„REMEMBER – VERGISS NICHT, DICH ZU ERINNERN“ von Atom Egoyan (Kanada/D 2014; B: Benjamin August; K: Paul Sarossy; M: Mychael Danna; Start D: 31.12.2015); mit Filmen wie „Der Schätzer“ (1991), „Calendar“, „Exotica“ oder „Das süße Jenseits“ (1997) stieß der am 19. Juli 1960 in Kairo geborene und seit 1963 in Kanada lebende Drehbuch-Autor und Regisseur ATOM EGOYAN auf weltweites cineastisches Großinteresse.
Seinen eigenwilligen Vornamen wählten übrigens seine armenisch-stämmigen Eltern aus Anlass des Baus des ersten ägyptischen Atomreaktors aus. Atom Egoyan ist häufiger (und vielfach prämierter) Gast auf internationalen Festivals. 2007 lief im Berlinale-„Panorama“-Programm sein Alzheimer-Drama „An ihrer Seite“ (s. Kino-KRITIK). Seine letzten beiden Filme allerdings, „Devil’s Knot“ (s. Heimkino-KRITIK) und „The Captive – Spurlos verschwunden“ (s. Heimkino-KRITIK), wurden bei uns gleich „nur“ für das Heim-Kino angeboten.
Wieder: Alzheimer. Sie sind alt geworden: Zev (CHRISTOPHER PLUMMER) und Max (MARTIN LANDAU). Um die 90. Sie leben im Altersheim. Irgendwo auf dem Land. Bei Seattle. Während Zev immer mehr „geistige Aussetzer“ hat, ist sein greiser Freund Max im Vollbesitz seiner Kräfte, kann sich aber nur im Rollstuhl bewegen. Zev und Max sind Auschwitz-Überlebende. Und beabsichtigen, „eine letzte Sache“ noch zu erledigen. Es gilt, einen in den USA lebenden Auschwitz-Blockwart, der für den Tod vieler Menschen und auch ihrer Familien verantwortlich ist, zu finden. Und hinzurichten. Sie wissen, unter dem Namen Rudy Kurlander verbirgt sich der SS-Scherge Otto Wallisch. Zev begibt sich auf den Weg. Ein Brief von Max erinnert ihn täglich aufs Neue, warum und weshalb und wieso er sich auf die beschwerliche Bus- und Bahn- und Taxi-Reise gemacht hat. Zev wird bei seinem langen, beschwerlichen und natürlich komplizierten Weg auf gleich vier Rudy Kurlander stoßen (darunter: BRUNO GANZ und JÜRGEN PROCHNOW), und am Ende erleben wir einen „Hitchcock“-Schock. Einen „finalen Twist“, wie es heutzutage modern heißt („Film-Dienst“).
Der beabsichtigt ist. Denn „Remember“ ist kein „üblicher“ Stoff um das Aufspüren von Tätern durch Nazi-Opfer, sondern ein aufwühlender THRILLER. Mit ständig steigenden Spannungsmotiven. Und dem Wunsch zweier traumatisierter Freunde, unter den grausamen, verbrecherischen Ereignissen von vor 70 Jahren endlich einen Schlußstrich ziehen zu können. Aber – einen Rache-Schlußstrich. Zwei uralte Männer verbinden sich zu Kopf und Hand, schließen als Richter & Henker einen letzten Pakt. Um für immer ihre endgültige Recht-Ruhe zu finden. Wie sie sich sicher sind. Dabei begegnet und durchläuft Zev auf seiner umfangreichen Suche kein Mitleid, sondern auch reale Nazi-Härte. Im liberalen Ami-Land. Wals die Puls-, sprich Wut-Frequenz bei UNS enorm steigert.
Wie mache ich das? Wie lasse ich es spielen? Wie kriege ich DAS „seriös“, als überzeugend-gedankliche wie unterhaltsame „Sendung und Show“ hin? Schließlich befinden wir uns im Kino und nicht im Vortragssaal? Atom Egoyan hat keine Scheu. Nimmt von Anfang an „die Schwere“ aus der Geschichte, um sie mit einer faszinierend-ambivalenten Suspense-Tragik laufen zu lassen. Was zu ständigem Rumoren im Kopf wie im Bauch führt. Dabei keineswegs respektlos gezeichnet ist, sondern sich packend orientiert.
Weil zwei betagte darstellerische Hochkaräter großartig lenken und leiten. Der gerade, am 13. Dezember 2015, 86 Jahre alt gewordene kanadische „Oscar“-Preisträger CHRISTOPHER PLUMMER („Beginners“), „der beste klassische Schauspieler Nordamerikas“ („The New York Times“), trifft präzise wie sensibel, also völlig unaufdringlich, Charakter-Tiefe und Zwanghaftigkeit. Nach Lösung. Erlösung. Christopher Plummer ist ungemein präsent. Nahegehend. Berührend. Deutlich. Als verletzter, eigentlich viel zu müder alter Mensch für diese schwierige, sich selbst verordnete verstörende Altersaufgabe.
MARTIN LANDAU, inzwischen auch 87, „Oscar“-Preisträger („Ed Wood“) und als Team-Mitglied in der US-TV-Oldie-Serie „Kobra, übernehmen Sie“ (= die Ur-Ausgabe von „Mission Impossible“/1966-1969) unvergessen, porträtierte einst in dem amerikanischen Fernsehfilm „Max und Helen“ den österreichischen Nazi-Jäger Simon Wiesenthal. In seinem Geiste fühlt er sich hier verpflichtet, seinen Freund Zev zu dieser Tour zu drängen. Landau als Anstifter Max und vehementer Rache-Engel. Mit dem Fragepunkt in seiner Körpersprache, was es bringt und nützt, dermaßen heute „aktiv“ zu sein. Der „die Geschicke“ von Zuhause aus leitet. Und immer wieder den Freund Zev drückt, „es“ endlich erfolgreich zu beenden, wenn der schlapp macht.
„Remember“, der deutsche Zusatztitel ist Programm, lässt nicht kalt. Ist eine großartige Zumutung. Geht auch an legerem Humor nicht vorbei. Gerade, wenn Zev mit seinen „Aussetzern“ hantiert. Spielt, besser: balanciert beeindruckend auf der kühlen Emotionsskala. Ist in seinem Spannungsaufbau und seiner „wahnsinnigen“ Schluss-Pointe völlig irritierend. Kopfschüttelnd erschütternd. Immens nachhallend. „Remember“ ist das beste, weil sinnvollste, weil prächtig- unterhaltsamste Road Movie der letzten Jahre. Läuft in der akuten „Schreiphase“ von „Star Wars 7“ in unseren Kinos an und sollte auf gar keinen Fall übersehen, nicht-nicht erlebt werden (= 4 ½ PÖNIs).