„TAXI TEHERAN“ von und mit Jafar Panahi (B, Produktion, R + HD; Iran 2014; 82 Minuten; Start D: 23.07.2015).
ER ist 54 Jahre alt, ist einer der bedeutendsten unabhängigen Filmemacher aus dem Iran, hat mit seinen Filmen „Der weiße Ballon“ (Debüt 1995/“Goldene Kamera“ von Cannes); „Der Spiegel“ (1997 Gewinnerfilm beim Locarno-Festival); „Der Kreis“ (2000 „Goldener Löwe“ von Venedig/der Film wurde im Iran verboten); „Crimson Gold“ (2003); „Offside“ (2006/“Silberner Berlinale Bär“) weltweite cineastische Anerkennung erlangt. 2010 wurde er in seinem Heimatland monatelang ohne Anklage inhaftiert, trat schließlich in den Hungerstreik, weil er den geforderten eigenen Anwalt nicht bekam und wurde nach Protesten von Kollegen wie Steven Spielberg, Robert Redford, Michael Moore und Abas Kiarostami gegen Kaution freigelassen. Im Dezember 2010 wurde ihm der Prozess gemacht. Jafar Panahi wurde wegen „Propaganda gegen das System“ zu sechs Jahren Gefängnis und einem 20jährigen Berufsverbot verurteilt. Zugleich wurde ihm verboten, Interviews zu geben und ins Ausland zu reisen.
2011 wurde er in die Wettbewerbsjury der Berlinale berufen, sein Platz blieb unbesetzt. Einige Monate später lief bei den Filmfestspielen von Cannes sein 75minütiger Dokumentarfilm „This is not a Film“, die Beschreibung eines Tages im seinem Leben. Herausgeschmuggelt auf einem USB-Stick. 2013 präsentierte die Berlinale seinen aktuellen Film „Pardé“, „Geschlossener Vorhang“. Doppelbödige Iranische „Zusammenkünfte“ in einem abgelegenen Haus am Meer.
Im Frühjahr dieses Jahres erreichte sein aktueller Film tatsächlich wieder die Berlinale. Und wurde dort begeistert gefeiert: „TAXI“. Die Jury des Wettbewerbs vergab schließlich den Hauptpreis, den „Goldenen Bären“, an dieses unter extrem eingeschränkten Bedingungen entstandene Meisterwerk. Das – ganz einfach wie clever wie faszinierend wie spannend – in einem Taxi entstand.
Eine echte, authentische Unterwanderung. Vom couragierten, mutigen Jafar Panahi. Der nur durch den internationalen „Schutz“ sich nicht in Haft befindet, sondern „draußen“ bleiben darf. Wo er eifrig, obwohl ständig überwacht, seiner ereignisreichen wie kritischen Film-Kunst weiter nachgeht. Wie hier: Wo er in einem Taxi vor der Windschutzscheibe eine schwenkbare Kamera installiert. Und ab geht die Fahrt. Durch den quirligen Teheraner Tagesverkehr mit Blick auf den Alltag. Mit ihm als Lenker, Moderator und Kommentator und seinen zahlreichen Gästen aus allen Gesellschaftsschichten. Den unterschiedlichsten Typen und Charaktere. Mit denen er spricht oder die er miteinander sprechen lässt. Dadurch entsteh ein sehr informatives, aufschlussreiches Gedanken- und Personen-Bild aus dem heutigen Teheran. Welches die iranische Wirklichkeit reflektiert und dabei ebenso packend wie automatisch hochpolitisch brisant ist.
Wenn zum Beispiel zwei Insassen über „gerechte Bestrafung“ bei Verbrechen streiten und ob die Todesstrafe im Lande überhaupt angebracht ist. Ein fliegender Video-Händler Panahi erkennt und in sein „Business“ mit-einspannen möchte. Wenn ein Nachbar von Panahi auftaucht, der von einem Bekannten ausgeraubt wurde und dennoch nicht zur Polizei geht, weil der Täter „aus eigener Not“ gehandelt hat. Oder wenn ein verletzter Motorradfahrer aufgenommen wird, der dann auf Panahis Handy sein Testament spricht, während später sich seine Ehefrau meldet und „sicherheitshalber“ den Mitschnitt haben möchte.
Oder wenn eine Menschenrechtsanwältin, die selber unter Beobachtung steht und von Berufsverbot bedroht ist, mit einem Strauß roter Rosen zu einem Gefängnis namens „Paradies“ unterwegs ist, um eine in den Hungerstreik getretene Mandantin zu besuchen und in verblüffender Offenheit über die verheerenden unmenschlichen Haftbedingungen spricht. Kurios aber wird es dann, wenn die kleine vorlaute Nichte Hana – die in Berlin für ihren Onkel die „Goldene Bären“-Trophäe (unter Tränen) entgegennahm – als Schularbeit einen Kurzfilm mit ihrer Digitalkamera „dreht“ und dabei die strengen „Regeln“ für „zeigbare“ Filme im Iran erläutert. Und währenddessen selbst in einen „praktischen Beobachtungsfall“ von positiv-negativ gerät.
Es ist und bleibt wahr: Die besten Film-Geschichten schreibt das Leben selbst. Richte den Kamerablick auf deine Nächsten, und sei es in einem anonymen Taxi, und du kriegst sehr viel mehr „mit“ als es viele fiktionale Begebenheiten auszubreiten vermögen. Was tatsächlich passiert, lässt sich nicht verbiegen. Das Innere eines Autos als Rhythmus einer Gesellschaft, in der Offenheit ansonsten tabu ist. Vor allem wenn dann einer der entscheidenden Sätze des Films fällt, als Jafar Panahi meint, dass auch „das Leben nach der Haft ein Gefängnis“ sein kann.
Das Tolle hier, an diesem intensiven und zugleich höchst unterhaltsamen Doku-Spielfilm ist, dass er keine trockenen, belehrenden Ideologie-Fahnen heraushängt. Sondern – wie einst Carlos Saura zur Zeit der spanischen Franco-Diktatur – Bilder über den inneren Zustand, die Politik und die Emotionen in einer Diktatur über nunmehr hintergründige Aufnahmen von banalem Alltagsgeschehen und spontanen, quasi „abgeschirmten“ Gesprächen nahebringt. Was ungemein aufregend wirkt. Im Nachhall von Sinn und Leid. Von Normalität und Druck.
„Taxi Teheran“ steht für eine ungemein spannende Wirklichkeit, deren traurige Fröhlichkeit überschwappt (= 5 PÖNIs).