„UTOYA 22. JULI“ von Erik Poppe (Norwegen 2017; B: Siv Rajendram Eliassen; Anna Bache-Wiig; K: Martin Otterbeck; M: Wolfgang Plagge; 93 Minuten; deutscher Kino-Start: 20.09.2018); ich habe den Film während der diesjährigen Berlinale gesehen und war angefressen. Empört. Wollte ihn aber ein halbes Jahr später nochmal und in aller Ruhe sehen, um nochmal zu erkunden, was es mit ihm auf sich hat. Ergebnis: Dieser Film will – in gutem Glauben, aber unanständig – unterhalten. Indem er ein reales Massaker zu einer Art fiktiver „Horror-Veranstaltung“ dichtet. Bei der man nachfühlen/empfinden soll wie das so war = ist, wenn ein größenwahnsinniger Verbrecher Unschuldige mit seiner Flinte vor sich hertreibt und umbringt. Aus, wie er es später formulieren wird, „gerechten politischen Motiven“. Nervenkitzel als Nachbetrachtung eines barbarischen Terror-Aktes. Als fiktionales Spielfilm-Drama mit Horror-Geschmack.
Nein.
Eine junge Frau, Kaja (sehr überzeugend-intensiv: ANDREA BERNTZEN), wird mit der sie unmittelbar verfolgenden Wackelkamera in einer einzigen, 72 Minuten andauernden Einstellung begleitet. Wir sehen wie sie flieht, ihre Schwester sucht, vielen Flüchtenden begegnet, auf Verletzte und Erschossene trifft. Dabei hören wir im Hintergrund immer und immer und immer wieder die Schüsse des Attentäters. Das sieht fürchterlich aus und hört sich entsetzlich an und ist es auch, aber – was, bitte, soll das? Das Grauen erfahrbarer zu machen? „Ein Film gegen das Vergessen und die Sprachlosigkeit“, heißt es in der PR-Ankündigung. Welches Vergessen? Dieses unmenschliche, barbarische, widerwärtige, grausame Verbrechen kann und wird Niemand in der zivilen Welt jemals vergessen. Können. Und: diese „weiteren spielfilmhaften Informationen“ sind nicht zusätzlich aufschlussreich. Und: Von welcher Sprachlosigkeit wird hier argumentiert?
Zu den Fakten: Am Freitag, den 22. Juli 2011 wurden in Norwegen zwei Terroranschläge verübt. Zuerst explodierte eine Autobombe im Osloer Regierungsviertel. Kurz darauf ereignete sich das Attentat auf das Ferienlager der Jugendorganisation der norwegischen Arbeiterpartei auf der Insel Utoya, 40 Kilometer nordwestlich von Oslo. Der Täter war ein 32-jähriger Rechtsextremist aus Oslo. 72 Minuten dauerte der Anschlag. 77 Menschen starben. 99 wurden schwer verletzt. Über 300 Menschen erlitten schwerwiegende Psychotraumata.
Vor dem Nachspann heißt es über Schrifttafeln: „Die Geschichte und die Personen im Film sind frei erfunden“. Und: Der Film basiert auf detailierten Erfahrungsberichten vieler Überlebender“. Und: „Rechtsextremismus nimmt in Europa und der übrigen westlichen Welt zu“. DAS MACHT WÜTENDER ALS ES DER FILM VERMAG (= 2 1/2 PÖNIs).