taugourdeau (VINCENT LINDON). Er ist über 50, seit 15 Monaten arbeitslos. Als Langzeitarbeitsloser wird er im Job-Center geführt. Wo man ihn, dem ehemaligen Maschinen-Programmierer, eine Umschulung zum Kranführer zukommen ließ. Was völlig sinnlos gewesen sei, erklärt er eingangs dem zuständigen Sachbearbeiter, denn er habe nie auf einer Baustelle gearbeitet und würde auch niemals solch eine neue Arbeit bekommen. Sie haben eigentlich Recht, lautet die Antwort, aber das war nun mal so, fangen wir also wieder von vorne an. Eine Bemerkung fällt: Dieses – mitunter völlig sinnlose – Beraten und „Verfügen“ von Arbeitslosen, das hat sich doch inzwischen zu einer durchaus lukrativen Verwaltungstätigkeit mit enormem Wirtschaftspotenzial entwickelt. Auf der einen Gesellschaftsseite…

Auf der Bank bemüht er sich, einen Kleinkredit zu bekommen. Zwar ist seine Ehefrau berufstätig, doch sein Sohn ist dauer-krank; für seine Ausbildung und Betreuung ist ein festes monatliches Geld erforderlich. Die Bankberaterin rät erst zum Kauf einer eigenen Wohnung und dann doch lieber zum Erwerb einer Sterbeversicherung. Dann wären doch „seine Lieben“ abgesichert, falls ihm etwas zustößt. Statt ihr verbal eins auf die Gusche zu geben, bleibt Thierry besonnen. Schließlich ist er von ihr abhängig. Währenddessen schleicht sich die immer drückendere Frage in den Film (und den Kinosaal), wie lange sich ein gestandener, anständiger Mann und Bürger „so etwas“ von Erniedrigung gefallen lässt. Lassen wird. Wann wird er wohl und wie „explodieren“? Doch Thierry Taugourdeau geht auf die herrschenden Umgangsformen und Regeln ein. Bei einem Bewerbungstraining wird er dafür gescholten, nicht genug „dynamisch“ zu sein. Für die heutigen Anforderungen. Des Marktes.

Irgendwann aber klappt es doch. Zwar weit unter seinem Berufs-Niveau, aber wenigstens ein Tun. Wenn auch minder bezahlt. Als Aufpasser in einem Kaufhaus soll er nicht nur auf die Kundschaft, sondern auch auf das eigene Personal „schauen“. Wo „jeder“ und „jede“ ein potenzieller Dieb sei. Wird ihm erklärt. Der Chef will schließlich jede „Chance“ zur „Gewinnmaximierung“ nutzen, indem er Personal entlassen kann. Profit über alles. Mittenmal ist Thierry selbst ein Teil dieses ekligen Systems. Und mischt, innerlich angewidert, mit. Als eine langjährige Mitarbeiterin „erwischt“ und gefeuert wird und sich daraufhin das Leben nimmt, ist für Thierry Taugourdeau der Punkt über-erreicht.

Scham. Wut. Empörung. Resignation. Selbst-Ekel. Entsetzen. Verzweiflung. Vor diesen geltenden Handhabungen. Dieser systematischen menschlichen Diffamierung. Co-Drehbuch-Autor und Regisseur Stéphane Brizé schreit nicht, sondern „präsentiert“. Diese Nur-Noch-Ware Mensch. In diesem unmenschlichen Kapital-Moloch. Wehe, wenn dessen praktische Verwertbarkeit abgelaufen ist, gar die „(Be-)Nutzung“ gen Null tendiert. Dann triffst du auf DIE, „die Chefs“, die Entscheider und ihre vielen Adlaten/Mitläufer, die süffisant auf dir `rumtrampeln. dich abkanzeln. Ignorieren wollen. Die Dich für immer als „unverwertbar“ erklären. Denn die Gesellschaft kann schließlich nur „Sieger“ gebrauchen. Mit-Malocher. Die bringen was ein. Kannst du nicht (mehr) mithalten, hau ab. Bist doch im Blickfeld des Business keinen Deut mehr wert.

All dies löst der großartig mimende VINCENT LINDON mit seinen Bewegungen aus. Mit seinem Körper, seinen Blicken und Gesten. Ihn zu beobachten, zu begleiten, ihm zuzuhören, ihn beim Denken zu empfinden, erinnert daran, dass die Würde des Menschen doch Christi-global eigentlich als unantastbar gilt. Gelten sollte. Beim Festival in Cannes bekam VINCENT LINDON im Vorjahr für seine außerordentliche Leistung den „Darsteller-Preis“. Kürzlich wurde er zudem für diesen intensiven wie ausdrucksstarken Still-Part mit dem französischen „Oscar“, dem „César“, ausgezeichnet. Wir sind VINCENT LINDON auch hierzulande schon oft im Kino begegnet, wo er oft herbe, verletzliche Kerle darstellte („Mea Culpa – Im Auge des Verbrechens“; „Ohne Schuld“; den Maurer in „Mademoiselle Chambon“ von Stéphane Brizé/2009); dieser Thierry Taugourdeau ist zweifellos ein charakterstarker Höhepunkt in seiner Karriere. Enorm nachhallend.

Der Film ist richtig. Und wichtig. Innerlich aufwühlend. Nie tendenziös oder missionarisch, sondern als zutreffender Spannungskommentar über unsere Zeit(en) eindrucksvoll packend. Angehend. Weil er es versteht, Bauch UND Kopf auf beeindruckende Weise in wütende Wallung zu bringen (= 4 PÖNIs).

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