TÜRKISCHE FRÜCHTE

TÜRKISCHE FRÜCHTE“ von Paul Verhoven (NL 1973; B: Gerard Soeteman, nach dem gleichn. Roman von Jan Wolkers, K: Jan de Bont, M: Rogier van Otterloo; 105 Minuten; Start D: 16.08.1973)

Es ist noch gar nicht so lange her, da gab es den niederländischen Film überhaupt nicht. Zuvor existierten einige Dokumentarfilmer wie Bert Haanstra (“Gefressen und Gefressen werden“) und. einige Spielfilm(versuchs)regisseure wie Pim de la Parra („Frank und Eva“), aber viel Filmstaat war mit denen national wie international nicht zu machen. Das änderte sich schlagartig, als der ehemalige Doktor der Mathematik und leidenschaftliche Film-Narr Paul Verhoeven 1973 beschloss, den heimischen Kult-Bestseller ‘Türkische Früchte‘ von Jan Wolkers auf die Leinwand zu bringen.

Dabei war dieses Vorhaben ein einziges Risiko, denn die Story um einen jungen holländischen Wilden, um einen 68er Marlon Brando, der sich nicht einordnen lassen will und vom Leben jede nur erdenkliche Lust und Freiheit verlangt, war in der drastischen Sprache und rüden Sexualität eine einzige Provokation. Aber zumindest eine literarisch erfolgreiche, denn alleine in Holland waren damals bereits über 100.000 Exemplare dieses Schock-Melodrams verkauft. Der Rest ist Kino-Geschichte. Der Film hatte mit über drei Millionen Besuchern die höchste Publikumsquote in den Niederlanden überhaupt (und daran hat sich bis heute nichts geändert) und sorgte für den Durchbruch der einheimischen Filmproduktion.
Auch in der Bundesrepublik stieß dieser Film auf große Resonanz. Vergleiche mit dem “Letzten Tango in Paris“ von Bertolucci stießen dabei in die richtige Richtung, wie man heute weiß, denn auch hier wird im Grunde zuallererst der Versuch beschrieben, über die freie und auskostende Sexualität eine neue zwischenmenschliche Umgangsform zu finden.

Der junge Bildhauer Eric (RUTGER HAUER) und die aus bürgerlichem Hause stammende Olga (MONIQUE VAN DE VEN) waren nichts anderes, wie die schmutzig-schmucke Antwort auf „Love Story“ und ähnliche emotionale Beruhigungsversuche. Ficken (“Ich ficke besser als Gott“) und Rummachen bedeuteten mehr als jede Karriere, jede Eingemeindung, jedes ’normale‘ Reglement. Verhoeven ‘präsentiert diese Utopie ohne Umschweife mit einer bis dahin seltenen und dennoch nie peinlichen Offenheit und Direktheit. Seine beiden hervorragenden Protagonisten scheinen nicht nur ihre Figuren voll vereinnahmt zu haben, sondern persönliches hinzuzugeben, so echt und überzeugend zeigen sie sich. Zwar sorgten damals das Prädikat „Wertvoll“ und die zwei “Oscar“-Nominierungen dafür, dass die hiesige Zensur dem Film nichts (mehr) anhaben konnte, dennoch löste er natürlich auch wütende Gegenattacken aus. So wetterte beispielsweise der katholische ‘Filmdienst‘ gegen die “schockierende, streckenweise ekelerregende Mischung aus krudem Sex, genüsslichem Sadismus und Melodramatik“. Was zur Folge hatte, dass nun noch mehr Publikum neugierig und angemacht wurde. In München lief der Film ununterbrochen fast zwei Jahre in einem Kino.

Heute hat dieser deftige Aufschrei von damals zwar nur noch anachronistischen Polit-Wert, in Handwerk und Unterhaltung aber hat er nichts von seiner Spannung und Wirkung verloren. Und wenn er einige sogar noch oder wieder „schocken“ sollte, dann ist er bei uns sogar schon wieder aktuell (= 4 PÖNIs).

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