PÖNIs: (4/5)
„TAKING WOODSTOCK“ von Ang Lee (USA 2008; B: James Schamus, Elliot Tiber, Tom Monte; K: Éric Gautier; M: Danny Elfman; 120 Minuten; deutscher Kino-Start: 03.09.2009); einem der gegenwärtig bedeutendsten Regisseure überhaupt. Der 1954 in Taiwan geborene, seit 1978 in den USA lebende und arbeitende Filmkünstler schuf vielfach ausgezeichnete Werke wie „Das Hochzeitsbankett“ (1993); „Eat Drink Man Woman“ (1994); „Sinn und Sinnlichkeit“ (1995/“Oscar“ für Emma Thompson für ihr „adaptiertes Drehbuch“; s. Kino-KRITIK); „Der Eissturm“ (1997); „TIGER & DRAGON“ (2000); „Hulk“ (2003); natürlich „BROKEBACK MOUNTAIN“ (2005; s. Kino-KRITIK) sowie zuletzt „Gefahr und Begierde“ (2007; s. Kino-KRITIK). Er gewann 2 x den „Goldenen Berlinale Bär“ (für „Das Hochzeitsbankett“ + „Sinn und Sinnlichkeit“); 2 x den „Goldenen Löwen“ von Venedig („Brokeback Mountain“; „Gefahr und Begierde“) sowie 2 x den „Oscar“ („Tiger & Dragon“/Auslands-„Oscar“ + „Brokeback Mountain“/Regie-„Oscar“). Nach 6 durchweg tragischen Filmen hat sich der 55-jährige einen innigen Wunsch erfüllt: „Ich habe mich danach gesehnt, endlich eine Komödie zu machen“, sagte er auf einer Pressekonferenz im Mai beim Cannes-Festival, wo sein Film Welturaufführung hatte.
„Taking Woodstock“ läßt sich am besten als „WOODSTOCK EROBERN“ übersetzen. Denn die Hauptfigur ist ein junger Bursche, der eigentlich nur das heruntergekommene Motel seiner Eltern retten möchte. Was sogleich mögliche Missverständnisse von vornherein ausschließt: Es handelt sich hier um KEINEN Konzertfilm über das legendäre Rockfestival, sondern um eine „Privatgeschichte“ um das berühmte Rock-Weekend. „Taking Woodstock“ basiert auf dem 2007 veröffentlichten gleichnamigen Buch von Elliot Tiber und Tom Monte, das soeben auch bei uns erschienen ist. Zur Erinnerung: WOODSTOCK. 15. bis 17. August 1969, tatsächliches Ende jedoch erst am Montag-Morgen auf einer Farm in BETHEL im US-Bundesstaat New York, einem 4.000-Seelen-Ort, gut 50 Kilometer von der Künstlerkolonie Woodstock entfernt. 32 Bands + Solisten traten insgesamt auf, darunter Santana, Joe Cocker, Janis Joplin, The Who, Jefferson Airplane, Canned Heat, Jimi Hendrix und Richie Havens. Aber UM DIE geht es hier, bei dieser 30 Millionen-Dollar-Produktion, NICHT. Stattdessen blicken wir auf einen etwas linkischen, naiven jungen Mann namens Elliot Tiber. Der lebt in New York City und träumt von einer Karriere als Innenausstatter. Kommt jedoch wie in jedem Sommer zurück in seine kleine Gemeinde, um seinen Eltern zu helfen.
Wir registrieren den Juli 1969. Als Elliot vernimmt, dass in einem nehegelegen Ort (in Wallkill) den Veranstaltern eines geplanten Oper-Air-Festivals die Erlaubnis entzogen wurde, wittert er eine Chance: Als Vorsitzender der örtlichen Handelskammer besitzt er eine Lizenz für eine Freiluftveranstaltung; ruft die Veranstalter an und bietet „seine Wiese“ an. Diese erweist sich zwar für das Vorhaben als viel zu klein, aber Elliot hat „eine Lunte“ in Gang gesetzt, die sich nun nicht mehr aufhalten lässt. Denn die Veranstalter um den charismatischen Michael Lang (Debütant JONATHAN GROFF) sehen buchstäblich „Land“ und beginnen, sich hier „groß auszubreiten“. Der Hippie-Tanz kann beginnen. In einem Umfang, wie es niemand für möglich gehalten hätte: Was für „einige Tausend“ geplant war, steckt Hunderttausende an. Ang Lee jedoch hält den Themen-Ball angenehm flach. Leistet es sich, die Auftritte wie die Promis völlig zu ignorieren. Stattdessen erzählt er davon, wie Elliot und das Festival-Team pausenlos damit beschäftigt sind, alles zu organisieren bzw. irgendwie in den Griff zu kriegen. Mit Tausenden von Statisten. Dabei will er vor allem den immensen Einfluß des Festivals zeigen; vor allem für DIE, die „nicht direkt neben der Bühne“ waren, sondern ganz einfach von dieser außergewöhnlichen, einmaligen Stimmung ÜBERHAUPT angesteckt wurden. Wie „Motor“ Elliot, der wie ein kleiner idealistischer Bruder von Dustin „Benjamin“ Hoffman in „Die Reifeprüfung“ (1967) ausschaut und vom 35-jährigen amerikanischen Stand-Up-Komiker DEMETRI MARTIN wunderbar unbedarft als Charme-Bubi interpretiert wird. Der sich nach diesem Wochenende endgültig von seinen Eltern, vor allem von seiner herrischen, verbitterten Mutter (grandios: IMELDA STAUNTON/“Vera Drake“ sowie die garstige „Rosa“-Lächel-Pädagogin in „Harry Potter und der Orden des Phoenix“) abnabeln wird. Und DER hier zudem sein ganz privates „Coming Out“ erlebt und auf seinen ersten Drogen-Trip geht.
Ang Lee interessiert sich für die vielen kleinen Begebenheiten und Beobachtungen am Rande von Woodstock, Motto: Der endgültig erwachsen werdende Elliot; die tiefen Ängste der jüdischen Eltern; das Vietnam-Trauma eines Freundes aus der Nachbarschaft; die wirtschaftlichen Interessen der Veranstalter; das reaktionäre Spießertum im Ort, die friedliche Selbsterfahrung, das „ruhige Chaos“, die vielen kleinen Anekdoten drumherum, das berühmte Schlammrutschen. (Und sogar der „berühmte Toilettenmann“ aus der legendären, „Oscar“-gekrönten Dokumentation von Michael Wadleigh findet Beachtung.) All das und noch viel mehr beschert „Taking Woodstock“ mit viel Atmosphäre, spannenden Geschehnissen und Typen, unangestrengtem Zeitkolorit (im Hintergrund sind die Bilder von Richard Nixon, der ersten Mondlandung und vom Vietnam-Trauma hör- und sehbar.) Der Film wirkt wie ein verblüffendes, schönes Leuchten in der Erinnerungs-Nacht, lebt von vielen authentischen Details und besitzt unaufgeregten Wortwitz. Läßt diesen magischen, historischen Moment „Woodstock“ pointiert wiederaufleben und nachvollziehbar spüren. Diese einzigartige Aufbruchstimmung einer Generation, dieses Erlebnis, für einen kurzen Moment realistisch träumen zu dürfen. Denken und Fühlen: das faszinierende FEELING, der sagenhafte Mythos von „Woodstock“, jetzt im guten Nostalgie-Kino (= 4 PÖNIs).