SYSTEMSPRENGER

PÖNIs: (4/5)

„SYSTEMSPRENGER“ von Nora Fingscheidt (B + R; D 2018; K: Yunus Roy Imer; M: John Gürtler; 125 Minuten; deutscher Kino-Start: 19.09.2019); AUAH, was für ein Schlag. An die Birne. In den Bauch. (Oder umgekehrt.) Selten so aufgewühlt einen deutschen Film erlebt. Der in dieser Konsequenz einmalig sein dürfte. Denn er spielt DAS „genüsslich“ aus, was woanders – wegen „Belästigung“ – nur ein paar Sekunden, höchstens Minuten dauert: DAS PROTEST-SCHREIEN EINES KINDES! Sie heißt Bernadette, wird Benni genannt. Sie ist ein „nicht zu bändigendes“ Kind. Denn immer, wenn ihr etwas nicht gefällt, fängt sie an auszurasten. Schreit. Tobt. Brüllt. Wütet mit unzüchtigen Worten herum. Dabei stellt sich heraus, dass sie eigentlich nur zu ihrer Mutter will. Bei ihr leben will. Doch die alleinerziehende Mutter von zwei weiteren Kindern sieht sich außerstande, Benni zu versorgen. Geschweige-denn bei sich aufzunehmen. Fühlt sich mit ihr völlig überfordert. Demzufolge wandert(e) die 9-jährige durch Pflegefamilien, Wohngruppen, Sonderschule. Und auch schon mal in die Psychiatrie. Tabletten-Zufuhr. Doch nirgendwo ist sie zu bändigen. Benni ist und bleibt aggressiv. Wild. Unberechenbar. Schreit. Beißt. Fightet. „Ich hasse euch!“ Ist nicht „zu sozialisieren“. Treibt ihre Mitmenschen zur Verzweiflung. Die gutmütige Frau Bafané vom Jugendamt (GABRIELA MARIA SCHMEIDE) ist am Ende ihres Lateins. Ein letzter Experiment-Versuch mit Micha (ALBRECHT SCHUCH), dem Anti-Gewalt-Trainer für straffällige Jugendliche: drei Wochen „Erlebnis-Pädagogik“ in der Natur. Im Wald. Ohne Strom und fließendes Wasser. Das Duell nimmt seinen Lauf.

NORA FINGSCHEIDT, 1983 in Braunschweig geboren, schuf ihren ersten Langspielfilm als Autoren-Regisseurin genau SO wie es das Thema vorgibt: ungehemmt, nicht „gezügelt“. Permanent draufgängerisch. Mit einer ebenso unruhigen Kamera. Einer beunruhigenden Montage. Unterlegt mit harten Punk-Rhythmen. Im steten Mittelpunkt, diese unglaubliche Benni-Gören-Darstellerin aus Berlin: HELENA ZENGEL, Berlinerin des Jahrgangs 2008. Meine Güte, wenn DIE als BENNI zornig ist, ist sie auch RICHTIG zornig. Unaufhaltsam. Dauerhaft krakeelend. Unter die Haut-gehend überzeugend. Mit einer kaum auszuhaltender Gemütsintensität. Fürchterlich panisch.

Was macht man „mit solch einem Kind“? Etwa 50 gäbe es im Lande, sagt Nora Fingscheidt in den vielen Interviews in diesen Tagen. Wohin mit denen? Wie mit den Bennis umgehen? Doch wegsperren? Mit neun? Oder auf weitere Reise schicken, auf einem anderen Kontinent parken?

Meine Güte, „Systemsprenger“ beschäftigt einen immens. Der Film wurde kürzlich als Deutschlands Film-Vertreter für die Auslands-„Oscar“-Nominierungs-Auswahl eingereicht. Bin mal gespannt, wie die Mitglieder der US-Filmakademie „auf so etwas“ reagieren. Bin selber ziemlich platt, geschockt, ratlos. Also betroffen-aufgeregt-fertig (= 4 PÖNIs).

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