TANGERINE L.A.

TANGERINE L.A.“ von Sean S. Baker (Co-B + R + Schnitt; USA 2014; Co-B: Chris Bergoch; K: Radium Cheung, Sean S. Baker; M-Auswahl: Matthew Smith; 87 Minuten; Original mit deutschen Untertiteln; Start D: 07.07.2016); wir sollten Filme sofort sehen, wenn sie tatsächlich etwas Neues probiert und propagiert haben, und nicht erst, wenn die Cineasten-Bücher es bestimmen.

„Tangerine L.A.“ ist jetzt einer der unverschämtesten Neu-Filme überhaupt. Gedreht auf iPhones („Gerade war das iPhone 5S mit seiner besten Kamera herausgekommen“/Sean S. Baker), die für eine ungeheure Authentizität und intime Nähe sorgen; um die Ecken von Los Angeles blickend („Unser Fußabdruck war sehr klein“), für ein Budget von rd. 100.000 Dollar, mit zwei ortsansässigen Auskennerinnen: KITANA KIKI RODRIGUEZ und MYA TAYLOR. Aus der Transgender-Scene.

Es ist Heiligabend. Als die transsexuelle Prostituierte Sin-Dee nach 28 Tagen aus dem Knast kommt, sich wieder in „ihr Viertel“ begibt und ihren Lover-Zuhälter Chester erwartet. Doch der Hurensohn, so ihre beste Freundin Alexandra, ist fremdgegangen. Und ausgerechnet auch noch mit einer „weißen Bitch“, einem „echten“ Girl, sozusagen einer „Bio-Frau“. Fortan ist Wut-Marathon angesagt. Sinn-Dee sinnt auf Rache, will Kerl & Schlampe aufspüren; die Freundin plädiert für Mehr-Besonnenheit. Zwei Furien auf ihrem weihnachtlichen Trip durch das sonnige Tangerine-L.A., was übersetzt „Mandarine“ bedeutet und das beeindruckende Farbspiel von Los Angeles in der Abenddämmerung meint.

Farben oben, Hektik unten, und der Dubstep-Beat wummert mächtig wie lustvoll: „Tangerine L.A.“ ist keine Exoten-Show, mit „Teilnehmern“, die gierig angestarrt werden, sondern Volldampf-Mitglieder aus einem eigenen Mikrokosmos, der in seinem Vulkan-Inneren mit seiner ungeheuerlichen Energie eigenwillig twisted. Mit einer überbordender Sprach- und Bewegungs-Deftigkeit rudert; die volle Kanne rüde Worte ausspeit, die wie Kugeln aus dem ordinären Colt schießen, schließlich: eine völlig bekloppte Entführung. Der urige Showdown-„Prozess“ findet schließlich in einem Donut-Laden statt.

Auch übrigens mit dem aus Armenien stammenden Taxifahrer und Familienvater Razmik (KARREN KARAGULIAN), der sich des Öfteren in dieser Szene bewegt und selbst an Heiligabend die Familie verlässt, um sich einen lustvollen „Weihnachtshappen“-draußen zu gönnen. Was ihm seine „konsequente“ Schwiegermutter aber deutlich verdirbt.

Was das ist? „Die wildeste Transen-Screwball-Komödie seit ‚Manche mögen’s heiß‘!“, heißt es in „Star Tribune“. „Bahnbrechend – Du lachst Dich schlapp“, meldet „Rolling Stone“. Und die „New York Times“ prostete: „Großartig – eine schwindelerregende Balgerei!“. Mit der Ergänzung: „Eine absurde Verfolgungsjagd mit einer Prise Rainer Werner Fassbinder – Kult!“. Und Dialogen wie „40 Dollar? Okay, ich hol‘ mir selbst einen runter. Kannst du mir die Eier halten?“

In der fetzigen Tat: Dermaßen selbstverständlich wie originell wie urig-platzhirschend-cool wie überwältigend-temperamentvoll und wie gar nicht „Problem mit Körnerbildern“ wirkt „Tangerine L.A.“: Eine Knorke-Straßen-Komödie. Mit zwei komischen Erkenntnissen: „Los Angeles ist eine wunderhübsch verpackte Lüge“ und „Scheiße kommt immer an die Oberfläche“.

Sean S. Baker, Jahrgang 1971, bekannt aus der US-Indie-Filmszene durch seine Streifen „Prince of Broadway“ (2008) und „Starlet“ (2012), erklärt im Presseheft, warum sein inzwischen auf vielen internationalen Festivals gepriesener, gefeierter Film funktionieren musste: „Die beiden transsexuellen Stars sind echte Freundinnen. Sie erzählten den Autoren aus ihrem Leben, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Ihre einzige Forderung: der Film sollte die Situation afro-amerikanischer transsexueller Sexarbeiterinnen realistisch darstellen und zugleich extrem lustig sein! Wenn wir darüber nicht lachen würden, was soll das Ganze dann überhaupt?, so Mya Taylor“.

Wie recht sie hat bzw.: Absolut auf den starken Unterhaltungspunkt gebracht. (= 4 ½ PÖNIs).

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