„SPUREN“ von John Curran (Australien 2012/2013; B: Marion Nelson, nach dem gleichnamigen Buch von Robyn Davidson; K: Mandy Walker; M: Garth Stevenson; 112 Minuten; Start D: 10.04.2014); es mag eigenartig klingen, aber über Filme zu schreiben, die „man“ besonders mag, ist am schwersten.
Ein junger Mann. Christopher Johnson McCandless. Er wächst wohlbehütet in einem reichen Vorort von Washington, D.C. auf. In der Schule ein Überflieger, beim Sport ein As. Universitätsabschluss mit Auszeichnung. Im Sommer 1990 verschwindet er. Taucht unter dem Namen Alexander Supertramp ab. Spendet seine gesamten Ersparnisse von 24.000 Dollar der Wohlfahrt. Orientiert und definiert sich neu: Sein Leben ist künftig SEIN Leben. Wandert quer durch Nordamerika. Mit dem Ziel: Alaska. Immer auf der Suche nach „ungefilterten Erfahrungen“. Sean Penn schuf 2007 den Film „INTO THE WILD“. Basierend auf dem 1996 herausgekommenen gleichnamigen Recherche-Reportagen-Buch von Jon Krakauer, das den (Lebens-)Weg von Christopher Johnson McCandless nachzeichnet. Der Film von Sean Penn zählt zu den besten des Genres Selbstsuche-Movies (s. Kino-KRITIK). In dem US-Magazin „The Hollywood Reporter“ war neulich zu lesen, dass der bereits auf einigen internationalen Festivals präsentierte und dekorierte Film „SPUREN“ „der beste seiner Art seit Sean Penns ´Into The Wild´“ sei.
Und in dem für mich DER Satz der Filmgeschichte fällt: REDEN WIRD ÜBERBEWERTET!
ROBYN DAVIDSON wurde 1950 auf einer Rinderfarm im australischen Queensland geboren. Sie studierte Biologie, Musik und Philosophie in Brisbane, ehe sie Ende der 1970er Jahre nach Alice Springs kam. Dem Ausgangspunkt der Reise, die sie dann 1975 antritt. Denn Robyn Davidson besitzt einen völlig ´verrückten Traum´. Sie möchte, sie WILL unbedingt zu Fuß die australische Wüste bis zum Indischen Ozean durchqueren. 2.700 Kilometer. Allein. Durch eine lebensfeindliche Wildnis. Begleitet nur durch vier Kamele – drei erwachsene, ein „Kind“-Kamel – und ihrem geliebten schwarzen Hund Diggity. Warum? Warum nicht. Unzufrieden mit dem lauten, lärmenden Großstadt-Leben ist Robyn Davidson auf der Suche „nach etwas“, das ihre Leere füllen kann. Was das genau sein könnte, davon hat sie nur vage Vorstellungen. Wissen tut sie aber, dass sie sich in der Gesellschaft von vielen und zudem ununterbrochen „kommunizierenden“ Menschen überhaupt nicht wohlfühlt. Und das dieses WOHLFÜHLEN ein Ziel ist, das zu suchen sich lohnt. Und warum nicht auf einer „solchen Reise“? Bei der sie „auf Menschen“ problemlos wie gerne verzichten will.
Natürlich raten ALLE ab. Respektieren dann aber ihren Wunsch, ihr Vorhaben. Wenn ein Mensch sich entschließt, „etwas“ für sich zu machen und sei es noch so verwunderlich, unbegreiflich und gefährlich, dann sollte man sich bemühen, ihn davon abzuhalten. Wenn dies aber fehlschlägt, unterstützen DIE ihn (schweren Herzens), die diesen Menschen mögen. So tolerant war man damals. In den Siebzigern des vorigen Jahrhunderts. Bisweilen. Also macht sich Robyn Davidson (MIA WASIKOWSKA) daran, den Traum ihres noch jungen Lebens zu realisieren. Für dessen Erfüllung sie aber „gänzlich“ auf Menschen nicht verzichten kann. Stichwort: Finanzen. Der auf seine Weise ebenso „eigenartige“, linkische New Yorker Fotograf Rick Smolan (ADAM DRIVER) besorgt ihr Unterstützung des Magazins „National Geographic“ und darf sie dafür unterwegs einige Male „treffen“ und Fotos machen. Deal. Also kann es, nach diversen wie schwierigen Vorbereitungsanläufen, schließlich losgehen. Die junge Frau, allein, ihre Tiere und das weite, unendlich schöne, spirituelle wie bedrohliche Land. Robyn Davidson und der Marathon ihres Lebens.
Sie hat überlebt. Sonst wäre ja nicht 1980 ihr Buch „Tracks“ (so auch der Originaltitel des Films) herausgekommen. Hierzulande kam es 1982 unter dem Titel „Spuren“ heraus. Und wurde jetzt, versehen mit einem aktuellen Nachwort der Autorin, als Taschenbuch neu bei uns veröffentlicht. Der Film trifft. Alles. Seele, Landschaft, Abenteuer, Emotionen. Romantisiert nicht, vermeidet jedweden Kitsch, verklärt nicht. Hier ist keine „Heldin“ auf Deibel komm raus unterwegs, sondern eine Frau auf der Reise ihrer Existenz. Auf der Suche nach…was? Jenseits jeder Zivilisation ist sie allein auf sich gestellt und will dies auch unbedingt. SO haben. Mit dieser Aufsaug-Lust. Mit sämtlichen Risiken und Gefahren. Und Schmerzen. Inklusive. Mit den Sinn-Fragen und -Erlebnissen, dem Infrage-Stellen, der Freude, der Natur-Faszination, den Zweifeln und „Hängern“. Den Erkenntnissen. Prägenden Erfahrungen. Überlebenskämpfen. Mit diesem Zusammenhalt in ihrer „Gruppe“: Ein Mensch plus unterstützende Tiere. „Die beiden wichtigsten Dinge, die ich gelernt habe, waren: dass man immer so stark und leistungsfähig ist, wie man es sich selbst erlaubt. Und dass der schwierigste Schritt einer jeden Unternehmung ist, die erste Entscheidung zu treffen“ (Robyn Davidson).
Eine immerwährende aktuelle Geisteshaltung: Ein Mensch erlaubt sich, Individuum zu sein. Aus Konventionen auszubrechen. Für sich „da“ zu sein. Im wahrsten wie praktischen Sinne: Ruhe zu finden. Und begibt sich auf einen Trip mit Sog-Wirkung. Für den Zuschauer. Denn: Was für ein wunderschönes Gänsehaut-Erlebnis ist dieser herrliche Film. Im „sicheren“ Kino-Saal. Optisch grandios, gedanklich „permanent“. In Sachen Gefühl ein außergewöhnliches Unterhaltungserlebnis. Weil man selbst hierin tief eintauchen kann. „Teilnehmen“ darf. Die Spuren der Robyn Davidson zu spüren vermag. Sie nachvollziehen und mit Eigen-Phantasien füllen kann. Würde man, hätte man, könnte man, sollte man…vielleicht…: Was für ein Pakt. Bedeutet dieser Kinobesuch!
Regisseur John Curran, Amerikaner des Jahrgangs 1960, hierzulande „etwas“ bekannt durch seine beiden, bei uns gleich im Heimkino herausgebrachten Spielfilme „Der bunte Schleier“ (2006/mit Naomi Watts, Edward Norton + Liev Schreiber) und „Stone“ (2010/deutscher TV-Titel: „In der Lüge gefangen“/mit Robert De Niro, Edward Norton + Milla Jovovich), hat sein erstes Meisterstück inszeniert. Fein unangestrengt, botschaftslos, also ohne dickes Ausrufungszeichen, landschaftlich majestätisch dicht, schön, in jeder Plus-Minus-Position von Sonne, Raum und ewiger Wüste. Dass seine Robyn Davidson nicht als überspannte Spinnerin auftritt und ihre Tour nicht als überkandidelter Selbstfindungstrip einer Durchgeknallten durchgeht, ist vor allem der sich wunderbar zurücknehmenden, faszinierenden MIA WASIKOWSKA (2010 d i e „Alice im Wunderland“ bei Tim Burton) zu verdanken. Ihr Eintauchen in die Natur wirkt nie verklärt, sondern „vernünftig“. Weil ihre Robyn Davidson es wünscht. Es will. Und herbeiführt.
Mia Wasikowska versteht es unprätentiös wie einfühlsam, als Robyn Davidson deren sensible wie selbstbewusste 1:1-Identität zu übernehmen. Wahrhaftig auszudrücken. Mit der intensiven Wirkung: Das Zurückziehen ihrer „Heldin“ auf sich selbst, hat hier nie etwas spinnerhaftes. Oder edelmütiges. Sondern ist einfach großartig wie konsequent praktizierte Unvernunft (= 4 ½ PÖNIs).