RAYA UND DER LETZTE DRACHE

PÖNIs: (3/5)

Gastkritik von Caroline „Carrie“ Steinkrug

„RAYA UND DER LETZTE DRACHE“ von Don Hall & Carlos López Estrada (USA 2021; B: Adele Lim, Qui Nguyen; M: James Newton Howard; 112 Minuten; deutscher Streaming-Start/Disney+: 04.03.2021) heißt das 59. Werk aus den Disney Animation Studios. Es ist seit dem 5. März 2021 über einen VIP-Zugang (Kosten 21,99 Euro) innerhalb des Streaming-Dienstes Disney+ zu sehen. Dieser exklusive Vorgeschmack bleibt danach bis zum 4. Mai 2021 offen. Das heißt: einmal zahlen und bis dorthin so oft schauen wie man möchte. Danach, ab dem 4. Juni, also einen Monat später, wandert die Geschichte der jungen Drachenlady in das normale Abo `rüber und kann dann zum „normalen“ Monatsbeitrag gesichtet werden. So viel zur technischen Handhabung. Wichtiger jedoch bleibt die Frage: Lohnt sich das frühe Investment?

Bitte zunächst beachten: Die Disney Animation Studios („Vaiana“; „Die Eiskönigin“) sind n i c h t Pixar (zuletzt: „Soul“; wurde gerade mit dem „Golden Globe“ bedacht)! Obwohl beide natürlich unter einem Firmendach koexistieren. Außerdem überraschend: Hier wird nicht gesungen. Wer also einen Ohrwurm à la „Let it Go“ erwartet wird jäh enttäuscht sein. Stattdessen zieht Titelheldin Raya hämmernde Fäuste einer krachenden Ballade vor. Die musikalische Untermalung wird folglich komplett dem Musik-Urgestein James Newton Howard („The Dark Knight“) überlassen. Eine Position, die er gewohnt solide ausfüllt, ohne dabei jedoch allzu große Spuren im Gehör zu hinterlassen. Ebenso wenig geht die restliche Geschichte direkt ins Herz. Die Regisseure Don Hall („Baymax“) und Carlos López Estrada („Blindspotting“) trumpfen zwar mit einer beeindruckenden Disney-Kriegerprinzessin auf, kommen inhaltlich aber leider nicht über ein kurzweiliges Animationsabenteuer hinaus.

Wir finden uns in Kumandra wieder. Einer einst vereinten Welt, die durch die Gier der Menschheit gespalten wurde. Dies passierte vor ca. 500 Jahren während einer epischen Schlacht. In dieser kämpften Drachen und Menschen Seite an Seite gegen lilafarbene Monsterwolken, genannt die Drunn. Um am Ende alle zu retten opferten die Fabelwesen ihr Leben. Bis auf eine: die sagenumwobene Sisu (im Original mit der Stimme von „The Farewell“-Star Awkwafina). Mit Hilfe eines magischen Juwels schaffte sie es, einst die Gefahr zu bannen und die Macht der Lindwürmer zu konzentrieren. Doch statt Frieden kehrte danach ein weiterer Krieg ein. Die verschiedenen Menschenstämme erhoben sich und begannen um dieses neu entstandene, mächtige Schmuckstück zu streiten, während Sisu verschwand und Kumandra in fünf Teile zerbrach: Herz, Klaue, Kamm, Schweif und Zahn. Heute wird das sagenumwobene Artefakt von Raya (Englisch: Kelly Maria Tran; Deutsch: Christina Ann Zalamea) und ihrem Vater gehütet, stets den Traum vor Augen, die Länder eines Tages damit wieder vereinen zu können. Doch das geht natürlich gewaltig schief, und so startet die Erzählung in einer dystopischen Endzeitszenerie, in der sich Teenager-Raya aufmacht, den letzten Drachen zu finden und (wir ahnen es) ihre Welt zu retten…

Das alles klingt jetzt ein bisschen nach „der Herr der Ringe“, der keinen Ring, sondern einen funkelnden Stein in den Schicksalsberg werfen muss. An sich ja eine schöne Idee, die sich anfangs auch in eine beeindruckende Fantasywelt kleidet, danach aber leider jede Inhalts- und Figurentiefe verliert. Nicht nur die identitätslosen Antagonisten als miese-fiese Schäfchenwolken tragen dazu bei, sondern vor allem auch die explosive Überladung an Nebenfiguren, welche Raya „Jones“ Jagd nach dem verlorenen Schatz völlig über-bevölkern. Als da wären: der stets grinsende Gürteltier-Igel Tuk Tuk, der Mini-Koch Boun, das Gaga-Gauner-Baby Noi mit ihrer dreiköpfigen Affengang sowie der grobschlächtige aber liebenswerte Barbar Tong. Alle bemüht, den Witz auf ihre Seite zu ziehen. Im Endeffekt lenken sie damit jedoch von der Seelentiefe des ganzen Filmes ab. Diese bleibt zusätzlich in den animierten Gesichtern hängen, die ebenso leer bleiben wie so mancher Spruch à la „Bling ist mein Ding“. Auch Rap-Musik darbietende Fabelwesen oder Kosenamen wie „Prinzessin Undercut“ wirken in der fantasiereichen Buntsphäre fehl am Platz. Unpassend, irgendwie zu real in dieser sonst so realitätsfernen Feenlandschaft. Eine sprachliche Oberflächlichkeit, die sich leider auch nicht durch die illuster gezeigte Fauna retten lässt. Die schnelle Heldenreise über Schneelandschaften, Wüstenhügel oder steiniges Bergidyll hetzt derweilen von Abenteuerstation zu Abenteuerstation. Wie eine Schnitzeljagd aus Kindertagen. Stets an Bord: Glücksdrache Sisu, optisch irgendwo gefangen zwischen „My Little Pony“, dem „letzten Einhorn“ und „Eiskönigin Elsa“. Marketingtechnisch als Kuscheltier, aber sicher gut an die Eltern zu bringen…

Ist RAYA UND DER LETZTE DRACHE demnach ein mieses Movie? Die Antwort lautet: jein. Gegenüber stehen sich hier eine Freundschaftsromantik mit putzigen Einfällen sowie einem süßen Zauber und die Enttäuschung darüber, dass so viele Möglichkeiten ungenutzt bleiben: die Disney-Prinzessin mit ihrem viel größerem Potential, die verschenkten Facetten dieser eigentlich schön animierten Tier- und Pflanzenwelt, die Grundidee mit ihren Ansätzen für heldenhafte Sagen und Mythen. All das findet in dem hektischen Rennen um den Kristall keinen Raum. Leider. Bleibt letztlich das Dilemma, ob es sich nun lohnt, das Lockdown-Heimkinoangebot um einen vermeintlich teuren Disney-Hitgaranten zu erweitern? Die Empfehlung lautet: Kann man machen … muss man aber nicht (= 3 „Carrie“-PÖNIs).

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