„ROTE LATERNE“ von Zhang Yimou (China/Hong Kong/Taiwan; 125 Minuten; Start D: 30.07.1992).
Der Regisseur Carlos Saura war in den 60er und 70er Jahren einer der wichtigsten spanischen Filmkünstler. Obwohl er von den Zensoren des Diktators Franco ständig kontrolliert und gemaßregelt wurde, konnte er arbeiten. Denn Carlos Saura erfand in seinen Filmen eine “zweite Sprache“:
Die der Symbole und Andeutungen. Interessant war nicht nur das, was gesagt und gezeigt wurde, interessant waren auch die Gedanken und Attacken “dahinter“. So ähnlich geht jetzt auch der chinesische Regisseur Zhang Yimou vor.
Yimou, Jahrgang 50, war 16 und auf dem Gymnasium, als in China die
Kulturrevolution proklamiert. wurde. Er musste die Schule abbrechen, um auf dem Land zu arbeiten. Diese “Kultur“revolution kostete ihn 10 Jahre seines
Lebens. Erst 1978 konnte er auf die Filmakademie von Beijing gehen. Er wurde Schauspieler, Kameramann und schließlich Regisseur. Sein Debütfilm hieß “Rotes Kornfeld“, und der bekam auf den Berliner Filmfestspielen 1988 gleich den Hauptpreis, den “Goldenen Bären“. Im Vorjahr fand sein Werk “Judou“, die Geschichte einer aussichtslosen Liebe im traditionsverbundenen China um die Jahrhundertwende, viel Zuspruch hierzulande und auch auf verschiedenen internationalen Festivals. Mit seinem neuesten Film, “ROTE LATERNE“, gewann Zhang Yimou im Vorjahr den “Silbernen Löwen“ von Venedig. Außerdem gab‘s in diesem Jahr eine “Oscar“-Nominierung.
“Rote Laterne“ spielt 1920 in einem Feudalhaus in Nordchina. Dort lebt ein reicher Kaufmann mit 3 Frauen. Gerade hat er sich eine 4. zugelegt. Sie heißt Songlian, ist 19 Jahre alt und war bis zum Tode ihres Vaters Studentin. Jetzt musste sie sich aus sozialer Familien-Not an den 50jährigen verkaufen. Und der herrscht wie ein Patriarch. Abends, wenn er bestimmt hat, wo er die Nacht zu verbringen gedenkt, werden im Hof der auserwählten Frau rote Laternen aufgehängt. Als Zeichen “seiner“ Zuneigung. Natürlich entstehen unter den Frauen Spannungen. Eifersucht und Intrigen sind an der Tagesordnung. Jede möchte die Gunst des Herrn gewinnen. Und da es aus dieser Burg-ähnlichen Festung kein Entrinnen gibt, wird dies zur einzigen „kreativen“ Beschäftigung für die Frauen. Ein mächtiges Haus als Symbol für das abgeschottete China. Dort herrschen bekanntlich immer noch die alten Männer. Sie bestimmen die Spielregeln und befinden über Leben und Tod. Lehnt sich dagegen jemand auf und auch noch eine Frau, bleibt für sie nur der Wahnsinn oder der Tod.
Ein starker, kritischer, politischer Toback. Aber Zhang Yimou geht nicht verbissen vor, sondern umrahmt dies mit einer ausdrucksstarken Farben-Pracht und poesievollen Bildern. Es ist auch ein Film mit ungeheuer viel Gefühl, Spannung und hintergründiger Dichte. “Welche Rollen spielen die Menschen in diesem Haus?“, lässt der Regisseur am Ende seine junge, gepeinigte Frau fragen. Die dann auch gleich die Antwort gibt: “Der Tod ist besser als das Leben!“ Kurz bevor diese Szene gedreht wurde, ließen die Machthaber über 1000 Menschen hinrichten. Es war die Zeit, als im Sommer 1990 die Demokratie-Bewegung zerrieben wurde. Man versteht und ist doppelt betroffen: “Rote Laterne“ ist aufregend wie ein Spannungsfilm und besitzt zugleich die Aufklärung und Sensibilität eines großen Kunstwerkes.
Ein außerordentlicher, ein berührender, ein sehenswerter Film: “Rote Laterne“ von Zhang Yimou (= 4 ½ PÖNIs).