Artikel aus „Der Schrei“ (Magazin der ÖTV-Jugend-Berlin) ca. Dezember 1970 zu dem Film „DAS GESTÄNDNIS“ von Constantin Costa-Gavras (Fr/It 1969; B: Jorge Semprun, nach einem Bericht von Lise und Artur London; K: Raoul Cotard; M: Giovanni Fusco; 139 Minuten; Start D: 30.10.1970)
Der Film ist schwer. Ein Lehrstück. Ein Stück grauenvolle Wahrheit. Genau in Detail und Wiedergabe. Eine Quälerei für die, die einen politischen Spielfilm à la “Z“ erwarten. Natürlich, es handelt sich auch hier um eine politische Attacke. Aber es ist gleichzeitig bzw. außerdem mehr. Ein Pamphlet (fr.=Schmähschrift) gegen die sinnlose, brutale Gewalt. Gegen die Vernichtung des Menschen durch den Menschen. Der Mensch, ausgestattet mit Wissen, Geist und fiktiver Machtstellung quält den anderen Menschen. Für ein Geständnis. Wegen Worte, Begriffe, politische Meinungen, also Werte, die von ihm selbst erschaffen wurden und über deren Bedeutung er auch selbst entscheidet. Die Folter für eine Idee, für eine Ideologie, für eine Religion. Die absolute Sinnlosigkeit tut sich auf. Der Mensch muss lernen, sich gegen den Menschen zu schützen.
In der Schule lehrt man uns. Vom “Dritten Reich“, von der diktatorisch-qualvollen Gewaltherrschaft. Von Dingen, die in ihrer tatsächlichen Begebenheit heute kaum noch begriffen und bewusst werden. Wir hören davon, sehen Filme darüber, aber im Grunde stehen wir unfassbar vor einer Dunkelheit, die wir nicht durchbrechen können. Vielleicht, weil sich alles in uns dagegen wehrt, diese Dinge auf zunehmen und zu verstehen zu sehen.
CSSR 1951. Der stellvertretende Außenminister Artur London wird von der Geheimpolizei verhaftet. Unter der Beschuldigung, ein feindlicher Agent zu sein, verbringt er 22 Monate in den Folterkammern der stalinistischen Peiniger. Ein groß angelegter Schauprozess erlebt sein Geständnis.
Das Zuschauen, das Aufnehmen dieser für unglaublich gehaltenen Vorgänge tut weh. Artur London wurde nach dem Tode Stalins aus der Haft entlassen und rehabilitiert. Seine Erlebnisse teilte er in seinem Buch “Ich gestehe“ mit. Als London dieses Buch in Prag herausbringen will, ist der 21. August 1968 herangebrochen. Die sozialistischen Bruderstaaten sind in Prag gerade einmarschiert.
“Es ist unmöglich zu verstehen, wie ich ganz mechanisch zu dem Geständnis kam und wie ich, der Angeklagte, mich während der Haft und der Verhandlung fühlte, wenn man nicht genau weiß, dass für Männer wie mich unsere Lebensweise und unsere Handlungen auf dem völligen Vertrauen, auf einer unbedingten Treue gegenüber dem Kommunismus und gegenüber der Partei beruhten.
Was nützt den Feinden des Sozialismus? Still zu bleiben, wenn schädliche Dinge geschehen, ein Tuch über begangene Fehler zu breiten, wie beispielsweise über die Verbrechen des Stalinismus? Deswegen müssen die Kommunisten selbst die verschiedenen Formen des Sozialismus mutig und kritisch überprüfen und Fehler offen beurteilen. Nur dann wird man zu einem reinen Sozialismus gelangen oder zu dem, was meine Landsleute meinten, als sie forderten: “Gebt dem Sozialismus sein menschliches Antlitz wieder!“ (Artur London)
Ein Film, der in unsere zivilisierte Top-Welt wie eine Bombe einschlägt und seine Spuren hoffentlich nicht nur während der drei Kinostunden hinterlässt (= 5 PÖNIs).