THE RELUCTANT FUNDAMENTALIST

Es ist ja keine Schande, wenn oftmals die englischen Originalfilmtitel gleich auch HIER(zulande) fürs Kino und für das Heimkino übernommen werden, doch manchmal „verbaut“ man sich damit bzw. dadurch durchaus das Interesse an einem guten Film. Siehe aktuell:

THE RELUCTANT FUNDAMENTALIST“ von Mira Nair (USA/Pakistan 2012; B: William Wheeler, Ami Boghani, Moshin Hamid; nach dem gleichnamigen Roman von Moshin Hamid; K: Declan Quinn; M: Michael Andrews; 130 Minuten; Heimkino-Veröffentlichung: 25.03.2014),

der auf dem Cover noch den unverbindlichen wie bereits öfters benutzten wie kleinen deutschen Zusatztitel „Tage des Zorns“ bekommen hat. Lächerlich. „Der widerwillige Fundamentalist“ wäre sehr viel präziser und neugieriger machender. Auf einen hervorragenden neuen Film.
Natürlich, SIE kennen wir: die in Indien geborene und seit vielen Jahren in den USA lebende Regisseurin MIRA NAIR. Durch Werke wie „Salaam Bombay (1988), „Mississippi Masala“ (1991) und „Monsoon Wedding“ (2001) wurde sie weltweit bekannt und erhielt für diese viele internationale Auszeichnungen. 2004 realisierte die Cineastin als Co-Produktion USA/GB den historischen Kostümstoff „Vanity Fair – Jahrmarkt der Eitelkeit“ (mit Reese Whitherspoon) und 2006 als Co-Produktion USA/Indien „Namesake – Zwei Welten, eine Reise“. „The Reluctant Fundamentalist“ war 2012 der Eröffnungsfilm der Filmfestspiele von Venedig und basiert auf dem gleichnamigen, 2007 veröffentlichten Roman des in London lebenden pakistanischen Schriftstellers Moshin Hamid, dessen Buch im selben Jahr bei uns unter dem Titel „Der Fundamentalist, der keiner sein wollte“ auch herauskam – und DER auch am Drehbuch mitarbeitete.

Themen-Held: Ein junger Pakistani. Changez (RIZ AHMED). Hochgebildet, spitzenintelligent, absolut clever und scharfsinnig. Mit 18 ging der privilegierte Sohn eines berühmten Punjab-Dichters und Poeten aus Lahore in die USA. Als Stipendiat an die Universität von Princeton. Wurde aufgrund seines außergewöhnlichen Talents von einem hochkarätigen Geld-Unternehmen entdeckt und an die Wall Street nach New York verpflichtet. Der Hunger nach Karriere und Erfolg ist gewaltig: „Ich war ein Soldat in Eurer Wirtschaftsarmee“, erklärt der Business-Man im Nachhinein. Als er sich mit Erica (die dunkelhaarige KATE HUDSON) anfreundet, scheint das Glück – beruflich wie privat – perfekt. Changez befindet sich gerade in Manila, auf den Philippinen, als die Terrorereignisse vom 11. September 2001 in New York die Welt verändern. Und auch seine eigene. Individuelle. „Ich sah, wie der amerikanische Patriotismus ein neues Gesicht bekam“. Und kein freundliches. Mehr eine Fratze. „Anders“ aussehende, wie ER, die sich auch noch einen „typisch asiatischen“ Bart haben stehen lassen, gelten fortan als „Verdächtige“. Was Changez, trotz seiner hohen Stellung, am eigenen Leib zu spüren bekommt. Anfeindungen nehmen zu.

„Meine sanfte Seite wurde schwächer, meine harte wurde härterer“. Mehr und mehr beginnt er sich die Sinn-Frage zu stellen. Einfach so weitermachen? Viel Geld verdienen, dabei bilanztechnische marode Firmen und ihre Mitarbeiter abwickeln? Oben mitschwimmen und abkassieren? Vor ALLEM die Augen zumachen und den ratternden Verstand abschalten? „Manche Wahrheit braucht ihre Zeit“. Als er kündigt, ist sein Boss, Jim Cross (KIEFER SUTHERLAND), entsetzt. Wütend. Fassungslos. In dieser Etage steigt doch niemand freiwillig aus? „Ich war es leid, reduziert zu werden“. Betonung auf REDUZIERT. Zuhause, in Lahore, übernimmt der Muslim Changez eine Professur an der Uni. Wird in der Region zu einer einflussreichen Persönlichkeit. Als wir ihm heuer, 2011, begegnen, trifft er sich mit dem amerikanischen Journalisten, der ihn zu seiner Biographie befragt. In Wirklichkeit aber ist dieser Bobby Lincoln (LIEV SCHREIBER) CIA-Agent. Ein amerikanischer Professor von der Lahore-Universität ist entführt worden. Die Entführer drohen mit seiner Hinrichtung, wenn nicht Hunderte muslimische Gefangene aus einem Lager freigelassen werden. Die Amerikaner vermuten, dass Changez etwas „damit“ zu tun hat, zumindest weiß, wo sich der Professor befindet. Ein explosives Duell nimmt seinen brisanten, hochgefährlichen Lauf.

„The Reluctant Fundamentalist“ ist ein fesselnder politischer Kultur-Thriller. „Gibt es – im Gegensatz zum „American Dream“ – einen pakistanischen Traum, für den man NICHT auswandern muss“, fragt Changez einmal seine Studenten. Und muss zusehen und mitkriegen, wie man ihn in seinem Leben immer wieder zu manipulieren versucht. Einzugemeinden bemüht ist. In DER Art einer eben politischen wie moralischen wie individuellen REDUZIERUNG. Changez soll sich für diese und jene oder eben eine andere „Sache“ deutlich entscheiden und für DIE alles andere „abwerfen“. Also fanatisch werden. Radikal. Für eine Religion, für eine Politik, für EINEN, also UNBEDINGTEN Glauben. Er aber will nicht. Will sich – eigentlich – nicht in Gänze einbinden, nicht ständig instrumentalisieren lassen. Möchte sich schon seinen klaren Kopf bewahren. Und in seinen Ansichten und Meinungsäußerungen frei sein. Dürfen. Was aber zunehmender schwerer fällt. In dieser inzwischen komplizierter, intoleranter gewordenen Welt. In DER die Unterschiede zwischen „Gut“ und „Schlecht“ ziemlich aufgehoben sind. In DER es oft darum geht, Hass zu säen und „Gegner“ zu besiegen. Zu vernichten. Mit Politik. Mit Waffen. Also Gewalt. Mit Geld. Humane Gedanken und Handlungen sind immer weniger gefragt. Sterben immer mehr aus. Dafür dominieren die Ver-Führer. Einpeitscher. Krakeeler. Hass-Prediger. Überall. Also dort wie auch hier.

Was für ein gedanken-intensiver, ambitionierter Spannungsfilm. Mit sehr viel Sinn und großartigen überzeugenden Darstellern. Der pakistanisch-stämmige britische Schauspieler RIZ AHMED, 30, als Musiker auch unter dem Künstlernamen Riz MC bekannt und schon in der köstlichen britischen Polit-Satire „Four Lions“ aufgefallen, überträgt ausstrahlungsstark als multikultureller Individualist Changez die auf den Pointen-Punkt versehene Verunsicherung einer jungen Generation, die sich nicht „entscheiden“ will. Für EINE Seite. Für ein einseitiges Da-Sein. Für EINE politische, gesellschaftliche Partitur. Die auf Gedankenzwang und Lebensunfreiheit setzt. Was für eine phantastische Performance! Von Riz Ahmed. Unaufgeregt, unaufdringlich, „fahnenlos“. Als pakistanischer US-Boy wie als amerikanischer Pakistani. Nachvollziehbar. Klug. Eindringlich. Intensiv. Faszinierend.

MIRA NAIR hat ihren Film, wie es eingangs im Nachspann heißt, ihrem Vater Amrit Lal Nair (1924 – 2012) gewidmet, „einem wahren Lahori“.
Schade, dass als „Extras“ nur der originale US-Trailer angeboten wird. Man hätte sehr gerne viel mehr „hierüber“ erfahren.

Anbieter: „Maritim Pictures“

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