SONS OF NORWAY

SONS OF NORWAY“ von Jens Lien (Norwegen/Schwed/Dän/Fr 2011; Co-Prod.: John Lydon; 88 Minuten; Start D: 05.07.2012); du meine Güte, was für ein interessant-wüster filmischer Off-Kraftstoff aus Skandinavien ist diese RÜPEL-ENTDECKUNG, die viel Kino-Außenseiter-Beachtung verdient. Das Drehbuch stammt vom 1965 in Oslo geborenen Schriftsteller NIKOLAJ FROBENIUS („Latour’s Catalogue“), der als Autor auch für die Drehbücher zu den einheimischen Filmen „Insomnia“ (1997) und „Dragonfly“ (2001) verantwortlich war. 2004 veröffentlichte er den autobiographischen Roman „Teori og Praksis“, den er hier für das Drehbuch selbst adaptierte. Regisseur JENS LIEN, Norweger des Jahrgangs 1967, studierte von 1990 bis 1992 an der „London International Film School“, begann danach als Dokumentarfilmer, drehte Werbe- Industrie- sowie (prämierte) Kurzfilme. Sein Spielfilm-Debüt „Johnny Vang“ hatte auf der Berlinale von 2002 Erstaufführung. 2006 folgte mit „Anderland“ eine groteske Gesellschaftssatire im Science Fiction-Umfeld, die auf vielen Internationalen Filmfestivals lief und über 30 Preise gewann.

Wir befinden uns in den norwegischen 1970ern. Präzise: Im Dezember 1978. In einem Vorort von Oslo. Die „aufgeschlossene“ Familie besteht aus Mutter Lone, Vater Magnus, dem 10jährigen Nikolaj und dessen jüngerem Bruder. Zur Weihnachtsfeier sind alternative Hippie-Freunde mit ihren Töchtern eingeladen. Die Kinder proben nach dem Anhören „der Internationale“ den Schilder-Aufstand: „Nieder mit dem Patriarchat“, und die antiautoritären Erwachsenen stimmen fröhlich-lauter mit ein. So dass die jungen Revolutionäre der zweiten Generation, organisch zumindest, untergehen. Dafür aber bekommt Nikolaj eine E-Gitarre geschenkt, mit der er sogleich „loslegt“. Begeistert tanzen die Alten dazu. Eng umschlungen.

Was macht man, wenn „der Alte“ zu Weihnachten alles mit BANANEN ummantelt und dabei Nietzsche zitiert (der Mensch stammt schließlich vom Affen ab, ist also auch quasi „ein solcher“)? Und sich überhaupt im Alltag als SEHR viel aufmüpfiger zeigt, erweist, als sein pubertierender Sohn? Nikolaj. Der sich zudem allein weiter-orientieren muss, als die „schützende“ Mama bei einem Unfall stirbt. Denn Vater Magnus fällt daraufhin in tiefe Depression. Wird zum „abwesenden“ Phlegmatiker. Gemeinsam mit seinem Kumpel Tor entdeckt Bengel Nikolaj den PUNK, speziell dabei – die Töne der SEX PISTOLS. Mit Frontmann JOHNNY ROTTEN (der hier, als Mit-Produzent unter seinem bürgerlichen Namen John Lydon, auch einen faszinierenden Johnny Rotten-Gastauftritt gegen Ende hat). Fortan sind radikales Aussehen und Protest angezeigt. Lauthals annonciert. Gegen wen und was auch immer. Die Hauptsache – dagegen. Sein. Randale veranstalten.

Während der langsam „aufwachende“ Architekt Magnus verzweifelt bemüht ist, künftig diese ewig gleichen Reihenhäuser „abzuschaffen“ und stattdessen Glashäuser kreieren möchte. Was natürlich nicht unbedingt auf „Wohlwollen“ stößt. Und er seinen Job schmeißt. So dass er sogar Zeit – und Spaß – findet, in der Punk-Band „Dirt“ mitzutrommeln, wo auch sein Sohn Gitarren-Krach macht. Doch nicht nur dies wird zum familiären Fiasko, auch eine Urlaubsreise in ein Nudistencamp entwickelt sich für Nikolaj zum Desaster. Während sein Erzeuger emotional aufblüht. Von wegen „interessanter“ weiblicher „Zuwendungen“.

Was also soll solch ein nordischer „Bub-Rotz“ noch anstellen, um endlich den Durchblick für den Weiter-Weg zu bekommen? Johnny Rotten schließlich weiß besonnenen Lebens-Rat: Da sowieso alles Scheiße ist, ist halt auch ALLES möglich. Und machbar.

Was für ein ungehobelter, mürrischer, tragikomischer Spaß! Belebend für Gedanken und Gefühle. Mit sozusagen herrlich piekenden, prickelnden C-Ausgaben-Motiven von „Trainspotting“, gemischt mit einem gepfefferten Anarcho-Light-Gebräu von „Uhrwerk Orange“. Kess, frech, schwarzhumorig, mit grandiosem skurrilem Personal. Das von einem brillanten „authentischen“ Ensemble dargestellt wird. Angeführt von SVEN NORDIN, den kennen wir auch hierzulande aus dem feinen schrägen norwegischen Klassiker „Elling“ (2001); der hier als Vater Magnus ein wunderbar subversives Kraftfeld verbreitet. Sven Nordin wirkt prächtig als überzeugender Oben-/Unten-Berserker, der diese wilde Generations-Szenerie um die Suche nach „richtigen“ Werten bravourös lenkt.

Respekt für viel frischen No-Respekt; „Sons of Norway“ ist ein großer filmischer Klein-Wurf. Mit enormem aktuellem wie provokantem Gedankenpotenzial a la – wo finden wir heute, wo gibt es heute einen (dringend benötigten) JOHNNY ROTTEN??? (= 3 ½ PÖNIs).

Teilen mit: