„RIVER`S EDGE – DAS MESSER AM UFER“ von Tim Hunter (USA 1986; B: Neal Jimenez; K: Frederick Elmes; M: Jürgen Knieper; 99 Minuten; BRD-Kinostart: 23.04.1987; Video-Premiere: Dezember 1987; deutscher Heimkino-Start/DVD/Blu-ray: 29.03.2019); manchmal dauert es, bis ein Meisterwerk als solches erkannt wird. Manchmal sogar SEHR lange. Wie hier. Zwar hatte das Independent-Movie aus dem Herstellungsjahr 1986 einst auch eine deutsche Kino-Premiere, doch blieb es weitgehend unbekannt/unerkannt. Übrigens – das vom damaligen deutschen Kinoverleih „Ascot“ zum deutschen Kinotitel bestimmte „Das Messer am Ufer“ ist Unfug, denn es kommt weder ein Messer noch eines an einem Ufer vor. Es war eine reißerische Spekulation = Fopperei mit dem Titel, um Aufmerksamkeit zu erhaschen.
Der amerikanische Filmemacher TIM HUNTER, geboren am 15. Juni 1947 in Los Angeles, schuf in den Achtzigern einige weitgehend unbekannt gebliebene Filme (Debüt: „Tex“; 1982), bevor er sich zum Fernsehen „abmeldete“. Sein bester Film – eben „River’s Edge“ – wurde zwar damals beachtet, zum Beispiel im Januar 1987 beim renommierten „Sundance Festival“, sollte aber erst Jahrzehnte später d i e Aufmerksamkeit bekommen, die er als zeitgeschichtliches Drama verdient. Sarah Pillsbury und Midge Sanford als Produzenten sowie Neal Jimenez als Drehbuch-Autor gewannen 1988 noch den „Independent Spirit Award“, dann verschwand „River’s Edge“ aus dem kinematografischen Blickfeld.
Im Heute von Damals. In einer Kleinstadt von Oregon. Die Erwachsenen haben längst resigniert. Zeigen sich seelisch verkümmert. Und schon gar nicht in der Lage, sich um den Nachwuchs zu kümmern. DER bleibt sich selbst überlassen. Beschäftigt sich mit Kiffen und Herumhängen. Die Moral-Standpauken, das Theoretisieren eines Lehrers an der Schule, erreicht sie nicht. Was wollt ihr? Was denkt ihr? Was empfindet ihr? Was geht überhaupt in euch vor? Weiß‘ nicht, lautet zumeist, wenn überhaupt, die Egal-Antwort. Gleichgültige Desorientierung und Kälte sind ihre, lauten ihre körpersprachlichen wie atmosphärischen Signale. Empathische Defizite in erschreckendem Ausmaß, wohin man blickt. Sowohl in Sachen Standpunkte und noch mehr in Richtung Sinn. Zum Beispiel innerhalb dieser kleinen örtlichen Jugend-Gang. Wo einer von ihnen, Samson (DANIEL ROEBUCK), seine Freundin „einfach so“ erwürgt hat. Und dies „wie normal“ preisgibt: „Ihre Leiche liegt am Fluss“. Sie hätte einfach nicht aufgehört zu quatschen. Ihn zu langweilen. Dafür musste er sie einfach umbringen. Ist doch okay. Oder? Als die Clique sich davon überzeugt, sind sie erst „ein wenig berührt“, aber auch irritiert. Im „Weiß‘ nicht“-Sinne. Wie „damit“ „richtig“ umgehen? Jedenfalls melden sie „den Vorfall“ – zunächst – nicht. Im Gegenteil: Der labile Layne (CRISPIN GLOVER; der als verklemmter Vater von Marty McFly/Michael J. Fox in „Zurück in die Zukunft“ bekannt wurde) bestimmt sich zum „Anführer“ und will „seinen Freund“ Samson unbedingt schützen. Stellt die beknacktesten Sachen an, um die Gruppen-Solidarität einzufordern. Oder „zu fördern“. Was bei den Anderen, klar doch, „egal“ ankommt. Oder: genervt. Matt (KEANU REEVES, damals junge 22) zeigt sich ebenso unentschlossen wie alle anderen auch. Und Matts kleinerer elfjähriger Bruder Tim (gemeingefährlich gut: JOSHUA JOHN MILLER) ist drauf und dran, sein eigenes Gewalt-Ding durchzuziehen. Klaut sich bei Feck (DENNIS HOPPER) eine Pistole. Apropos: der obskure Solist Feck, auch so eine „passend“- kaputte Type hier. Abseits jedweden „american dream“-Geschmacks. Benimmt sich aggressiv und lebt mit einer Sex-Puppe zusammen. DENNIS HOPPER („Easy Rider“), einmal mehr in seiner Paraderolle als schizophrenes Ex-Rocker-Gemisch aus charmantem Bastard und furchterregendem Freak. === (Dennis Hopper hatte gerade seinen sagenhaften sadistischen Auftritt in „Blue Velvet“ von David Lynch hinter sich, und der großartige Kameramann dieses Kult-Thrillers ist hier auch beeindruckend-atmosphärisch zugange: FREDERICK ELMES, der es vorzüglich versteht, visuelle Düsternis = kühle Bilder in Raum und Seele brillant zu verbreiten). ===
Auch nach Jahrzehnten schlägt dieser Streifen auf den Magen. Tief in den Kopf. Von wegen – Amerika und seine verlorenen, verkommenen Werte. Wie sollen dem Nachwuchs Grenzen gezeigt, erklärt werden, wenn von „ganz Oben“ nur unmoralischer, krimineller Fake-Mist als feste Leitlinie für das Zusammenleben innerhalb einer Gesellschaft verbreitet wird? Was dabei herauskommt, zeigt(e) Tim Hunter vor über drei Jahrzehnten mit diesem Meisterstück über grausame Gleichgültigkeit und entsetzliche Gemeinschafts-Folgen. Sein pessimistisches, desillusioniertes Zugangsbild über eine abgehängte Region, sprich: über ein – inzwischen – entartetes Land, kriegt 2019 mehr denn je eine be-deutungsvolle visionäre Authentizität und ist dabei: exzellente Spannungsunterhaltung. Intellektuell wie physisch-roh.
Interessante Info: „Music recorded at HANSA-STUDIO West Berlin“ heißt es im Abspann. Habe mich auch schon gewundert, dass als Komponist „unser“ Jürgen Knieper („Scheibenwischer“) auftaucht. Während bisweilen der wütende Punk-Soundtrack (u.a. von „Slayer“) tobt.
Ein MUSS-HEIMKINO-Movie ist gerade aufgetaucht. Übrigens auch exzellent verpackt als – limitierte – Disc-Edition im Mediabook, in der sowohl Blu-ray- wie auch DVD-Version, und mit umfangreichem Bonusmaterial wie einem Audiokommentar von Tim Hunter sowie erstklassigen Featurettes mit Darsteller Daniel Roebuck und Kamera-As Frederick Elmes.
Was für ein Glücksfall für süchtige Film-Sucher nach Spitzenware (= 5 PÖNIs).
Anbieter: „ALIVE“.