PAULETTE

PAULETTE“ von Jérome Enrico (Co-B + R; Fr 2012; K: Bruno Privat; M: Michel Ochowiak; 87 Minuten; Start D: 18.07.2013); die Filme seines Vaters ROBERT ENRICO (1931 – 2001), diese formidablen Unterhaltungsjuwelen wie „Die Abenteurer“ (1966/mit Lino Ventura + Alain Delon); „Ho! Der Gangster“ (1968/mit Jean-Paul Belmondo); „Die Rumstraße“ (1971/mit Brigitte Bardot + Lino Ventura) oder „Das Netz der 1000 Augen“ (1974/mit Philippe Noiret + Jean-Louis Trintignant; ein politischer Bespitzelungsthriller, der heute wieder SEHR aktuell ist), haben wir auch hierzulande mit großer Neugier und mit vielem Spannungsvergnügen wahr- wie aufgenommen. Nun hat es der zweite Kinofilm (nach „L`Origine Du Monde“/2000/unbekannt) des Robert Enrico-Sohnes Jérome, 53, auch bei uns in die Lichtspielhäuser geschafft. Jérome Enrico arbeitet hauptsächlich für das Fernsehen und leitet die Schreibwerkstatt am renommierten „École supérieure d’études cinématographiques“ in Paris.

Mit „Paulette“ erzählt er süffisant komödiantisch von einer französischen Wutbürgerin. Mit diesem Namen. Sie ist Witwe und an die 80, hat viel in ihrem Leben geschuftet, lebt in einem „brenzligen“ Pariser Vorort und soll nun mit 600,-EURO im Monat ihren Lebensunterhalt bestreiten. Natürlich ist sie mehr als stinkig. Zeigt sich verbittert, rassistisch, obwohl ihr Schwiegersohn ein Gemütsmensch von schwarzem Polizisten ist, gibt sich permanent aggressiv. So gut es halt noch geht. Ihr kleiner Enkel darf dies gerne bei den Aufsichtsstunden verbal „abbekommen“. Madame ist auf alles und jeden sauer. Bis ihr eines unruhigen Tages „Stoff“ buchstäblich in die Finger fällt. In Form eines Päckchen Marihuana. Was die störrische Alte auf „clevere Gedanken“ bringt. Fortan stehen die Spielstunden mit ihren Freundinnen nicht mehr ganz vorne auf der Liste ihrer Freizeitaktivitäten. Im Gegenteil, Paulette entwickelt sich mehr und mehr zu einer ebenso geschäftstüchtigen wie „beliebten“, also geschätzten, beachteten Nachbarin. Mit ihren außerordentlich schmackhaften Backwaren. Wie Afghanen-Kekse. Mit Kick-Füllung.

Eine Volkskomödie. Dies trifft es. Eine rüstige Rentnerin macht mobil. Will nicht weiter auf der Verliererseite vegetieren, sondern auch ihren Anteil vom besseren Da-Sein abhaben. Also macht sie ernst. Komisch, natürlich. Dabei ist ihre Idee gar nicht einmal so abwegig. Denn wer verbindet schon eine offensichtlich „verstörte“ Oma mit Drogen. Handel. Jérome Enrico schrieb das Drehbuch für diese deftige Ironie mit drei seiner Studenten. Gemeinsam hält man die unverkrampfte „charmante“ Balance zwischen realer Sozialstichelei und melancholischer Dreistigkeit. Auch, wenn es am Ende etwas „zu übermütig“ kriminalistisch zugeht. Da ist aber der sympathische Filmtrunk bereits längst ausgetrunken. Und war vor allem deshalb außerordentlich schmackhaft, weil Jérome Enrico eine himmlische IKONE des französischen Kinos engagieren konnte: BERNADETTE LAFONT. Die 74jährige , die seit Ende der 1950er Jahre in über 170 Kino- und Fernsehproduktionen auftrat und mit „Nouvelle Vague“-Regisseuren wie Francois Truffaut und Claude Chabrol zusammenarbeitete, kehrt glanzvoll-ruppig auf die Leinwand zurück. Als Prekariats-Madame des kultivierten Drogenhandels. Mit viel weiblichem Giftzwerg-Zorn. Über den dann sogar die Scene-Bubis ins Staunen kommen. SIE beherrscht Momente wie Zwischentöne. Ist ebenso empört wie arglistig und betroffen. Bei diesem leichtem Spaß mit doppelbödigem Sinn. Gestern, im Jahr 2000, wurde die plötzlich verarmte Orchideenzüchterin Grace Trevethyn – alias Brenda Blethyn – in dem britischen Spitzenjux „Grasgeflüster“ zur unfreiwilligen Drogenanbauqueen, heute ist es ihr unruhiges wie faszinierendes französisches Rentnerinnen-Pendant Paulette, die – in Gestalt der ebenfalls köstlichen Bernadette Lafont – ihren Gewinn vom Leben einfordert. Einstreicht. Die Alten machen nun auch im Kino frech mobil. Wie pfiffig und schön (= 3 ½ PÖNIs).

(Und wäre dies nicht auch mal „was“ für einen originellen, gewitzten deutschen Film??? / Wir drehen doch andauernd „Späße“.

P.S.: Aber, bitte, wenn, dann nicht so grottenschlecht-lahm wie dieses dusslige „Lina Braake“-Remake „Dinosaurier – Gegen uns seht ihr alt aus!“ von Leander Haußmann von 2009, mit diesen bedauernswerten deutschen Blöd-Alten…).

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